
Titel: „Bitches brauchen Gerechtigkeit“, verlinkt sind ein TikTok-Video der Autorin vom Bett aus aufgenommen und ein älteres Interview mit ihr mit der Zeile: „Manchmal denke ich: ‚What the fuck?‘“ – Jette Nietzard hat einen Gastbeitrag für das Nachrichtenportal Watson geschrieben. Hätte man nicht dazu schreiben müssen. Es gibt in der Politik nur eine, die sich konsequent in hypersexueller und betont lässiger Jugendsprachen-Rhetorik darüber aufregt, dass sie sich objektiviert fühlt.
Der Artikel ist im Ganzen sehr durcheinander und wenig stringent. Das ist das Problem damit, wenn nicht-journalistische Personen des öffentlichen Lebens Artikel schreiben: Da traut sich dann immer keiner, die Artikel zu redigieren. Jette Nietzard macht einen Trend in der Welt aus. Nicht Leopardprint, wie sie bedauert, sondern „die Abschaffung von Frauenrechten“.
Dass die angehende Koalition aus Union und SPD etwa in puncto Frauenrechte lediglich die Mütterrente im Sondierungspapier haben soll, ist für sie der Beweis für die These: „Wir sind nur etwas, wenn wir zur Reproduktion gedient haben.“ Drunter macht sie’s natürlich nicht. „Gleichberechtigung wird Berechnungen zufolge erst in 134 Jahren erreicht“, erklärt Jette und bezieht sich dabei auf Zahlen des World Economic Forums.
Verlinkt ist ein Beitrag der UN, der sich auf den „Global Gender Gap Report 2024“ des WEF bezieht. Dass Deutschland hier auf Platz 6 der Top 9 frauenfreundlichsten Länder der Welt ist, erwähnt sie natürlich nicht. Mit diesem Auftakt lenkt sie dann ein. Zur Wahrheit gehöre aber auch die Schere zwischen Arm und Reich – ein leerer Magen hat nichts mit Geschlechtern zu tun.
Von den Frauen als den größten Opfern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu den Gefahren des Kapitalismus: Jette bringt es besser zusammen, als Marx es je gekonnt hätte: „Sowohl Kapitalismus als auch Patriarchat beruhen auf Unterdrückung und Ausbeutung.“ Damit war’s das dann aber auch schon wieder mit dem Kommunismus-Einschub. Nun kommt sie endlich zu dem Thema, das ihrem Artikel den schönen klangvollen Titel gegeben hat.
Sie macht eine neue Generation junger Frauen aus, die gegen das Patriarchat rebelliert, die „die Schnauze voll von Unterdrückung hat“. Sie nennen sich selbst Fotzen und sprechen offen darüber, „wie viel geilen Sex sie mit unterschiedlichen Männern“ haben. Sie nennt diese Bewegung zwar neu, allerdings ist das Stück der Rapgruppe SXTN, auf die sie sich in der „Fotzen“-Sache bezieht, nun auch schon 10 Jahre alt.
Diese Frauen, als Beispiel nennt sie die Rapperin Ikkimel, haben dabei, so klärt uns Jette auf, nicht deshalb so geilen Sex, „weil die Männer so geile Hengste sind“, sondern „weil sie selbst geil ist“. Wie die Rapperin einst formulierte: „Jeder Hater ist ein Klick mehr! Du bist nicht mehr als ein Fick wert.“
Diese Frauen bekämpfen das sexistische Patriarchat im Einzelnen, indem sie Männer gezielt ausnutzen: Nur mit Männern zu flirten, um den Cocktail bezahlt zu bekommen und auf Dates zu gehen, um nicht kochen zu müssen. „Warum sollten Frauen bei Männern in Heterobeziehungen bleiben, wenn sie 30 Prozent weniger zum Orgasmus kommen?“ Jette nennt das „das Patriarchat mit seinen eigenen Waffen schlagen“.
Diese revolutionäre Bewegung, die Jette hier jetzt so stolz ganz neu entdeckt hat, ist nur leider schon so alt wie die Menschheit selbst. Es sind eigentlich nur alte Rollenbilder neu entdeckt. Den Weg über den Mann zur Macht kannten Frauen schon immer. Holly Golightly hatte in Frühstück bei Tiffany schon in den 60ern ein ganzes Geschäftsmodell daraus gemacht, dass ein Mann, der etwas auf sich hält, einer schönen Frau doch wohl 50 Dollar für die Toilette zahlt.
