Wie Umfeld und Medien den Niedergang von Joe Biden vertuschten

vor 16 Tagen

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Bildquelle: NiUS

Der dramatische Gesundheitszustand von Joe Biden wurde jahrelang vertuscht. Was CNN-Journalist Jake Tapper einst selbst als rechte Verschwörungstheorie brandmarkte, bestätigt er nun in seinem neuen Buch. NIUS-Kolumnist Markus Brandstetter hat das Werk gelesen.

Der Schauspieler George Clooney fliegt am 13. Juni 2024 aus der Toskana, wo er für Apple TV+ die Serie Wolfs dreht, nach Los Angeles. Er hat eigentlich überhaupt keine Zeit, kann nur einen Tag in Kalifornien verbringen und muss am nächsten Tag schon wieder in Rom sein. Aber es geht um eine große Sache: den Kampf gegen Klimaerwärmung, Faschismus und Trump. Und um einen Fundraiser für Joe Biden. Denn Clooney ist nicht nur ein überzeugter Streiter für Menschenrechte, Gun Control und LGBTQ+-Menschen – er ist auch schwerreich. Weshalb er die Demokraten seit Jahren mit Millionensummen unterstützt und in jedem Wahljahr alle seine Freunde in Hollywood zu einer großen Spendengala einlädt, damit die Wahlkampfmaschine der Demokraten läuft wie geschmiert.

Bevor Clooney mit dem Comedian Jimmy Kimmel und Ex-Präsident Obama auf die Bühne geht, um die zahlenden Gäste mit Witzen zu unterhalten, sieht er aus einem Nebeneingang den amerikanischen Präsidenten Joe Biden hereinhumpeln. Clooney bleibt stehen, um Biden zu begrüßen – und da passiert es: Der amtierende Präsident geht auf eine Assistentin gestützt an den ersten Gästen vorbei und ruft ihnen dabei zu: „Thank you for being here.“ Immer wieder sagt er: „Thank you for being here.“ Auch zu George Clooney, der den Präsidenten erstaunt ansieht. „You know George“, sagt jetzt Bidens Assistentin, aber Biden erkennt „George“ ganz offensichtlich nicht, denn er schaut mit seinen starren, winzigen Augen durch den Schauspieler hindurch, als hätte er ihn noch nie gesehen. Der eloquente Clooney, der Biden seit 2006 kennt und ihn zigmal getroffen hat, weiß einmal im Leben nicht, was er sagen soll.

George Clooney und Joe Biden im Dezember 2022 bei einer Veranstaltung im Weißen Haus in Washington.

Das ist auch schon die beste Anekdote in einem ansonsten stilistisch miesen und inhaltlich unstrukturierten, dafür aber ziemlich giftigen Buch, in dem Jake Tapper und Alex Thomson, zwei amerikanische Journalisten, den geistigen und körperlichen Verfall Joe Bidens während seiner Präsidentschaft nachzeichnen.

Das Buch heißt bedeutungsschwer Original Sin, was auf Deutsch mit „Erbsünde“ wiederzugeben wäre, womit laut Bibel der Zustand gemeint ist, in den nach Adam und Evas Sündenfall die Menschen hineingeboren werden (Römerbrief, Kapitel 5, Vers 12). Die Autoren hantieren also gerne mit großen Begriffen, haben aber nur diese eine These: „He totally fucked us“ – ein denkwürdiger Satz, den die USA-Korrespondentin einer weltberühmten Frankfurter Zeitung kompetent so übersetzt hat: „Biden hat uns alle komplett reingelegt“.

Gesenkter Kopf und starrer Blick: Joe Biden bei einem Besuch in Kanada

Und das ist dann auch schon die ganze Aussage dieses Buches, das im Moment in Amerika für Aufregung sorgt, auch wenn darin nicht viel Neues steht. Die Hauptthese von Original Sin lautet schlicht: Biden und seine Berater wussten seit Jahren, dass er körperlich und geistig in einem rapiden Verfall begriffen ist, haben das aber nicht nur jahrelang bestritten, sondern mit geskripteten Reden, inszenierten Kurzauftritten, manipulierten Interviews und zusammengeschnittenen Videos den Eindruck erweckt, als wäre Biden die Gesundheit selbst. Wagte einer, das in Frage zu stellen, dann wurde er von Bidens Beratern (dem sog. Politbüro), Freunden und Familie unverzüglich zurechtgestutzt und mit der geballten Medienmacht des Weißen Hauses abgestraft.

Jetzt, fast ein Jahr nach Bidens katastrophaler Fernsehdiskussion mit Donald Trump, seinem daraufhin von demokratischen Granden erzwungenen Rücktritt als Präsidentschaftskandidat und dem schmählichen Versagen von Kamala Harris – jetzt also fällt zwei Journalisten plötzlich auf, dass Biden seit Jahren zu krank und zu kaputt war, um den schwierigsten Job der Welt auszuüben. Weshalb der Präsident jetzt Donald Trump heißt.

