Kanzler-Krise in der Union: Wie Friedrich Merz die eigenen Anhänger und Landesfürsten gegen sich aufbringt

vor etwa 3 Stunden

Blog Image
Bildquelle: NiUS

„Ich erwache jeden Tag in einem politischen Alptraum“, sagt ein CDU-Mittelständler aus Hessen. In Hessen regiert die Union. Seine Welt sollte also eigentlich in Ordnung sein. „So kurios es klingt“, sagt er, „mein Problem hat einen Namen: Friedrich Merz!“

So wie ihm geht es derzeit vielen in CDU und CSU. Zweifel an Merz gab es immer, spätestens, seit er 2022 ein Gespräch mit dem konservativen US-Senator Lindsey Graham aus Sorge um das öffentliche Echo absagte und wenig später Frauenquoten in der CDU einführen ließ, schüttelten gerade seine engagiertesten Unterstützer immer wieder ungläubig den Kopf.

Nach Merz’ Alleingang beim Waffenboykott gegen Israel sprechen viele seiner vormaligen Anhänger offen vom Bruch mit dem Kanzler. „Wer wird zum Jahresende Bundeskanzler sein?“, fragt etwa Thorsten Alsleben, Chef der „Initiative neue soziale Marktwirtschaft“ (INSM) und einer der ehemals glühendsten Anhänger und Unterstützer Merz’ jetzt in einem Post auf X.

Am Montag legte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) scheinbar beiläufig auf X mit einer unverkennbar brutalen Attacke auf Merz nach: „Die Position der CDU Hessen ist glasklar: Wir stehen uneingeschränkt an der Seite Israels. Die Sicherheit Israels ist und bleibt deutsche Staatsräson. Wir unterstützen deshalb das Recht Israels, der einzigen Demokratie in der Region, auf Selbstverteidigung gegen den Terror.“ Weiter schreibt er: „Dafür gehört für mich auch sehr klar, Israel militärisch zu unterstützen.“

Am Montag bekräftigte Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU): „Die Sicherheit Israels ist und bleibt deutsche Staatsräson.“

Dieser wohldurchdachte, gezielt formulierte und im Hintergrund mit den anderen Landesfürsten der Union abgestimmte Angriff ist mehr als eine politische Differenz in der Sache. Es ist die bei vielen inzwischen zur Gewissheit gewordene Überzeugung, dass Merz persönlich, charakterlich dem Amt nicht gewachsen und zu einer Gefahr für die Union insgesamt geworden ist.

Der nächste Tiefschlag für Merz kommt am Montagnachmittag ausgerechnet von Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU), der dem Regierungschef eigentlich die Mehrheit im Bundestag sichern soll, tatsächlich aber in einem Video auf Instagram nicht viel mehr mitteilt, als dass die Entscheidung des Kanzlers zu Israel „vertretbar“ sei. Keine volle Rückendeckung der Fraktion, keine demonstrative Unterstützung. Einzige Botschaft: Kann man so sehen wie der Kanzler. Er selbst und die Fraktion sehen es nicht so. Minutenlang tut Spahn, was eigentlich Aufgabe des Kanzlers gewesen wäre, die Haltung der Bundesregierung zu Israel und Gaza zu erklären und indirekt zu begründen, warum ein Waffenboykott eigentlich nicht in Frage kommt.

Schauen Sie hier:

Hört und sieht man genau hin, dann windet sich Spahn wortreich, eine wackelige Übereinkunft mit dem Kanzler anzudeuten, den Bruch nicht allzu deutlich durchscheinen zu lassen und vor allem den Schaden zu reparieren, den Merz mit Blick auf Israel angerichtet hat. Ein Statement, das frösteln macht, so viele Abgründe tun sich auf. Eine Wortmeldung, die den Riss zwischen dem Kanzler und seiner Fraktion erst richtig sichtbar werden lässt, statt ihn zu verdecken. Allein die Tatsache, dass Spahn ganze drei Tage wartet, bevor er sich äußert, spricht Bände.

