Karneval ist jeden Tag, Wahlkampf ist nur einmal

vor 3 Monaten

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Bildquelle: Apollo News

Es ist Karneval, beziehungsweise war Karneval – oder kommt das noch? Ich begebe mich als Lübeckerin hier in unbekanntes Terrain, und so sehr wie die Rheinländer an ihren Traditionen hängen, auch in gefährliches Fahrwasser. Jedenfalls haben sich einige bekannte Bundespolitiker bereitwillig zum Affen gemacht, aber anders als sonst dabei bunte Mützen getragen:

SPD-Chef Lars Klingbeil ist vom Aachener Karnevalsverein zum Ordensritter wider den tierischen Ernst ernannt worden. Das stellt ihn in eine Reihe mit Politikern wie Konrad Adenauer, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher, Franz Josef Strauß und Guido Westerwelle, andererseits aber auch mit Cem Özdemir, Christian Lindner, Markus Söder, Gregor Gysi, Winfried Kretschmann, Armin Laschet und Annalena Baerbock. Ob das also eine Ehre ist, kann ich ehrlich gesagt nicht einschätzen.

So oder so: Klingbeil wird am Sonntag auf die Bühne gerufen und tritt aus seiner Sitzreihe hervor. Sobald er im Gang angekommen ist, haken sich jeweils an einer Seite zwei bekleidete junge Damen bei ihm unter und führen ihn strahlend lächelnd und posierend zur Bühne. Klingbeil gefällt sich sichtlich in dieser Position, obwohl solch ein Sexismus doch eigentlich längst gecancelt gehört. Doch in dieser Nacht kann er sich das auch mal leisten, denn als Begleitung hat er den alten Genossen Martin Schulz dabei, der ihn bei der Heimfahrt dafür sicher nicht eifersüchtig anschweigen wird.

Als amtierender Ordensritter erhält Klingbeil die Bühne und darf von einem Narrenkäfig aus – einem tatsächlichen Käfig-Gestell, nicht dem Bundestag – eine elend lange Rede halten. Das war jetzt zugegeben nicht der genialste Witz, den ich je gemacht habe, aber ich hatte in Anbetracht der Reden der Ordensträger den Eindruck gewonnen, dass schlechte Witze das Motto dieser Festlichkeit sind. Baerbock hatte in ihrer Rede, die noch auf der Webseite des Auswärtigen Amts zu finden ist, damals gescherzt, sie als grüne Frau, das klinge ja wie ein Marsmensch.

Sie hatte den Orden 2023 für „ihre Standhaftigkeit, ihren Humor auf dem diplomatischen Parkett und ihren Kampf für Hoffnung und Frieden“ erhalten. Mit Humor war wohl eher der unfreiwillige gemeint. Bacon of Hope ist jedenfalls der fünfmal bessere Schenkelklopfer als: „Ihr habt großzügig auf die Bezeichnung „Bad Aachen“ verzichtet. Clever. Sonst wärt Ihr nämlich von der Spitzenposition im Alphabet gerutscht. Ein AA – vorne. Das ist nicht zu toppen. Und jetzt wisst Ihr auch, warum ich das Auswärtige Amt genommen habe. Das AA. Klar und deutlich.“

Die Rede von Lars Klingbeil unterschied sich da im Niveau des Humors nicht unbedingt. Was allerdings zu spüren war: der Wahlkampf. Klingbeil gab sich in seiner Rede unglücklich, dass dank Lindners „offener Feldschlacht“ Karneval und Wahlkampf aufeinanderprallen, als ob er als Niedersachse da so eine enge Verbindung hätte. Dafür wusste er seine Bühne allerdings viel zu taktisch zu nutzen. Wie gerne er Deutscher sei, erklärt er unter tosendem Beifall und dass Vaterlandsliebe ja richtig sei. Die SPD weiß immer wenige Tage vor der Wahl, die konservativeren SPD-Rentner mit Deutschlandfahne so hinterm Ofen hervorzulocken, dass sie ihnen ihre woken Abschweifungen dann doch wieder verzeihen.

Bei allen Spitzen gegen Merz und die CDU rechnete er mit den Grünen in diesem Sinne am konkretesten ab. „Ich meine, ich mag die ja“, leitet er versöhnlich ein. „Aber ich muss euch sagen, das war schon eine Herausforderung, gemeinsam mit denen zu regieren. Da hast du auf einmal den Eindruck, die größten Probleme des Landes sind die Fragen, ob jemand noch Bratwurst essen darf, ob man einmal im Jahr nach Malle fliegen darf, ob man mit dem Auto fährt, gendert oder ob Daniel Günther „Layla“ singen darf. Da ist der Zeigefinger immer erhoben bei manchen Grünen.“

Tosender Beifall. Der ganze Schwachsinn der Ampel-Regierung ist damit erfolgreich auf die Grünen abgeschoben. Wobei, noch nicht ganz: „Statt in diesen Zeiten Wirtschaftspolitik und Arbeitsplätze zu sichern, setzt der Robert Habeck sich an den Küchentisch und schreibt Bücher. Wenn es mal eine Doku über seine Zeit als Wirtschaftsminister gibt, dann trägt die wohl den Titel: Gute Seiten, schlechte Zeiten.“ So, jetzt ist alles auf die Grünen abgeschoben. Die SPD, Kanzlerpartei? Davon weiß man da nichts. Man könnte fast denken, die Grünen hätten die letzten drei Jahre alleine regiert.

