Kämpfer gegen den rückständigen Islam: Warum die Türken einen zweiten Atatürk brauchen … auch die in Deutschland

vor 9 Tagen

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Mustafa Kemal Atatürk schuf vor gut hundert Jahren die moderne Türkei. Er schaffte Sultanat und Kalifat ab, ersetzte die arabische durch die lateinische Schrift, dämmte den islamischen Einfluss ein und führte Gesetze ein, die den Frauen gleiche Rechte verschafften. Heute will Erdogan der neue Atatürk sein, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Er treibt die Reislamisierung der Türkei voran, was auch Einfluss auf die in Europa – insbesondere in Deutschland – lebenden Türken hat.

Der 1881 in Thessaloniki geborene Mustafa Kemal Pascha stieg vom erfolgreichen Militär im Ersten Weltkrieg, als Held der Schlacht von Gallipoli (die den Rücktritt des geschlagenen britischen Ersten Lords der Admiralität, Winston Churchill zur Folge hatte) und Sieger des Befreiungskrieges gegen die Griechen zum Gründer der Türkei auf.

Mustafa Kemal säkularisierte das bisherige Osmanische Reich, ersetzte religiöse Gesetze (Scharia) durch weltliche. „Wir wollen keinen Staat, der auf religiösen Prinzipien basiert. Wir wollen einen Staat, der auf Wissenschaft und Vernunft basiert.“ Die Religion darf nicht mit der Politik vermischt werden, das war sein Credo. „Die Türkei kann nicht ein Land von Scheichs, Derwischen, Jüngern und Sekten sein. Die einzig richtige Richtung ist die der Zivilisation.“ Es gebe nur eine Zivilisation, „die der Menschheit. Und diese Zivilisation ist die westliche Zivilisation.“

Der als Atatürk (Vater der Türken) berühmt gewordene Mann mit der Lammfellmütze verachtete die islamische Orthodoxie und insbesondere die Derwisch-Orden, die er „abergläubisch“, „primitiv“, „fanatisch“ und „von mittelalterlichem Geist besessen“ nannte. Auch wird ihm seit den 30er Jahren ein Zitat zugeschrieben, das bis heute nicht eindeutig belegt ist, aber seine Einstellung zum Islam widerspiegelt:

„Der Islam, diese absurde Gotteslehre eines unmoralischen Beduinen, ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet.“

Mustafa Kemal Pascha, später als Atatürk bekannter Gründer der Türkei.

Atatürk veränderte das Land in enormem Tempo und führte es an den Westen heran. Sultanat und Kalifat wurden abgeschafft, ein säkulares Bildungssystem geschaffen (Atatürk: „Die einzige Quelle für Fortschritt und Zivilisation ist die Wissenschaft. Wer etwas anderes sucht, irrt.“). Die Polygamie wurde verboten, weltliche Ehe- und Scheidungsgesetze wurden etabliert. 1928 wurde das lateinische Alphabet anstelle der arabischen Schrift eingeführt, um die Alphabetisierung zu fördern und die Verbindung zur westlichen Welt zu stärken.

Religiöse Institutionen wurden verstaatlicht, die Moscheen der Kontrolle durch das Diyanet (Präsidium für religiöse Angelegenheiten) unterstellt. Sufi-Orden wurden verboten, um religiösen Einfluss auf die Politik zu minimieren. Staatliche Investitionen förderten die Industrialisierung, Frauen erhielten das Wahlrecht, eine Reform führte Nachnamen nach westlichem Vorbild ein. Das Tragen religiöser Kleidung wie Schleier oder Turban in öffentlichen Einrichtungen wurde eingeschränkt, der Fez verschwand aus dem Straßenbild.Als stolzer Nationalist förderte er das türkische Nationalbewusstsein durch die Betonung der vorislamischen Geschichte. Zwar sah er den Westen als Vorbild, doch glaubte er, die Türkei könne zum Erfolg der Zivilisation beitragen: „Wir werden die westliche Zivilisation nicht nur nachahmen, sondern sie mit unserer eigenen Kultur bereichern.“ Den Islam respektierte Atatürk als persönlichen Glauben, bestand jedoch auf einer strikten Trennung von Religion und Staat.

