
Jeder kennt das von Familienfeiern: Da ist dieser eine seltsame Onkel. Erst wirkt er nur schräg. Aber je länger der Abend dauert, desto mehr fängt er an, echt eigenartiges Zeug zu erzählen. Das drückt zunehmend auf die Stimmung. Die ersten Gäste suchen das Weite. Und die Hausherren fragen sich mit wachsender Verzweiflung:
Wie werden wir den bloß wieder los?
Ganz ähnlich ist es offenbar der SPD nach dem Bruch der Ampel-Koalition gegangen. Da wären die Sozialdemokraten so gerne mit frischem Schwung und Zuversicht in die vorgezogenen Bundestagswahlen gestartet. Zum erhofften Signal des Aufbruchs zu neuen Ufern hätte freilich auch ein brandneuer Spitzenkandidat gehört.
Aber der alte wollte ums Verrecken nicht gehen.
Der Berliner „Tagesspiegel“ und T-Online berichten übereinstimmend, dass die SPD-Parteiführung viel lieber mit Verteidigungsminister Boris Pistorius als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf gezogen wäre. Mindestens zweimal soll Parteichef Lars Klingbeil bei Olaf Scholz vorstellig geworden sein, um ihn darum zu bitten – nein, eigentlich um ihn auf Knien anzuflehen, nicht wieder anzutreten und Platz für Pistorius zu machen.
Letzterer ist seit langem stabil der mit Abstand beliebteste Politiker in Deutschland. Offenbar waren damals neben Klingbeil auch dessen Co-Vorsitzende Saskia Esken und Generalsekretär Matthias Miersch davon überzeugt, dass die Wahlen mit Scholz als Kanzlerkandidat unmöglich zu gewinnen seien.
Nur Olaf Scholz war davon nun so gar nicht zu überzeugen.
Das Ganze erinnert verblüffend an die US-Wahlen. Da war der galoppierende körperliche und vor allem geistige Verfall von Präsident Joe Biden irgendwann beim besten Willen nicht mehr zu übertünchen. Aber der seltsame Onkel wollte einfach nicht gehen. Am Schluss haben die Dems ihn dann mehr oder weniger rüde zur Abdankung aus dem Wahlkampf gezwungen.
Seine Ersatzkandidatin Kamala Harris hat die Wahl dann bekanntlich trotzdem krachend gegen Donald Trump verloren. Die Dems haben für das Desaster auch schnell einen Schuldigen gefunden: Natürlich lag es nicht an der eigenen Politik. Es lag an Joe Biden, weil der sich nicht früh genug zurückgezogen hatte.
Das ist natürlich Quatsch, aber so funktionieren „schonungslose Analysen“ in der Politik eben: Mit Analyse hat das nichts zu tun. Es geht allein darum, bei wem am Ende der Schwarze Peter hängenbleibt.
Genauso läuft es jetzt auch bei der SPD.
Denn natürlich ist es kein Zufall, dass die oben geschilderten Informationen aus dem innersten Führungszirkel der Sozialdemokraten ausgerechnet jetzt bei „Tagesspiegel“ und T-Online gelandet sind. Was da gerade vorbereitet wird, ist die Erzählung, wer an der absehbaren Wahlkatastrophe der SPD am 23. Februar die Hauptschuld trägt.
Spoiler: Es werden nicht die politischen Inhalte der Partei sein. Die waren tadellos und über jeden Zweifel erhaben. Es wird auch nicht Boris Pistorius sein, der Kanzlerkandidat der roten Herzen, der ohne eigenes Verschulden nicht Zugpferd seiner Partei werden durfte.
Doch es sollen auch nicht Saskia Esken, Lars Klingbeil und Matthias Miersch sein. Dafür versuchen die genannten Drei jedenfalls jetzt schon zu sorgen. Ihre Geschichte geht so: Sie wollten ja mit dem aussichtsreichen Pistorius in den Wahlkampf ziehen. Aber Olaf Scholz hat das starrsinnig verhindert.
Für die SPD wird diese Bundestagswahl wohl so enden wie viele Familienfeiern: Der seltsame Onkel erzählt immer mehr eigenartiges Zeug und vertreibt immer mehr Gäste (in diesem Fall Wähler). Die Hausherren sind verzweifelt, wissen aber auch nicht, was sie machen sollen.
Am Schluss hat jeder schlechte Laune, und die Party ist vorbei.
Am 23. Februar ist die Urnenwahl zum Bundestag. Liegen Sie mit Ihrer Prognose besser als die Demoskopen? Machen Sie mit bei der TE-Wahlwette!