Truman Capote hat es damals nur so gedeckt formuliert, dass man nicht direkt bemerkt hat, dass sie sich prostituiert – oder, wie Jette sagen würde, eine Bitch ist. Das Einzige, was an diesem Hochschlaf-Feminismus neu ist, ist das präventive Entkräften von Wörtern wie „Bitch“ (also Schlampe) oder Fotze, indem man sich selbst so betitelt, bevor es andere tun.
Den Selbstprostitutionscharakter, den das Ganze hat und der den Glamour doch etwas abmildert, versuchen sie dabei auszugleichen, indem sie Sex wie Männer haben wollen und sich einreden, dass ihnen das auch wirklich Spaß macht. Gewissermaßen klingt das depressiver als die alten Rollenbilder.
Sex, der nur gut ist, weil man selbst so gut ist, und mit Männern, die unter der eigenen Würde sind, klingt nicht nach dem befreiten Lebensstil, von dem die Damen glauben, dass er es ist. Das klingt mehr nach der Szene in American Psycho, in der Patrick Bateman mit einer Prostituierten schläft, sich aber dabei die ganze Zeit nur selbst im Spiegel anschaut.
Diese Form des Feminismus verfolgt einfach nur die Strategie, das, was sie als toxische Maskulinität verteufeln, auf weiblich zu drehen und nachzumachen. Fragt sich, wem das dienen soll. Zur Wahrheit gehört dazu, dass Jette diese Form des Feminismus schon auch kritisiert. Sie will noch mal eine neue Ära des Feminismus, der nicht im Einzelnen ausgekämpft wird, sondern systematisch.
„Es reicht nicht, die eigene Aufmerksamkeit individuell dafür zu nutzen, mittelmäßige Männer auszunehmen. Das müssen wir schon strukturell tun, um erfolgreich zu sein. Männern müssen Privilegien genommen werden.“ Feministinnen sollen Männern deshalb nicht auf Grundlage ihrer bloßen Existenz als Mann Respekt entgegenbringen, sondern nur, wenn sie einen Mehrwert zur Gesellschaft beigetragen haben.
Auch wieder nur die Umkehr vom herbeifantasierten Patriarchat. Sie ruft die hübschen Feministinnen deshalb auf, sich auch für die nicht so hübschen Frauen einzusetzen. Und kommt plötzlich mit der Forderung um die Ecke, dass die Beweislast bei dem Vorwurf der Vergewaltigung umgedreht werden sollte. Dann kommt die Forderung nach einer feministischen Bewegung nach dem Vorbild von Fridays for Future. Und dann endet sie mit „Denn Bitches brauchen Gerechtigkeit“. Also landet sie wieder bei dem, was sie vorhin noch kritisiert hat? Oder sind wir Frauen jetzt alle Bitches?
Dieser Artikel – so wirr und ziellos er auch phasenweise ist – lässt einen tiefen Blick auf das existenzielle Dilemma erhaschen, in dem Jette steckt. Sie mag dieses Verruchte. Sie trägt selbst gerne knallrot und Leopardprint, macht Stangentanz und präsentiert sich im Bikini im Internet. Sie spielt gerne mit den Reizen, die sie hat. Sie ist fasziniert von Frauen, die reden wie ein Seemann und aussehen wie eine Femme Fatale, gerne über Sex sprechen und auch damit wieder eine Wirkung auf Männer haben.
Sie hat nur ein Problem. All das ist nicht sonderlich tiefgründig. Und auch nicht so politisch, dass sich daraus eine politische Agenda und Karriere ableiten lassen. Es ist normal, dass eine junge Frau sich ihrem Frauensein ausprobiert und sich von ihrer alten Identität als Mädchen abgrenzen will. Es ist auch normal, dass junge Frauen diese neue Wirkung genießen, die sie haben können. Jette ist gerne eine Frau. Daran ist nichts falsch.
Doch es ist unehrlich, dass sie dieses seltsame politische Konstrukt um diesen ganz banalen und normalen Fakt schafft, um daraus etwas Tiefgründiges zu machen. Dass ihr Artikel so durcheinander ist, liegt auch daran, dass sie gar nicht so genau weiß, was sie eigentlich will. Sie versucht, Tiefgang zu schaffen, wo es keinen gibt, scheitert an dem Versuch und nennt jede Kritik Sexismus.
Sobald man nur die Beobachtung äußert, die für jeden offensichtlich ist, reduziert man sie auf ihr Äußeres und sexualisiert sie. Obwohl sie diejenige ist, die Politik und Sex immer wieder vermischt – und zwar taktisch und bewusst. Sie will damit die Deutungshoheit über sich selbst gewinnen. Doch sie verliert sie nur. Denn so wendet sie all ihre Energie auf, um mit performativ lässigem Selbstbewusstsein vor fremden Meinungen wegzulaufen, die ihr auch einfach egal sein könnten.