
Das Beschaffungsamt der Bundeswehr ist in der Truppe berüchtigt – für Paragraphenreiterei, einen Wust an Vorschriften und sich wie ein Kaugummi ziehende Genehmigungsprozesse. Ausgerechnet diese aufgeblähte Behörde soll die Streitkräfte nun rasch und effizient für den Kriegsfall rüsten.
11.800 Mitarbeiter an 116 Standorten hat das Beschaffungsamt der Bundeswehr (offizielle Bezeichnung: Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, kurz BAAINBw). Hauptaufgabe der größten technischen Behörde in Deutschland, die dem Verteidigungsministerium unterstellt ist, ist die Ausstattung der Streitkräfte mit leistungsfähigem und sicherem Gerät. In der Bundeswehr sind etwa 182.000 Soldaten aktiv, auf etwa 16 kommt also ein Beschaffer. (In der Summe werden sie sogar von gut 80.000 zivilen Mitarbeitern verwaltet.) Der Zuständigkeitsbereich des BAAINBw reicht von Waffensystemen wie Panzern, Kampfjets und Kriegsschiffen bis zur persönlichen Ausrüstung der Soldaten inklusive Socken und Feldflaschen.
Problem: Das Beschaffungswesen hat in der Truppe einen denkbar schlechten Ruf. Die Koblenzer Mammutbehörde ist für Kritiker Inbegriff für Ineffizienz, Schwerfälligkeit und Bürokratie, für Elon Musks DOGE wäre sie eine wahre Fundgrube. Die Abläufe seien „komplett dysfunktional“, sagte ein langgedienter Berufssoldat NIUS, „eine Katastrophe“. Die Suche nach der technisch perfekten Lösung zu finden und nur die zu bestellen, die sogenannte „Goldrandlösung“, führe nur zur unendlichen Verzögerung der Bestellung, mache den Prozess langwierig und teuer. Mitunter wurde gefordert, die ganze Behörde aufzulösen und von Grund auf neu aufzubauen.
Der Sitz des BAAINBw im ehemaligen preußischen Regierungsgebäude am Rheinufer in Koblenz.
Nun aber sitzt das Beschaffungswesen seit dem „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro von der Ampel-Regierung („Zeitenwende“) und erst recht nach dem Sondierungsbeschluss von Union und SPD, zusätzlich mindestens 400 Milliarden in die Aufrüstung zu pumpen, auf einem großen Berg Geld. In friedlichen Zeiten hatte das Beschaffungsamt viel Zeit und weniger Geld, jetzt plötzlich soll alles ganz schnell gehen. Nur werden die enormen Summen den Apparat nicht unbedingt beschleunigen, auch wenn die Präsidentin Annette Lehnigk-Emden 2023 nach ihrer Ernennung in den ARD-Tagesthemen behauptete, die „motivierten, fachlich sehr kompetenten“ Mitarbeiter freuten sich nach der „Entfesselung“ darauf, zeigen zu können, wie „flexibel und effizient“ sie arbeiten könnten.
Tatsächlich beschränkt sich die Tätigkeit des Amtes nicht auf die Beschaffung von Material, es ist auch für Erprobungen und Entwicklungen zuständig. Aber bürokratische Vorgänge behindern die Behörde immer wieder. Auf die Vorgaben des Planungsamtes folgt die Erstellung der Leistungsbeschreibung, die von den Teilstreitkräften bearbeitet wird, dann das Vergabeverfahren. Da Firmen, die den Zuschlag am Ende nicht erhalten, die klagen können, zieht sich der Vorgang oft in die Länge.
Ein berüchtigtes Beispiel ist der Schützenpanzer Puma: Die Beschaffung läuft seit fast 30 Jahren und aus den ursprünglich veranschlagten drei Milliarden Euro Kosten werden am Ende wohl 14 Milliarden. Das Beschaffungsamt hatte über 300 Änderungswünsche – darunter beheizte Sitze und aufwendige Elektronik. Das trieb die Kosten auf über 6 Millionen Euro pro Fahrzeug und führte zu technischen Problemen. 2022 waren von 350 Pumas nur etwa 150 einsatzbereit, und bei einer Übung fielen zeitweise alle 18 eingesetzten Fahrzeuge aus.
Die Beschaffung des Schützenpanzers Puma geriet zum Fiasko.