Glaubt man den Autoren von Original Sin, dann allein Biden, seine Familie und sein Küchenkabinett. In Summe neun Leute. Hier sind sie: Jill Biden (Ehefrau), Mike Donilon (Chefstratege), Anita Dunn (Kommunikationsstrategin), Steve Ricchetti (Berater), Ron Klain (ehem. Stabschef und enger Vertrauter), Valerie Biden Owens (Schwester und langjährige Wahlkampfmanagerin), Bruce Reed (stellv. Stabschef), Jeff Zients (amtierender Stabschef), Hunter Biden (Sohn).

Jill Biden führte Ehemann Joe mit festem Griff.

Diese neun Leute, die mit Ausnahme der First Lady und Bidens Sohn Hunter (den wegen seiner Drogenkarriere jeder kennt) keiner kennt und die nie offizielle Kabinettsposten innehatten, haben also die amerikanischen Bürger, die Medien, ja die Weltöffentlichkeit über den Gesundheitszustand des 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten systematisch getäuscht – und damit indirekt den Wahlsieg von Donald Trump zu verantworten.

Diese neun Leutchen – und natürlich der Präsident selbst, der ihr Spiel immer mitgespielt hat – haben aus Familienbande und Freundschaft, aber auch aus Machtgier, Sturheit und Verblendung Amerika und der Welt eine Scharade vorgespielt, deren Drehbuch so ging: Joe ist nicht nur kerngesund, er ist „as sharp as ever“, er ist ein unvergleichlicher „Decision Maker“, er hat die amerikanische Wirtschaft nach Corona mit seinem Inflation Reduction Act (ein milliardenschweres Gesetzwerk aus Umwelt- und Klimaprojekten) wieder auf die Beine gestellt, die Ukraine vor Russland gerettet und die NATO um Schweden und Finnland erweitert. Joe ist außerdem im Gegensatz zum arroganten, narzisstischen, machtbesessenen Trump mitfühlend, spricht die Sprache des einfachen Mannes und kommt bei Frauen und Schwarzen unglaublich gut an, weshalb er allein Trump schlagen kann.

Um ihre These vom großen Schwindel zu begründen, bieten die Autoren ein Sammelsurium von Anekdoten auf, in denen all die Aussetzer, Fehlleistungen, Patzer, Schnitzer, Versprecher, Hänger, Erinnerungslücken und Gedächtnisprobleme Bidens aus den letzten dreißig Jahren sorgfältig aufgelistet werden. Diese Aufzählung des Grauens liest sich so: Gestottert hat Biden, seit er in der Schule war, Namen von Mitarbeitern vergisst er seit den 1980er Jahren, ein guter Redner war er noch nie, ein herausragender Debattierer noch viel weniger. Er kann sich weder an das Todesjahr seines Sohnes Beau erinnern (2015), noch fällt ihm vor Publikum die Einleitung zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, die jedes Schulkind kennt, ein („We hold these truths to be self-evident …“), noch weiß er, wie man zu einem Faxgerät sagt, auch wenn es direkt vor seiner Nase steht.

War Biden geistig noch nie der Stärkste, so geht es ihm körperlich kaum besser: Er leidet unter Reflux, Allergien, Arthrose, Spinalkanalverengung, peripherer Neuropathie in den Füßen, erhöhten Cholesterinwerten, Räuspern und Heiserkeit (wegen Reflux) – und halb taub ist er auch noch. Außerdem hatte er in den 1980er Jahren zwei Hirnaneurysmen, eine Lungenembolie und Vorhofflimmern – Erkrankungen, die möglicherweise bis heute nachwirken. All diese Gebrechen haben Biden und seine Berater der Öffentlichkeit vorenthalten, was auch deshalb gelang, weil der Präsident einen willfährigen Arzt gefunden hatte, der ihm seit seiner Zeit als Obamas Vizepräsident (2009–2017) Jahr für Jahr einen einwandfreien Gesundheitszustand bescheinigte, wobei er auf einen kognitiven Test wohlweislich verzichtete.

Joe Biden im dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama im Weißen Haus.

Dies, sagen die Autoren, sind in Summe die Ursünden von Team Biden. Sünden, die so gewissenlos und so lange begangen werden konnten, weil das Küchenkabinett realistische Wahlprognosen, kritische Journalisten und harte Fragen vom Präsidenten jahrelang fernhielt. Wären die Berater ehrlicher und der Präsident weniger eitel gewesen, so hätte Biden nur eine Amtszeit regiert und den Stab dann an eine jüngere Generation von Demokraten übergeben, deren Bester Trump ganz sicher geschlagen hätten. Worauf jetzt ein Demokrat im Weißen Haus säße.

