
In der CBS-Sendung 60 Minutes erfuhr die Welt: In Deutschland drohen Hausdurchsuchungen wegen falscher Äußerungen im Internet. Drei Staatsanwälte aus Göttingen stehen seither für eine außer Kontrolle geratene Staatsanwaltschaft, Vertreter eines autoritären Staats, der aufmüpfige Bürger im Namen der Regierung bekämpft ...
NIUS sprach mit Rechtsprofessor Prof. Dr. Martin Schwab über ein Element des deutschen Staatswesens, das immer wieder für Diskussionen sorgt: Staatsanwälte sind hierzulande nicht unabhängig, sondern weisungsgebunden. Diese Besonderheit – die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft – prägt die heutige Bundesrepublik, in der die Meinungsfreiheit bedroht ist wie noch nie zuvor.
NIUS: Ist die deutsche Weisungsgebundenheit ein deutscher Sonderweg?
Prof. Dr. Martin Schwab: Aus anderen Ländern hört man immer wieder, dass Staatsanwälte dort unabhängiger sein sollen als bei uns.
NIUS: Okay, können Sie erst einmal erklären, was das überhaupt bedeutet?
Prof. Dr. Martin Schwab: Die Weisungsbindung der Staatsanwaltschaft in Deutschland ist in § 146 und § 147 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) geregelt. In § 146 GVG steht, dass ein Staatsanwalt den Weisungen seines Vorgesetzten Folge zu leisten hat. In § 147 GVG steht, wer diese Weisungen überhaupt erteilen darf. Dabei unterscheiden wir zwischen internen und externen Weisungen. Externe Weisungen kommen von Ministern, interne von den übergeordneten Staatsanwaltsstellen. Der Generalbundesanwalt erteilt Weisungen an die ihm unterstellten Staatsanwälte, der Generalstaatsanwalt eines Bundeslandes weist den Leitenden Oberstaatsanwalt beim Landgericht an, dieser wiederum den Oberstaatsanwalt, und so weiter – das geht die Hierarchie nach unten. Es handelt sich also um ein internes Weisungsrecht, das von den Leitungen der jeweiligen Staatsanwaltschaft ausgeübt wird.
Prof. Dr. Martin Schwab
NIUS: In den USA führt Staatsanwalt Ken Paxton in Texas einen Prozess gegen Pfizer – er hat das als Staatsanwalt selbst angestoßen. Wäre das in Deutschland im Rahmen unseres Systems denkbar? Also, dass eine Staatsanwaltschaft gegen BioNTech klagt?
Schwab: Das ist theoretisch nicht unmöglich, aber in der Praxis äußerst unwahrscheinlich. In der Corona-Zeit haben wir eine massive Schieflage beim Ermittlungseifer der Staatsanwaltschaften beobachtet. Ein Whistleblower aus Baden-Württemberg veröffentlichte etwa eine Anweisung des Generalstaatsanwalts beim OLG Stuttgart vom 10.2.2021. Darin hieß es sinngemäß: Kommt bloß nicht auf die Idee, jemanden zu obduzieren, der direkt nach der Impfung stirbt – das reiche als Anfangsverdacht für eine Straftat nicht aus. Das ist nicht als interne Weisung formuliert, doch kündigt der Generalstaatsanwalt an, sein Schreiben dem Landesjustizminister von Baden-Württemberg und dem Generalstaatsanwalt beim OLG Karlsruhe zur Kenntnis zu bringen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist auf dieser Grundlage eine entsprechende Weisung an die nachgeordneten Dienststellen ergangen. Die Praxis der Staatsanwälte in Baden-Württemberg lautete schlicht: Wir wollen gar nicht wissen, ob jemand an der Impfung gestorben ist. Wir wollen es schlicht nicht herausfinden.
Wenn ich dann sehe, was heute alles als „Volksverhetzung“ verfolgt wird – und was nicht –, dann erkennt man ein klares Muster: Corona-Maßnahmenkritiker werden beim kleinsten Nazi-Vergleich strafrechtlich verfolgt, während die Propagandatreiber unbehelligt bleiben.
