
Während Bundeskanzler Friedrich Merz im ZDF-Sommerinterview betonte, „Niemand redet über Bodentruppen in der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt“ und diese Aussage in Deutschland praktisch ohne Echo blieb, war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zur gleichen Zeit in Osteuropa unterwegs – um genau das Gegenteil zu verkünden! Europa arbeite längst an „konkreten Plänen“ für eine multinationale Truppenmission in der Ukraine ...
Merz und von der Leyen gaben fast zeitgleich ein Interview, beide erschienen am Sonntag. In von der Leyens Interview mit der Financial Times (FT) spricht sie von „pretty precise plans“, also: „konkreten Plänen“, für den Einsatz Zehntausender europäisch geführter Soldaten. Diese sollten nach einem möglichen Friedensschluss Teil von Sicherheitsgarantien für die Ukraine sein. Rückendeckung soll von den USA kommen: „Präsident Trump hat uns zugesichert, dass es eine amerikanische Präsenz als Teil der Absicherung geben wird. Das war eindeutig und wurde mehrfach bekräftigt“, so von der Leyen in der FT. Heißt: Es laufen mit den USA längst konkrete Gespräche zu dem Thema.
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk (Mitte rechts) und die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen (Mitte links) am Sonntag während ihres Besuchs an der polnisch-belarussischen Grenze. Wurden hier auch schon Details zum geplanten EU-Einsatz in der Ukraine besprochen?
Gegensätzliche Aussagen fast zeitgleich im ZDF-Sommerinterview am Sorpesee im Sauerland, dem touristisches Aushängeschild von Merz‘ Wahlkreis. Bundeskanzler Friedrich Merz erklärte dort – ausgestrahlt wurde das Interview ebenfalls am Sonntag – die beste Sicherheitsgarantie für die Ukraine sei eine schlagkräftige eigene Armee. Und: eine Debatte über westliche Bodentruppen sei verfrüht. O-Ton Merz: „Niemand redet über Bodentruppen in der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt.“
Tja, genau das scheint nicht zu stimmen ...
Merz gab sich im ZDF-Sommerinterview ahnungslos.
Von der Leyen geht in ihrem Interview mit der FT sogar in Details, macht deutlich, wie weit die Abstimmungen mit den USA bereits vorangekommen sind. „Wir haben einen klaren Fahrplan, und wir hatten eine Einigung im Weißen Haus. Und diese Arbeit kommt sehr gut voran.“ Die Dringlichkeit sei hoch: „Das Gefühl der Dringlichkeit ist sehr stark.“ Von der Leyen weiter: „Es geht vorwärts. Es nimmt wirklich Gestalt an.“
Auch zur Finanzierung äußert sie sich bereits: „Nach jedem Friedensschluss wird die Ukraine eine beträchtliche Zahl an Soldaten brauchen, und diese müssen gut bezahlt werden und natürlich über moderne Ausrüstung verfügen.“ Und: „Es ist völlig klar, dass die EU hier ihren Beitrag leisten muss.“ Die Rolle der Kommission sei, so von der Leyen, „von zentraler Bedeutung, um den Mitgliedstaaten die Finanzierung eines Verteidigungsschubs zu ermöglichen.“
Zugleich warnte von der Leyen vor Illusionen über den russischen Präsidenten. Ihre Botschaft: Europa müsse vorbereitet sein, weil Putin weder verlässlich noch kompromissbereit sei.
Ob es einen Riss zwischen Berlin und Brüssel gibt, könnte sich noch in dieser Woche zeigen: In Paris treffen sich Emmanuel Macron, Friedrich Merz, Keir Starmer, Mark Rutte und Ursula von der Leyen, um über den künftigen Kurs zu beraten. Dort wird man sehen, ob die EU eine gemeinsame Sprache spricht – oder man weiter widersprüchliche Botschaften sendet.