Die Überbürokratisierung und Regulierungswut sorgt immer wieder für verrückte Fälle. „Während fast alle Länder für ihr militärisches Gerät schnell und unkompliziert Sonderzulassungen erteilen, müssen in Deutschland Kampfjets und Panzer dieselben Vorschriften erfüllen wie Fahrräder und Autos“, berichtete die NZZ kürzlich. „Das heißt: Bei deutschen Panzern wird der Feinstaubwert gemessen und über schwangerschaftstaugliche Sitze diskutiert.“
2023 wurde bekannt, dass die neuen digitalen Funkgeräte des deutschen Herstellers Rohde & Schwarz, die man für ca. 1,3 Milliarden Euro angeschafft hatte, zum Teil nicht in die Fahrzeugtypen der Bundeswehr passen. Zudem reicht bei einigen die Batterieleistung nicht für den Funk, bei anderen braucht man zusätzliche Kühlung. Offenbar hatte man nicht mit der Abteilung Kommunikationsgeräte gesprochen.
Auch die Angst der Beamten, die rechtlich immer noch komplizierten Vorgaben nicht zu erfüllen und deshalb im Fall einer vagen Formulierung im Vertrag lieber zu verzögern als eine falsche Entscheidung zu treffen, spielt eine verhängnisvolle Rolle bei den Entscheidungsprozessen. Immer wieder wird der Behörde vorgeworfen, ein planwirtschaftlich orientierter Verwaltungsmoloch zu sein, der Prozesse eher verzögere als beschleunige. Vor zwei Jahren sagte CDU-Chef Friedrich Merz, das Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz sei eher ein Hindernis als dienlich.
Ob Annette Lehnigk-Emden daran etwas ändern kann? Gerade jetzt steht die Bundeswehr vor einem Beschaffungsberg, und die Politik macht Druck, unter anderem mit dem Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (!), das Verteidigungsminister Boris Pistorius auf den Weg brachte, nun warnt sie vor einem Krieg mit Russland binnen weniger Jahre. Die Präsidentin des BAAINBw, gelernte Juristin (trat 1991 in die Bundeswehrverwaltung ein und ist seitdem durchgehend mit Rüstungsaufgaben betraut), hat nun sehr viel mehr Geld zur Verfügung, aber das sorgt ja nicht automatisch für mehr Effizienz.
Annette Lehnigk-Emden, Präsidentin der Mammutbehörde, und Verteidigungsminister Boris Pistorius.
Sie wolle sich „selbstauferlegte Prozesse und Verfahren genauer angucken und alles, was wir nicht brauchen, aussetzen“, versprach Lehnigk-Emden nach ihrem Amtsantritt. Aber ist eine 64-Jährige, die seit dreieinhalb Jahrzehnten als Verwaltungsjuristin den Missstand der Behörde geradezu verkörpert, die Richtige, um das Amt zu reformieren? Der Zeit sagte sie kürzlich: „Es gibt aber kein Amazon für die Bundeswehr. Wir können nicht einfach Dinge bestellen und zwei Tage später werden sie geliefert.“ Viele große Projekte brauchten einfach Zeit. Zu Pistorius‘ Forderung nach „Handschlagdeals“, um die Prozesse zu beschleunigen, sagte sie, ganz Juristin, die rechtsverbindliche Bestellung müsse durch die Vergabestelle erfolgen.
Das derzeitige Problem besteht darin, eine Bundeswehr, die Pistorius bei seinem Amtsantritt als „nicht verteidigungsfähig“ bezeichnete, die „zur Behördenlandschaft verkommen“ ist (Kapitän Johannes Schmidt-Thomée) und die „mehr oder weniger blank dasteht“ (Heeresinspekteur Alfons Mais 2022) mit viel Geld – vom Personal ganz zu schweigen – wieder „kriegstüchtig“ zu machen. Eine Armee, die Munition für zwei Tage Krieg hat, weil jahrelang kaum welche bestellt wurde und die Industrie deshalb ihre Produktionskapazitäten reduziert hat.