Das jüngste Beispiel kommt aus Haßfurt. Dort wurde jemand angeklagt, weil er eine Illustration gepostet hat, die Sarah Bosetti mit ihrem „Blinddarm“-Zitat zeigt – daneben ein Zitat von Fritz Klein, dem KZ-Arzt, der dereinst sagte, die Juden seien wie ein eiternder Blinddarm Europas. Bosetti bediente sich damit ganz klar eines nazistischen Sprachbilds, um Ungeimpfte zu entmenschlichen – das ist Volksverhetzung im klassischen Sinn. Doch sie wird nicht belangt. Stattdessen wird derjenige strafrechtlich verfolgt, der auf die historische Parallele hinweist.
Das ist nicht haltbar. Erstens wird dadurch der Holocaust nicht verharmlost – es geht nicht um einen Vergleich von Ungeimpften und Juden, also nicht um einen Vergleich der Adressaten der Ausgrenzung, sondern allein um einen Vergleich der rhetorischen Mechanismen der Ausgrenzung. Und diese Mechanismen waren damals wie heute gleichermaßen abstoßend. Zweitens haben nicht die Maßnahmenkritiker den öffentlichen Frieden gestört, sondern die Impffanatiker mit ihrer Hetze. Dass das Amtsgericht Haßfurt für diesen auf der Hand liegenden Vergleich einen Strafbefehl erlässt und ein Hauptverfahren eröffnet, ist ein Skandal.
NIUS: Wie kommt ein Staatsanwalt dazu, so etwas anzuklagen?
Schwab: Entweder er wurde angewiesen, gegen BioNTech oder gegen die Impfbefürworter nicht zu ermitteln – wohl aber gegen Kritiker. Oder aber wir haben es mit vorauseilendem Gehorsam zu tun: Staatsanwälte wissen genau, was ihrer Karriere schadet – und was ihr nützt.
Ob eine Weisung in diesem Sinne existiert, werden wir nie erfahren. Die einzigen Weisungen, die wir als Öffentlichkeit zu sehen bekommen, sind die generellen Richtlinien – etwa die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) oder über Mitteilungen in Strafsachen (MiStra). Die sind öffentlich, die kennt auch jeder Strafverteidiger. Aber Einzelweisungen – wie im Fall Stuttgart – bekommt man nicht zu Gesicht, außer ein Whistleblower veröffentlicht sie.
NIUS: Die können ja auch „mündlich“ sein – wie wir spätestens seit Merkels Grenzanweisung wissen. Und diese Schieflage erklärt sich für mich am ehesten durch vorauseilenden Gehorsam – eine Erklärung, die am wenigsten voraussetzt, aber umso plausibler ist. Ein Staatsanwalt, der sich offen gegen die Regierung stellt, weiß, dass er Probleme bekommt. Das sieht man aktuell an der Cum-Ex-Oberstaatsanwältin. Wie beurteilen Sie das?
Schwab: Ja, die frühere Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker ist ein gutes Beispiel. Sie hat irgendwann das Handtuch geworfen, weil sie merkte, dass sie für ihre Ermittlungen keinerlei politische Rückendeckung bekam. Kaum war sie aus dem Dienst ausgeschieden, wurde ein Ermittlungsverfahren gegen sie wiederbelebt, das bereits 2021 angestoßen worden war, seither aber ruhte. Angeblich soll Anne Brorhilker vertrauliche Informationen an den Anwalt eines Angeklagten im Cum-Ex-Komplex weitergeleitet haben, der diese dann an die Süddeutsche Zeitung durchgestochen haben soll. Einem Bericht von Legal Tribune Online vom 14.5.2025 zufolge soll auch noch gar kein förmliches Ermittlungsverfahren gegen Anne Brorhilker eingeleitet worden sein, sondern nur geprüft werden, ob der für ein solches Verfahren erforderliche Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) überhaupt vorliegt. Aber wie dem auch sei – Anne Brorhilker steht unter Beschuss.
Anne Brorhilker, Oberstaatsanwältin, führte den Prozess um die Cum-Ex-Deals an.
