
„Vielleicht die Richtige zur richtigen Zeit“, titelt die Tagesschau zur Verleihung des Karlspreises an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die EU sei ihr „in die Wiege gelegt worden“, schließlich wurde sie in Brüssel geboren, hieß es aus dem dortigen ARD-Studio. Vor allem aber gab es zur Preisverleihung Lob von Bundeskanzler Friedrich Merz: Von der Leyen sei eine „starke Vertreterin eines starken Europas“.
Überhaupt hatte man das Gefühl, der Preis ging eher an ein „starkes Europa“ statt an die Person von der Leyen. Verdienste ihrerseits konnte Merz schließlich auch kaum auflisten – nur immer wieder wiederholen, dass sie eine „europäische Stimme“ sei. Denn vieles von dem, was von der Leyens eigene Agenda angeht – ihren 2019 ausgerufenen „European Green Deal“ vor allem – würden auch viele in seiner Partei eigentlich gerne so weit wie möglich wieder abwickeln.
Immer wieder hebt Merz die EU-Unterstützung für Selenskyj hervor, dabei ist gerade die militärische Hilfe für das Land viel weniger Sache von Brüssel, als von Nationen – allen voran den USA, von denen Merz sich aber zugleich betont abzugrenzen versucht. „Was ist es, das wir Europäer gemeinsam verteidigen? Was ist es, wofür wir gemeinsam stehen?“, hätte US-Vize J.D. Vance die Europäer konfrontiert.
Darauf hätte man „die stärkste und die beste Antwort, die überhaupt denkbar ist“: Nämlich, dass man über Jahrhunderte gelernt habe, für „Freiheit und Demokratie“ zu kämpfen. Naja – genau das ist eigentliche die Kritik von Vance: Dass Europa zunehmend die Prinzipien etwa der Meinungsfreiheit in Frage stellt.
Aber zurück zu von der Leyen: Um die sollte es hier ja eigentlich gehen, auch wenn man kaum etwas von ihrer EU-Politik hört – also der Politik, mit der sie in Brüssel tatsächlich den größten Einfluss auf den Alltag der Bürger hat, seien es Umwelt-, Datenschutz- oder KI-Regulierungen. Ihren „Green Deal“ erwähnte sie in ihrer eigenen Rede genauso wenig wie Merz in seiner Laudatio. Dass der Greta-Thunberg-Zeitgeist vorbei ist, den sie zu Amtsantritt noch imitieren wollte, dürfte ihr inzwischen klar sein.
Stattdessen wendet sie sich Größerem zu: Der „Wiedervereinigung unseres Kontinents“ etwa, wie sie es nennt. „Eine größere, wiedervereinigte Europäische Union wird unserer Stimme in der Welt mehr Gewicht verleihen“, glaubt von der Leyen. Besorgt ist sie über „illiberale Strömungen“ in Europa: Gemeint sind aber natürlich nicht eben jene staatlichen oder quasi-staatlichen Anti-„Hate Speech“-Vorhaben, die die Meinungsfreiheit im Netz weiter ins Visier nehmen oder das zunehmende Aufkommen der Methode Wahlausschluss für Oppositionelle von Rumänien bis Frankreich. Nein, es sind eben jene „extremistischen Parteien“, die dort von der Wahl ferngehalten werden, die die Demokratie bedrohen würden.
Dass gerade aber ein in nicht wenigen Aspekten zutiefst undemokratisches und illiberales Vorgehen der EU für all diesen Unmut sorgt, blendet von der Leyen gekonnt aus. Für sie gilt nur ihre eigene Definition von Demokratie und Freiheit. Ein paar Probleme spricht sie dann doch noch an – Migration, Bürokratie, zunehmende Lebenshaltungskosten – aber nicht als solche, sondern nur als „Sorgen“ der Bürger. Ob die berechtigt sind, lässt die Kommissionspräsidentin offen.
„Unsere Wurzeln enden nicht an nationalen Grenzen.“ Dass man einen gemeinsamen „Lebensraum“ teile, habe sie schon in der Europäischen Schule in Brüssel gelernt, berichtet von der Leyen stolz. „Die nächste große Ära – unser nächstes großes, einendes Projekt muss von einem unabhängigen Europa handeln“, darauf pocht sie jetzt. „Ich weiß, dass diese Botschaft für manche unheimlich klingen mag. Aber hier geht es im Kern um unsere Freiheit.“ Denn die sei „nur da möglich, wo es kollektive Unabhängigkeit gibt.“
Freiheit, die gibt es nur mit einer starken EU, das ist von der Leyens Botschaft in Aachen. Merz‘ ebenso, der verspricht, all seine Kraft einem „Europa, das vor allem unsere Freiheit verteidigt“ zu widmen. „Lang lebe Europa“, schließt von der Leyen pathetisch ab. Was all das mit von der Leyens vermeintlichen Errungenschaften zu tun haben soll, lässt einen fragend zurück. Bilanz über ihre Zeit an der Spitze der EU hat jedenfalls keiner wirklich gezogen. Man wird stattdessen ein ganz anderes Gefühl nicht los: Der EU-Apparat feiert sich selbst – obwohl es aktuell eigentlich kaum Grund zur Freude gibt.