Jetzt muss Material, das an die Ukraine geliefert wurde, für die Bundeswehr ersetzt werden – und gleichzeitig soll sie sich auf einen Krieg mit Russland vorbereiten, in dem uns die Vereinigten Staaten von Amerika angeblich nicht mehr schützen wollen. Viel Zeit für „rechtssichere Beschaffung“ bleibt da nicht, das BAAINBw müsste komplett umdenken. Zumal es wichtige Bereiche gibt, welche die US-Streitkräfte ganz oder zum größten Teil beherrschen: strategische Kommunikation und Aufklärung, weitreichende Präzisionswaffen und Luftverteidigung. Laut Politikwissenschafter und Militärexperte Carlo Masala verfügt Deutschland derzeit über ganze acht Flugabwehrsysteme von Typ Patriot: „Wenn Sie diese gut positionieren, sind Sie in der Lage, Berlin zu schützen. Keine andere deutsche Stadt.“
Nach dem 100-Milliarden-„Sondervermögen“ (NIUS berichtete) wurden 4 Milliarden Euro für das israelische Luftabwehrsystem Arrow 3 bezahlt, das Ende 2025 einsatzbereit sein soll, und 3,8 Milliarden Euro für vier Patriot-Flugabwehrsysteme plus 400 passende Lenkflugkörper (100 weitere Flugkörper wurden im Sommer 2024 für rund 200 Millionen Euro nachbestellt). In Zukunft dürften deutlich höhere Investitionen in diesem Sektor getätigt werden. 10 Milliarden Euro sind eingeplant für 35 Kampfjets des Typs F-35, für rund 7 Milliarden Euro möchte man 60 Chinook-Transporthubschrauber beschaffen. 5,3 Milliarden Euro kosten vier Fregatten aus der Niedersachsen-Klasse, 2,9 Milliarden Euro 105 Kampfpanzer des Typs Leopard 2 A8.
Das Arrow-3-System kann Raketen und andere Flugkoerper abfangen, die in einer Höhe von bis zu 100 Kilometern anfliegen.
Bis zu 41 Milliarden des „Sondervermögens“ wurden für die Luftwaffe eingeplant (neben den F-35 und den Transporthubschraubern auch ein Eurofighter-Nachfolger), 16,6 Milliarden für das Heer (Schützenpanzer, Truppentransporter), 8,8 Milliarden für die Marine (Korvetten, eine neue Fregatte) und über 20 Milliarden für die Verbesserung der veralteten Kommunikationssysteme (Digitalisierung).
Wohin fließen nun die 400 Milliarden? Allein in Cyber-Abwehr und Digitalisierung sollen es ca. 150 Milliarden sein, für Transport und Logistik 100 Milliarden, 8,8 Milliarden für Flugabwehr und Großsysteme nach dem Vorbild Israels und der USA. Zur Drohnenabwehr wird das Flugabwehrsystem „Skyranger“ angeschafft.
Die große Frage ist: Wird das Beschaffungsamt die benötigten Waffensysteme rechtzeitig besorgen, vorausgesetzt, die Befürchtungen hinsichtlich eines Angriffs bewahrheiten sich? Bisher hat es schon Probleme, die Soldaten der Bundeswehr mit genügend Socken, warmer Unterwäsche oder Schutzwesten auszurüsten, weil es zu langsam liefert oder die Bestände nicht rechtzeitig auffüllt. Hinzu kommt: Wie der Ukraine-Krieg zeigt, ist die Innovationszeit drastisch zusammengeschrumpft, die Rüstungsindustrie muss im Ernstfall auf schnelle Veränderungen in der elektronischen Kampfführung reagieren können – und die Behörde eben auch.
Außerdem wird dringend Personal benötigt – statt der rund 182.000 aktiven Soldaten eigentlich das doppelte. Für die längst auch die nötige Infrastruktur fehlt: Rekrutierungszentren, Ausbilder. Und vor allem Unterkünfte: Mit der schrittweisen Verkleinerung der Bundeswehr ging die Schließung von Standorten und Kasernen einher, seit den 80er Jahren, als sie mit etwa 500.000 Soldaten ihre höchste Personalstärke erreicht hatte, dürften 300 bis 400 geschlossen worden sein.
Zusammengefasst: Da es die Streitkräfte auf allen Ebenen zu erneuern gilt, sind Effizienz und Tempo das A und O, um die Bundeswehr „kriegstüchtig“ zu machen. Für beides ist das Beschaffungsamt in Koblenz nicht bekannt, weil verbeamtete Juristen jahrzehntelang damit beschäftigt waren, für rechtssichere Abläufe zu sorgen. Leider gut möglich, dass dieses Bürokratiemonster große Teile der 400 Milliarden Euro ineffektiv einsetzt. Und wenn „entscheidende Truppenteile maximal zwei Tage in einem Gefecht durchhalten können“ (CDU-Mann Johann Wadephul), kann man sich eigentlich kein Heer von Drehstuhlpiloten leisten, die zuweilen Jahre für die Genehmigung eines Projekts brauchen.
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