Schwab: Im Prinz-Reuß-Prozess erleben wir ständig, wie aus Ermittlungsakten an die Presse durchgestochen wird – insbesondere an öffentlich-rechtliche Medien. In mindestens einem Fall ist sogar beweisbar, dass die Informationen direkt von den Ermittlungsbehörden kamen. Denn in dem entsprechenden Medienbericht – einer ARD-„Dokumentation“, die am 5.12.2023 und damit drei Tage vor Erhebung der Anklage ausgestrahlt wurde – ist explizit davon die Rede, dass die Autoren dieses Films ihre Informationen aus internen Akten von den Ermittlungsbehörden haben. Und schon über die Razzia am 7.12.2022 waren ausgewählte Journalisten zwei Wochen zuvor informiert worden – die dann mit ihren Kamerateams live dabei waren. Das Ziel einer solchen „Berichterstattung“ ist klar: (Scheinbar) belastendes Material wird aus dem Kontext gerissen, selektiv weitergegeben und berichtet, damit das Publikum glaubt, die Prinz-Reuß-Gruppe sei ein gefährliches Netzwerk. Die mediale Vorverurteilung soll das Gericht unter Druck setzen.
Der Journalist Alexander Wallasch hat dazu einmal nachgefragt: Wird gegen den Verrat der geplanten Razzia in den Räumen von Prinz Reuß und seinen Mitbeschuldigten eigentlich ermittelt? Die Antwort war: Nein, der Täterkreis sei zu groß, da könne man nichts machen. Nach dem Motto: Was wir nicht wissen, macht uns nicht heiß. Aber bei Frau Brorhilker, die der politischen Kaste auf die Füße tritt, wird sofort die Keule ausgepackt.
Auch das zeigt die Schieflage: Sobald ein Staatsanwalt nicht das tut, was politisch gewollt ist, bekommt er Probleme.
NIUS: Und damit unterläuft man doch die Gewaltenteilung. Die Staatsanwaltschaft ist dann kein unabhängiges Organ mehr.
Schwab: So ist es. Nach aktuellem Stand gelten Staatsanwälte als Teil der Exekutive – daraus leitet sich auch das Weisungsrecht des Ministers ab. Denn der Minister trägt parlamentarische Verantwortung für seinen Geschäftsbereich – und kann diese Verantwortung nicht übernehmen, wenn er keine Weisungen erteilen darf. Will man das ändern, müsste man die Staatsanwaltschaft dem Bereich der Rechtsprechung zuordnen und mit richterlicher Unabhängigkeit ausstatten. Dann wäre ein Weisungsrecht ausgeschlossen.
NIUS: Genau das wollte ja der EuGH 2019 andeuten.
Schwab: Ja, nämlich mit Urteil vom 27. Mai 2019. Der Europäische Gerichtshof hat darin ausgesprochen: Eine deutsche Staatsanwaltschaft darf keinen europäischen Haftbefehl erlassen, solange sie politisch weisungsabhängig ist. Diese Botschaft war unmissverständlich.
In der Folge gab es Reformüberlegungen. Einige Politiker wollten das Weisungsrecht reformieren – aber letztlich ist nichts passiert. Die Justizministerkonferenz hat sich irgendwann nicht mehr darum gekümmert. Im Koalitionsvertrag der Ampel stand, man wolle die Weisungsstruktur den Vorgaben des EuGH anpassen. Passiert ist: nichts. Und dann ist die Koalition vorzeitig zerbrochen. Kurz gesagt: Das Thema ist bis heute eine rechtspolitische Baustelle geblieben.
NIUS: Das Weisungsrecht gibt es seit dem Kaiserreich. Man kann also sagen: Es zieht sich durch die gesamte deutsche Rechtsgeschichte – Weimar, Nationalsozialismus, Bundesrepublik – ohne tiefgreifende Reform. Folgt das alles autoritären Ideen aus der Kaiserzeit?
Schwab: Ja, möglicherweise gehen die historischen Wurzeln sogar noch weiter zurück. Das juristische Staatsexamen, wie wir es heute kennen, ist im Wesentlichen das, was schon vor über 150 Jahren in Preußen zur Rekrutierung von Beamten diente. Es ging immer darum, loyale Staatsdiener heranzuziehen.
Im ersten Examen darf man vielleicht noch ein bisschen selbst denken. Aber schon da gilt: Weiche ich von der gängigen Meinung ab, kann der Korrektor oft nicht damit umgehen. Eine Lösung abseits der Musterlösung muss man also ganz besonders sorgfältig und für den Prüfer nachvollziehbar herleiten. Im zweiten Examen zählt nur noch die höchstrichterliche Rechtsprechung. Das ganze System kühlt Denken auf bloßes Wissen herunter. Ich kann mir gut vorstellen, dass das in Preußen nicht anders war.
