„Kanzlersuppe“ im Deidesheimer Hof

vor etwa 3 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Der Deidesheimer Hof in – richtig: – Deidesheim an der pfälzischen Weinstraße hat große Zeiten erlebt. Hier ging dereinst Bundeskanzler Helmut Kohl aus und ein und nötigte seine Staatsgäste, darunter Michail Gorbatschow und Margaret Thatcher, mit ihm pfälzischen Saumagen zu essen, eine etwas derbe Spezialität seiner Heimat, die jedoch, raffiniert zubereitet, eine gute Figur machen kann. Fotos an den Wänden der Treppe zur Toilette zeugen von glorreichen Zeiten.

Außerdem soll die „Kanzlersuppe“, eine Kraftbrühe mit Gemüseeinlage, Markklöschen und frischem Liebstöckel, zu Zeiten des Oggersheimers Standard bei Staatsempfängen gewesen sein. Gewissermaßen das teutonische Pendant zur von Paul Bocuse 1975 zu Ehren des französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing kreierten Geflügelkraftbrühe V.G.E. mit Gänsestopflebereinlage und schwarzem Trüffel unter einer Blätterteighaube.

Die ebenso schnörkellose wie wohlschmeckende „Kanzlersuppe“ steht auch heute noch auf der Speisekarte des Restaurants Sankt Urban im Deidesheimer Hof und sie schmeckt tadellos. Allerdings ist die Portion so überschaubar bemessen, dass sie wohl kaum für den mit enormer Leibesfülle ausgestatteten Kanzler ausgereicht hätte.

Natürlich darf der Saumagen im Sankt Urban nicht fehlen, wo bodenständige Kost serviert wird, während im Untergeschoss das Gourmetrestaurant „Schwarzer Hahn“ residiert. Die geröstete Spezialität aus in einen Schweinemagen gefülltem Schweinefleisch, Brät und Kartoffeln kommt zusammen mit Bratwurst und Leberknödel als Magen sprengendes „Pfälzer Lieblingsgericht“ auf den Tisch, begleitet von Sauerkraut und Kartoffelpüree. Man merkt, dass das Elsass mit seinem berühmten Choucroute garni nicht weit ist.

Wir beobachteten, wie sich Gäste am Nachbartisch mit der Riesenportion abmühten, und wandten uns lieber einem normal dimensionierten Kotelett vom zugegebenermaßen etwas modischen Iberico-Schwein zu, einem aromatischen Stück Fleisch, das jedes Steak in den Schatten zu stellen vermag, mit einem Gemüse von Schnibbel- und Buschbohnen, Tomaten und Pilzen nebst körniger Senfsauce. Anstelle der pappigen, scharf gewürzten Portion Reis mit überflüssiger Garnitur von frittierten Zwiebelringen und Mandelsplittern hätten wir das Kartoffelpüree vom Nachbartisch bevorzugt.

Der Service glänzte durch Kenntnislosigkeit, was Weinbegleitung, Herkunft und Zubereitung der Speisen anbelangt. Die Weißweinschorle war recht dünn, die zum Schwein empfohlene pfälzische Rotwein-Cuvée schmeckte aufdringlich parfümiert. Alles in allem ein durchwachsener Eindruck. Der Deidesheimer Hof ist sicher noch einen Abstecher wert, doch scheint man sich ein wenig zu innig auf einstmals erworbenem Lorbeer auszuruhen. Übrigens vermochte die junge Servierdame nicht zu sagen, auf welchen deutschen Politiker sich die Kanzlersuppe bezieht. Sic transit gloria mundi!

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