
Es lohnt sich, bei Sprachregelungen auf Details zu achten. Gut bezahlte Experten haben sich lange Gedanken darüber gemacht. Die Details haben etwas zu bedeuten. Etwa, wenn Vertreter von CDU, CSU, SPD, Grüne und Linke über die Corona-Zeit sprechen. Dann geben sie gerne die Sprachregelung von sich: Wir brauchen eine Aufarbeitung der Pandemie. Eine Aufarbeitung. Das ist nur ein Detail – aber wichtig.
Es gibt zahlreiche Aufarbeitungen der Corona-Zeit. Aus gutem Grund. In dieser Zeit haben die herrschenden Parteien gezeigt, wie schnell und radikal sie bereit sind, die Rechte der Bürger massiv zu beschneiden und auszusetzen. Entsprechend ist es logisch, dass sich zumindest Teile der Bürgerschaft daran gemacht haben, aufzuklären, was da mit ihnen passiert ist. Eine Gesellschaft kann schließlich nur funktionieren, wenn die Regierten den Regierenden vertrauen und vertrauen können. Die Pandemie-Politik hat aber den Bürgern einiges an Anlass geboten, den Regierenden nicht mehr zu vertrauen.
Anders als eine Impfpflicht für Pfleger und Soldaten. Wer sich dieser Impfpflicht konsequent widersetzte, musste ins Gefängnis – obwohl diese Pflicht zuvor über Monate als Fake News und Verschwörungstheorien galt.
Es hat viele Wahrheiten gegeben, die als unumstößlich und von “der Wissenschaft” geboten galten. Wer diese bezweifelte, den diffamierte und verbannte eine Einheitsfront aus regierenden Parteien und ihren Helferlein in den Medien aus der Gesellschaft: Die Impfungen schützen Dritte nicht vor Infektionen. Sie können gefährliche Nebenwirkungen haben. Kinder zu isolieren, dämmt die Pandemie nicht ein, verursacht aber verheerende Schäden an der Psyche der Kinder. Das Robert Koch-Institut (RKI) vertritt nicht “die Wissenschaft”, sondern richtet sich in seinen Äußerungen an den Wünschen der Regierung aus. All das diffamierte die Einheitsfront zwischenzeitlich als Fake News und Verschwörungstheorie.
Einige Aufarbeitungen später haben sich all diese Fake News als wahr erwiesen. Das sind nur Beispiele. Sie sind nicht vollzählig. Und es werden auch noch weitere Aufarbeitungen folgen.
Doch die aktuelle Aufarbeitung der Pandemiepolitik handelt nicht von der Wirkung der Maske. Sondern von ihrem Einkauf. Für den war 2020 Gesundheitsminister Spahn verantwortlich. Anfangs saß Deutschland ohne Masken da. Wenn der heutige Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag darauf hinweist, dass die Einheitsfront aus CDU, CSU, Grüne, Linke und ihren zugehörigen Medien ihn seinerzeit unter Druck setzte, schnell und bedingungslos Masken zu beschaffen, koste es, was es wolle – dann gehört das zu den wenigen Punkten, in denen Spahn recht hat und glaubwürdig ist.
Doch anders als die Liste widerlegter Verschwörungstheorien ist die Sammlung von Punkten schnell zu Ende erzählt, in denen Spahn glaubwürdig ist. Der Fraktionsvorsitzende der Union sagt, er habe nichts zu verbergen: Aber das Gesundheitsministerium hat die anerkannte Fachfrau Margaretha Sudhof damit beauftragt, eine unabhängige Aufarbeitung zur Maskenfrage durchzuführen. Doch ihr Gutachten gilt dann als Geheimsache, denn Jens Spahn hat ja nichts zu verbergen.
Dann wird die heutige Gesundheitsministerin und verdiente CDU-Parteisoldatin Nina Warken gezwungen, das Gutachten den Fach-Abgeordneten doch bereit zu stellen. Ganze Passagen lässt sie schwärzen, denn Jens Spahn hat ja nichts zu verbergen.
Als Medien das gesamte Gutachten veröffentlichen, gehen Spahn und Warken auf Tauchstation. Denn Jens Spahn hat ja nichts zu verbergen.
Als Sudhof im Fachausschuss zu dem Gutachten spricht, macht die Regierung das zur Geheimsache. Warkens Ministerium verbietet Sudhof mit Medien über die Inhalte zu reden, einer ihrer Mitarbeiter beschuldigt die neutrale Gutachterin der Lüge. Denn Jens Spahn hat ja nichts zu verbergen.
Die Opposition hätte gerne einen Untersuchungsausschuss zu dem Thema. Aber den verhindert die schwarz-rote Regierung. Denn Jens Spahn hat ja nichts zu verbergen.
Damit eine Gesellschaft funktionieren kann, müssen Regierte den Regierenden vertrauen können – doch Jens Spahn macht es ihnen derzeit alles andere als leicht.