Wir haben diese Struktur: Ein Beamter hat Befehle zu befolgen – und der Staatsanwalt ist Beamter. Diese Logik scheint tief in der DNA der deutschen Staatsanwaltschaft verankert zu sein.
NIUS: Ich komme nochmal zurück zum EuGH: Er hat klargemacht, dass deutsche Staatsanwaltschaften politisch beeinflussbar sind. Sein Maßstab war die Unabhängigkeit der Judikative – und diesem Maßstab wird Deutschland in diesem Punkt aktuell nicht gerecht. Wenn ich jetzt als Bürger die Regierung anklagen will – wer sollte das überhaupt tun, wenn nicht die Staatsanwaltschaft? Welche Instanz außer sie käme infrage, wirksam gegen Rechtsbrüche der Regierungspolitik zu ermitteln und vorzugehen, wenn nicht die Staatsanwaltschaften?
Die drei Türme Rocca, Montesquieu und Comenius des Europäischen Gerichtshofs (EuGH)
Schwab: Zur Erhebung der öffentlichen Klage ist laut § 152 Absatz 1 StPO allein die Staatsanwaltschaft berufen. Privatpersonen können allenfalls versuchen, ein Klageerzwingungsverfahren anzustrengen, wenn sie selbst in ihren Rechten verletzt wurden. Aber diese Verfahren verlaufen in 99 Prozent der Fälle im Sande – die Gerichte stützen meist die Untätigkeit der Staatsanwaltschaft.
Der normale Bürger hat keinen Einfluss auf die Staatsanwaltschaft. Und auch innerhalb der Staatsanwaltschaft ist das System rigide. Wenn ein Staatsanwalt wirklich ermitteln will – etwa gegen die Regierung – und bekommt eine Weisung, dies zu unterlassen, steht er vor einem Dilemma, für das das geltende Recht keinen Ausweg bietet.
Befolgt er die Weisung, obwohl die Ermittlungen gerechtfertigt wären, macht er sich wegen Strafvereitelung im Amt strafbar. Ignoriert er sie, droht ein Disziplinarverfahren. Es gibt keinen Rechtsbehelf, mit dem er sich absichern könnte. Er hat keine Möglichkeit, gerichtlich feststellen zu lassen, dass er zur Ermittlung verpflichtet sei.
Weil also kein Ausweg aus diesem Dilemma existiert, ziehen viele Staatsanwälte es vor, sich nach der Decke zu strecken und zu sagen: Solange ich gedeckt bin, passiert mir nichts. Dann verstoße ich eben gegen den Legalitätsgrundsatz und ermittle nicht – obwohl ich müsste. Hauptsache, ich führe meine Befehle korrekt aus.
Wenn sich dann aber der Wind dreht und ihn selbst ein Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung im Amt ereilt, wird es für ihn eng: Denn eine Weisung, durch deren Befolgung er sich strafbar machen würde, darf ein Staatsanwalt nicht befolgen. Man wird ihm also vorwerfen, er hätte die Weisung ignorieren müssen. Sein Vorgesetzter wird von einer Weisung nichts wissen wollen, weil er genau weiß, dass er dann selbst ins Visier strafrechtlicher Verfolgung geraten wird. Er wird, um seine eigene Haut zu retten, den Staatsanwalt, den er angewiesen hat, eiskalt fallenlassen. Einem Staatsanwalt, dem die Weisung erteilt wird, trotz ausreichenden Tatverdachts nicht zu ermitteln, kann ich nur raten, sich die Weisung schriftlich geben zu lassen. Die strafrechtliche Verantwortung kann ein Staatsanwalt zwar dadurch nicht delegieren – aber er kann, wenn später gegen ihn selbst ermittelt wird, seinen Vorgesetzten mit hineinziehen.
Die Tatsache, dass ein Staatsanwalt in eine solche Zwickmühle gesteckt wird, stellt einen Konstruktionsfehler unseres Rechtssystems dar – ebenso wie die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft generell.
NIUS: Vielen Dank für das Gespräch!
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