Die ARD hat tatsächlich ausnahmsweise eine gute Entscheidung getroffen, als sie die Karnevalsshow aus dem Programm gestrichen und in den WDR verbannt hat. Wie eine Sprecherin des Senders gegenüber der Presse erklärte, sähe ein Beschluss der ARD-Programmdirektion vor, dass Politiker, „die selbst kandidieren oder aktiv am Wahlkampf beteiligt sind, in einem Zeitraum von sechs Wochen vor Wahlen nicht in Unterhaltungssendungen auftreten dürfen“. Klingbeil hat die Wahrheit in seiner Spaßrede jedenfalls noch mehr verdreht, als man es sonst aus der Politik gewohnt ist.

So wirkte er merklich etwas beleidigt, dass die ARD seinen großen Auftritt aus dem Programm gestrichen hat. „Und das ist sicherlich nur ein Zufall, dass die Programmdirektorin, die die Entscheidung getroffen hat, die Tochter von Wolfgang Schäuble ist.“ Ja, denn wenn man dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eins vorwerfen kann, dann, dass er eindeutig zu rechtslastig ist.

Nach seinen „witzigen“ Spitzen in alle Richtungen, kam er dann aber doch zum tierischen Ernst. Vor wenigen Tagen ging die Nachricht durch die Presse, dass zum ersten Mal Karnevalsumzüge wegen Angst vor islamistischen Terroranschlägen abgesagt wurden. Diese Art von tierischem Ernst lässt er aber unerwähnt.

Nein, es geht um das gleiche Thema wie immer: den Rechtsruck. Eine nicht so humorvolle Spitze Richtung Merz und seine Migrationsoffensive im Bundestag: „Nazis, die im Bundestag feiern im Jahr 2025 und das übrigens ausgerechnet in der Woche und an dem Tag, an dem wir 80 Jahre der Befreiung von Auschwitz gedacht haben“, da wäre es ihm eiskalt über den Rücken gelaufen.

„Wenn die AfD einmal Macht erhält, dann macht sie keinen Halt mehr. Da geht es heute gegen Ausländer und morgen gegen Andersdenkende, gegen Journalisten, gegen Gewerkschafter, gegen Menschenrechte, gegen Künstler, gegen Richter. In den Reden von Chrupalla und Weidel, von Höcke und Co kann man das alles jetzt schon hören. Es soll niemand sagen, wir hätten es nicht gewusst.“ Wieder tosender Beifall. Nach dieser Verhinderung einer weiteren Machtergreifung ging es dann zum Höhepunkt des Abends über. Klingbeil stimmt die Gitarre an und seine Ordensträger-Vorgänger Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Gregor Gysi, Daniel Günther und die NRW-Vizepräsidentin Mona Neubaur kommen singend zu ihm auf die Bühne.

„Atemlos, Hand in Hand woll’n wir Zuversicht fürs Land. Atemlos, wie noch nie, kämpfen für Demokratie“ – auf dem Karnevalsfest des Aachener Karnevalsvereins am Samstag singt die „musikalische Koalition“ aus Grünen, SPD, CDU und Linken-Politikern eine Abwandlung des Schlager-Hits „Atemlos“ von Helene Fischer. Beziehungsweise, eine Hälfte sang den neuen Text, die andere, nicht weniger laute und sehr von sich überzeugte, sang den Original-Text. Töne treffen war dabei optional. „Nicht schön, aber gemeinsam“, beschrieb es der WDR. Wobei damit auch nur die örtliche Anwesenheit gemeint sein kann. Alles falsch und durcheinander, nicht zu ertragen.

Wieder hat Klingbeil geschickt gespielt. Für alle, die diesen Auftritt bodenständig und sympathisch finden, ist er mit von der Partie. Für alle, die diesen Auftritt als das sehen, was er ist – einfach nur peinlich – hat er sich nicht mit blamiert, denn er hat kein Mikrofon und seine Gitarre trifft ihre Töne. Wenn Klingbeil dann in vier Jahren als Kanzlerkandidat antritt und damit in die lange Liste der Kanzler und Kanzlerkandidaten tritt, die in den letzten Jahrzehnten den Orden wider den tierischen Ernst verliehen bekommen haben, haben Sie es jedenfalls in Aachen zuerst gehört.

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