Spahn ist zum Problem der Regierung Friedrich Merz geworden. Auch wegen des Maskenskandals. Aber die Schäden gehen weit darüber hinaus. Als Fraktionsvorsitzender der Union leistet sich Spahn eine historisch schlechte Arbeit. Dass der Kanzlerkandidat bei der Wahl im Bundestag keine Mehrheit erhält, ist vor Spahn noch keinem anderen Fraktionsvorsitzenden passiert.
In den Verhandlungen mit der SPD versagt Spahn regelmäßig. Dass Merz den Ruf hat, von der SPD häufiger über den Tisch gezogen zu werden als ein Küchenschwamm, liegt auch an seinem Fraktionsvorsitzenden. Dass die SPD mühelos die linken Aktivistinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold durchsetzen kann, aber die Union jetzt auf die AfD angewiesen ist, um ihren Kandidaten Günter Spinner durchzusetzen, ist eine Folge von Spahns Missmanagement. Er ist ein Problem für die Regierung Friedrich Merz.
Der Bundestag verhandelt den Etat des Kanzlers. Das ist der Anlass für die grundsätzlich wichtigste Redeschlacht im Jahr, die Generaldebatte. In dieser spricht die erste Reihe. Neben dem Kanzler sind das die Vorsitzenden der Fraktionen. Also auch Spahn. Doch der geht nur kurz auf das eigentliche Thema ein. Dann muss er sich – ob er will oder nicht – dem Skandal zuwenden, der ihn selbst betrifft. Die CDU bräuchte an der Stelle einen Fraktionsvorsitzenden, der die Regierung gegen die Opposition verteidigt. Doch der hat derzeit genug damit zu tun, sich selbst zu verteidigen. Jens Spahn ist ein Problem für die Regierung Friedrich Merz.
Spahn redet nach Dröge. Der Fraktionsvorsitzende der Union muss auf seine grüne Kollegin reagieren. Er leitet mit dem Satz ein: “Die demokratische Mitte hat an Vertrauen verloren.” Unter normalen Umständen wäre das eine Floskel, die der Zuschauer schon vergessen hat, noch während der Redner sie vorträgt. Doch wer so angeschlagen ist wie Spahn, der kann nicht einmal sowas Banales sagen, ohne sich dem Spott der anderen auszusetzen.
Noch besser wird es, als Spahn zum Gegenangriff übergeht. Er spricht seinen Haupt-Ankläger im Maskenskandal an. Den Arzt und Grünen-Abgeordnete Janosch Dahmen. Der war in der Pandemie ebenso ein Hardliner wie Karl Lauterbach (SPD). Nur dass der Grüne noch unsympathischer rüberkam als der spätere Gesundheitsminister. Er habe Dahmen während der Pandemie nie sagen gehört, argumentiert Spahn heute, er solle als Minister aufhören, Masken zu kaufen, weil der Bund zu viele davon hätte. Im Gegenteil, die Grünen hätten davon gesprochen, dass Deutschland zur Kriegswirtschaft wechseln solle, um alles rund um die Pandemie zigfach vorrätig zu haben. Da hat Spahn einen Punkt.
In der Mafia gibt es eine blutige Regelung. Es ist den Mitgliedern verboten, mit der Polizei oder vor Gericht über die Taten der anderen zu sprechen. Spahn und Dahmen könnten sich von der professionellen Einstellung dieser Business-Leute etwas abschauen. Beide meinen, sie könnten auf die Verstrickung des jeweils anderen hinweisen und ihre eigene werde darüber vergessen. Genau das Gegenteil erreichen sie.
Die Vertreter von CDU, CSU, SPD, Grüne und Linke wollen “eine Aufarbeitung” der Pandemie-Politik. Eine. Das ist wichtig. Die vielen Aufarbeitungen, die es gibt, sind wild und damit gefährlich für sie, was nicht zuletzt die Redeschlacht Spahn versus Dahmen beweist. Die wilden Aufarbeitungen könnten ihre Verstrickungen aufzeigen. Deshalb wünschen sie sich, dass es nur eine Aufarbeitung gibt. Eine, die ihre Verstrickungen übersieht und als allein gültige gilt. Damit wieder jeder diffamiert und ausgegrenzt werden kann, der etwas Abweichendes behauptet. Genau wie während der Corona-Zeit.
Nun braucht es noch einen Politiker, der sich verquatscht und das unfreiwillig zugibt. Einer, der so angeschlagen ist, dass er sich bei der Wiedergabe der Sprachregelungen verhaspelt. Die Wahl fällt auf – Favoritensieg – Jens Spahn. Der sagt im Bundestag: “Wir wollen eine Aufarbeitung, die vor allem lehrt.” Dann verbessert er sich. Eine Aufarbeitung, die vor allem lernt. Sigmund Freud wird sich über diesen Versprecher in seinem Grab das Grinsen nicht verkneifen können.
Die eine Aufarbeitung soll zu der einen Wahrheit führen, von der alle lernen können. Das will Spahn sagen. Die eine Aufarbeitung soll zu der einen Wahrheit führen, der Wahrheit der Regierenden, an die sich die Regierten zu halten haben. Das ist, was Spahn tatsächlich sagt. Ein Versprecher. Sicherlich. Aber auch der eine Moment, in dem Jens Spahn tatsächlich nichts verbirgt.