Spricht man mit Vorstandsmitgliedern der CDU, dann wird die immer raschere Abfolge von krassen Fehlern des Kanzlers seit Jahresbeginn nicht mehr toleriert. Erst gemeinsame Abstimmung mit der AfD, dann wieder harte Abgrenzung. Harte Anti-Links-Rhetorik, dann kleinlaute Bitte um Hilfe bei Grünen und Linkspartei für Mega-Schulden und Kanzlerwahl, Wahlkampf mit Haushaltsdisziplin, dann urplötzlich Milliarden-Kredite, Bekenntnis zur links-aktivistischen Richterkandidatin der SPD gegen die Mehrheitsmeinung der Fraktion, Waffenboykott gegen Israel … kein Markenkern der Union, der nicht leichtfertig, urplötzlich und unabgesprochen zur Disposition stünde.

Merz regiert in einer Mischung aus programmatischem Luftikus und handwerklichem Herrenreiter. Er lässt sich von Emotionen leiten, ist sprunghaft, aber ohne Instinkt für die Stimmung in Land und Partei. „In vielen gesellschaftlichen Milieus hat er schlichtweg kein Sensorium“, sagt ein CDU-Landeschef, der genau darin den Sprengstoff für die Koalition, aber auch eine wachsende Putschbereitschaft in der Union erkennt. Folgte die „asymmetrische Demobilisierung“, sprich: Anbiederung an Koalitionspartner und Zeitgeist, unter Kanzlerin a.D. Angela Merkel (CDU) einem strategischen Konzept des Machterhalts, so sind Merz‘ freihändige Absprachen etwa zum Verzicht auf die versprochene Senkung der Stromsteuer mit SPD-Vizekanzler Lars Klingbeil situative Alleingänge mit Herrscher-Attitüde. Das ist weder der eigenen Basis noch den Menschen im Land zu vermitteln, klagen Parteifreunde, die demnächst wieder bei Wahlkämpfen die Politik der Union erklären müssen. „Wo sind wir denn noch verlässlich? Was glaubt man uns denn noch?“, fragt einer, der demnächst im NRW-Kommunalwahlkampf am CDU-Stand steht.

Merz regiert im Stil eines visionären Luftikus, gepaart mit der Attitüde eines selbstsicheren Herrenreiters.

Dass der eigene Kanzler für seine Leute zum Alptraum wird, liegt aber vor allem daran, dass es derzeit kein Szenario gibt, bei dem die Union eine gute Perspektive hat: Macht Merz so weiter, werden nicht nur seine persönlichen Beliebtheitswerte absacken, sondern die Union wird sich im unteren 20-Prozent-Raum wiederfinden. Beratungs- und lernfähig ist Merz erkennbar nicht, wegputschen und austauschen wird mit der SPD nicht funktionieren, und im Falle des Koalitionsbruchs müsste die Union entweder wieder mit SPD und/oder Grünen kooperieren oder fände sich neben der AfD in der Opposition gegen eine linke Minderheitsregierung wieder. In einer solchen Rolle profitieren aber immer die Extreme, nicht die Moderaten, wie aktuell in Mecklenburg-Vorpommern zu sehen ist, wo der Landtagswahlkampf im kommenden Jahr zwischen SPD-Regierungschefin Manuela Schwesig und der AfD ausgetragen werden wird.

Die Union hat zum Überleben nur eine einzige wirkliche Chance, so die Analyse vieler Mitglieder und Unterstützer von CDU und CSU: Klare Kante, konservative und verlässliche Politik zu machen. Dass dies mit Merz als Kanzler möglich ist, bezweifeln inzwischen nicht mehr nur die einfachen Mitglieder.

Selbst in der WhatsApp-Gruppe „Merzrevolution“, die ursprünglich als Unterstützerkreis gegründet wurde, machen in diesen Tagen Austrittsabsichten die Runde. Die „Merzrevolution“ frisst ihre Kinder.

Lesen Sie auch:Zweifel an Kanzler Friedrich Merz: Bislang unterstützt kein Landesverband der Union den Waffenboykott gegen Israel

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von NiUS

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von NiUS zu lesen.

Weitere Artikel