
Im Bundesrat hat Schwarz-Rot keine eigene Mehrheit – was Friedrich Merz vor Probleme stellen könnte. Als Oppositionskraft konnte die Union im Bundesrat Ampel-Projekte über die Klinge springen lassen, aber jetzt sind die Rollen vertauscht. Insbesondere die Grünen können Merz ausbremsen oder ihm politische Eier ins Nest legen. Im preußischen Herrenhaus, in dem der Bundesrat sitzt und tagt, könnte der zukünftige Kanzler zukünftig regelmäßig abgekocht werden.
Bei der Grundgesetzänderung zu den Sonderschulden wurde dieses Prinzip einmal durchexerziert – und zwar sehr teuer für die Union. Die Grünen haben Blut geleckt und könnten der Union noch die eine oder andere Retourkutsche mit Blick auf die eigene Regierungszeit mitgeben. Während die Union sich in der Ampel-Vergangenheit zwar für eine insgesamt konstruktive Rolle im Bundesrat entschied, blockierte sie auch immer wieder; so etwa das „Sicherheitspaket“ der alten Koalition 2024 oder zwei Jahre zuvor das Bürgergeld.
Bei letzterem ließ sich die Union zu einem Kompromiss im Vermittlungsausschuss hinreißen, drehte an ein paar Stellschrauben und ließ das Gesetz dann doch passieren. Die Hoffnung auf solche Stellschrauben machen sich jetzt vor allem die Grünen – und sie werden im Zweifel auch etwas beherzter drehen.
Die CDU-geführte Bundesregierung ist von einer Mehrheit weit weg: Schwarz-Rot alleine hat durch die gemeinsamen Regierungen in Hessen, Sachsen und Berlin sowie durch das alleine von der SPD geführte Saarland nur 16 Stimmen, nicht mal die Hälfte einer absoluten Mehrheit, sicher. Auch, wenn Bundesregierungen eigentlich nie eine sichere Mehrheit in der Länderkammer haben – so schwach wie Schwarz-Rot waren Bundeskoalitionen nur selten im Bundesrat.
Mit der bayerischen CSU, die ihren Koalitionspartner Freie Wähler im Bundesrat zuletzt öffentlichkeitswirksam an die Leine gelegt hatte, könnten aus 16 theoretisch 22 Stimmen werden. Aber auch dann fehlen zur Mehrheit von 35 Stimmen immer noch 13.
Und hier offenbart sich das Problem: Union und SPD sind teilweise von verschiedensten Koalitionspartnern abhängig. Abgesehen von den vier Ländern, in denen Union und SPD gemeinsam oder alleine regieren, herrschen auch in den restlichen zwölf Ländern CDU, CSU oder SPD. Aber mit unterschiedlichen Partnern: In Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein regieren CDU-Ministerpräsidenten mit den Grünen, in Hamburg und Niedersachsen tut das die SPD. Sie steht noch zwei Dreier-Koalitionen vor: Rot-Rot-Grün in Bremen und einer Ampel in Rheinland-Pfalz. Die Union führt auch eine Dreier-„Deutschlandkoalition“ mit SPD und FDP in Sachsen-Anhalt.
Dazu kommen eine Koalition mit der Linken in Mecklenburg-Vorpommern und dem BSW in Brandenburg. Auch die CDU regiert, zusammen mit der SPD, in Thüringen mit dem BSW. Insbesondere hier könnte es im Zweifel schwierig werden – bei der Grundgesetzänderung erzwang die Wagenknecht-Partei in beiden Landesregierungen eine Enthaltung im Bundesrat. So auch die FDP in Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt.
Die Grünen haben in der Debatte um das durchgepeitschte Sondervermögen im März gezeigt, dass sie sich ihre Zustimmung gerne mal etwas kosten lassen können. Damals waren es konkret 100 Milliarden Euro und die Aufnahme der „Klimaneutralität“ bis 2045 ins Grundgesetz, die Merz bezahlen musste. So stimmten sie dem Schuldenpaket im Bundesrat aber zu. Während von FDP, Linke und BSW theoretisch grundsätzlich blockieren könnten und bei einigen Themen wohl auch werden, kommt den Grünen eine besondere Rolle zu.
Denn ohne FDP, BSW und auch ohne Linke käme Schwarz-Rot im Bundesrat wohl noch aus – aber ohne die Grünen geht es nicht. Von ihnen wären die Zustimmungen der Regierungen in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und NRW abhängig, auch in Rheinland-Pfalz und Bremen sind sie Teil der Landesregierung beziehungsweise des Senats und könnten eine Enthaltung erzwingen. 32 Stimmen könnten die Grünen im Bundesrat insgesamt neutralisieren. Jedes schwarz-rote Projekt, das den Bundesrat passieren muss, hängt damit fast komplett von den Grünen ab.
Für Merz ein massiver Stolperstein: In der jüngeren Vergangenheit waren rund 40 Prozent aller Gesetze mit Blick auf den Bundesrat zustimmungspflichtig. Politico berichtet von bis zu 60 Prozent. So oder so: Einen Großteil seiner Vorhaben wird Friedrich Merz nicht ohne weiteres in Gesetzesform gießen können. Denn vieles betrifft die Länder.
Insbesondere die Grünen, aber auch die Linken und das BSW könnten sich ihre Zustimmung viel kosten lassen – die Grünen haben schon bewiesen, dass sie den Preis hochtreiben können. Besonders sensibel wird diese Frage mit Blick auf die nächste, geplante Verfassungsänderung: Noch in diesem Jahr will Schwarz-Rot eine grundsätzliche Reform der Schuldenbremse ausarbeiten und durchbringen. Dazu wird es zwingend die Linke brauchen.
Denn die Zweidrittelmehrheit im Bundestag lässt sich ohne AfD oder die Linke nicht erreichen – und weil das Dogma der „Brandmauer“ gilt und zuletzt auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde, wird man sie mit der Linken finden müssen. Auch im Bundesrat kann die Linke mit Blick auf ihre Regierungsbeteiligungen in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen ebenso Stimmen blockieren – was sie zuletzt nicht tat.
Bei anderen Projekten ist die linke Blockade aber sicher – beispielsweise bei der verabredeten Bürgergeld-Reform. Hier dürften sich auch die Grünen sperren. Es könnte damit das erste Merz-Gesetz sein, das über die grün-linke Klinge springt oder im Vermittlungsausschuss entscheidend abgeschwächt wird. Nur ein Beispiel dafür, dass der „Links ist vorbei“-Kanzler an der linken Opposition nicht vorbeikommen wird.