Sollten Sie jetzt das Gefühl haben, dass in Original Sin eine Verschwörungstheorie ausgebreitet wird, dann hätten Sie recht. Gewisse amerikanische Kreise neigen spätestens seit der Ermordung von John F. Kennedy (1963) zu der Ansicht: Nichts ist, wie es scheint. Das, was wir sehen, ist nicht die Wirklichkeit. Dahinter verbirgt sich eine zweite Wirklichkeit – die eigentliche Wahrheit –, während das davor eine Ansammlung von Lügen, Fake News, Desinformationen und Propaganda darstellt.

Wie alle Verschwörungstheorien will auch Original Sin eine komplexe Wirklichkeit auf wenige, simple Parameter reduzieren, um ein Narrativ in einfacher Sprache zu erzeugen, welches das Versagen der amerikanischen Medien und die höchst realen Gründe für Trumps zweiten Wahlsieg wegzuerklären versucht.

Denn davon ist in diesem schnell dahingeschriebenen Buch nie die Rede: Zum Lügen gehören immer zwei – einer, der lügt, und einer, der die Lügen glaubt. Und die Lügen des Küchenkabinetts wurden jahrelang von praktisch allen amerikanischen (und natürlich auch den deutschen) Medien gerne geglaubt. Keine Zeitung, kein Fernsehsender, kein investigativer Journalist – weder die New York Times (die die Vietnam Papers veröffentlicht hat), noch die Washington Post (die Watergate aufdeckte), noch der britische Guardian (der Edward Snowden prominent machte) – haben jemals Bidens körperliche und geistige Fähigkeiten auch nur ansatzweise in Zweifel gezogen. Auch Jake Tapper, einer der Autoren von Original Sin, der als einer der Lead-Journalisten von CNN Zugang zu hochrangigen Gästen aus dem Weißen Haus hatte und bei Republikanern gerne als harter Fragesteller auftrat, hat nie ein Wort des Zweifels an Bidens kognitivem Zustand geäußert.

Journalist und Autor Jake Tapper bei der Vorstellung seines Buches in New York City.

Von hunderten meinungsbildenden Großmedien auf der ganzen Welt hat allein das Wall Street Journal in einem großen und aufwändig recherchierten Beitrag („Behind Closed Doors, Biden Shows Signs of Slipping“) im Juni 2024 erstmals vorsichtig das ausgesprochen, was ganz normalen Fernsehzuschauern, die Biden seit Jahren fallen, stürzen und stolpern sahen, längst klar war: Der Präsident redet andauernd mit heiserer Flüsterstimme, vergisst Namen, Daten und Fakten, kann nie mehr ohne Notizen und Teleprompter reden und wirkt ganz allgemein greisenhaft und gebrechlich.

In Original Sin aber wird das Schweigekartell der liberalen Medien ebenso wenig thematisiert wie die Tatsache, dass die Demokraten die letzte Wahl gegen Trump keineswegs deshalb verloren haben, weil ein seniler Biden und eine überforderte Kamala Harris ihrer Sache nicht gewachsen waren – sondern deswegen, weil Biden und Harris während ihrer ersten Amtszeit politisch versagt und im Wahlkampf Inhalte thematisiert haben, die für die Mehrheit der Amerikaner nicht wichtig waren.

Joe Biden neben seiner Vizepräsidentin Kamala Harris bei Trumps Vereidigung zum US-Präsidenten.

Während Biden Klimaschutz, das Recht auf Abtreibung und Unterstützung für die Ukraine in den Mittelpunkt stellte und Harris sich für kostenlose Geschlechtsumwandlungen für Immigranten und Gefangene einsetzte, versprach Trump Steuersenkungen, eins starke Wirtschaft, sichere Grenzen, Massendeportationen illegaler Einwanderer, Härte gegen Kriminelle, Druck auf China und das Ende der Unterstützung für die Ukraine. Das waren ganz klar die Punkte, welche die Wähler überzeugt haben – und deshalb wurde Trump wiedergewählt. Aber nicht, weil Biden seit Jahren ein Tattergreis war.

Die beiden Autoren von Original Sin haben sich vielleicht gedacht, dass sie hier ein großes Buch vorgelegt hätten wie einst (1974) Carl Bernstein und Bob Woodward mit All the President’s Men, in dem die Watergate-Affäre spektakulär enthüllt, Richard Nixon als Politiker vernichtet und sein Ruf für immer ruiniert wurde. Sollten sie das tatsächlich angenommen haben, dann ist der Schuss gründlich nach hinten losgegangen, weil sie – im Gegensatz zu Bernstein und Woodward – keine weitgespannte Intrige enthüllt haben, sondern nur die kleinlichen Manipulationen einer machtbesessenen Küchenclique, die am Wahlabend endlich ihr verdientes Schicksal ereilt hat.

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