Entsprechend waren die Türken geprägt, die nach Deutschland gingen. Zwar stammten sie überwiegend aus konservativen, ländlichen Regionen, doch spielte die Religion noch keine große Rolle. Mit dem Anwerbeabkommen von 1961 kamen zahlreiche türkische „Gastarbeiter“ nach Deutschland. Bis 1973, dem Anwerbestopp, wanderten etwa 900.000 Türken ein, von denen viele blieben. Moscheen im heutigen Sinne gab es in den 60er Jahren kaum, Religion wurde eher im Privaten gelebt.

Recep Tayyip Erdogan will der neue Atatürk sein – in umgekehrter Richtung.

Die meisten Türken waren damals vom Einfluss des Kemalismus, der von Mustafa Kemal Atatürk initiierten säkularen und westlich orientierten Modernisierung, geprägt. Viele Migranten waren zwar nicht aktiv kemalistisch, aber in einem säkularen Staatssystem sozialisiert. Im Vergleich zu anderen Gastarbeitergruppen wie Italienern oder Spaniern waren die Türken trotz Präsenz im Arbeitsmarkt allerdings weniger gut integriert.

Der Familiennachzug ab den 1970er-Jahren führte zu einer dauerhaften Ansiedlung, wodurch sich die türkische Community in Deutschland etablierte. Die Zahl wuchs durch Familiennachzug und Asylmigration (nach dem Militärputsch 1980). Ende der 1980er Jahre lebten etwa zwei Millionen Türken in Deutschland. Die DITIB begann, Imame aus der Türkei zu entsenden, was die Organisation der Moscheegemeinden stärkte.

Vertrautes Bild aus den 80er Jahren: Türkische Familie kurz vor der Reise in die Heimat.

Der Bau architektonisch erkennbarer Moscheen – statt der üblichen „Hinterhofmoscheen“ – nahm zu. In den 90er-Jahren lebten bereits 2–2,5 Millionen Türken in Deutschland. Heute sind es etwa 2,93 Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund, es gibt ca. 2.600 muslimische (einschließlich alevitischer) Gemeinden.

Sichtbare Präsenz des Islam: die DITIB-Zentralmoschee in Köln.

Daran kann man erkennen, dass der Einfluss des Islam im Laufe der Zeit zunahm. Die heutige türkische Community ist stärker religiös geprägt, was durch die Politik der AKP verstärkt wurde. Recep Tayyip Erdogan hat den Laizismus in der Türkei geschwächt, indem er religiöse Symbole und Rhetorik in den Vordergrund stellte (z. B. Kopftuch-Debatte, Ausbau religiöser Schulen).

Säkulare und kemalistische Deutschtürken haben an Einfluss verloren, religiöse Narrative der Erdogan-AKP dominieren. 2023 waren rund 1,5 Millionen der 2,93 Millionen Türken in Deutschland für türkische Wahlen stimmberechtigt. Etwa jeder Zweite ging zur Wahl – und stimmte mit 65 Prozent (im ersten Wahlgang) bzw. 67 Prozent (in der Stichwahl) für den Islamisten und Antisemiten Erdogan, der in der Türkei selbst nur etwa 52 Prozent der Stimmen erhielt.

Der rückständige Islam, den Atatürk zurückzudrängen versuchte, ist auf dem Vormarsch, woran Erdogan seit mehr als zwei Jahrzehnten – zunächst als Ministerpräsident, dann als Präsident – erheblichen Anteil hat. Konservativ-religiöse Werte dominieren, die Ablehnung der freien westlichen Gesellschaft wächst ebenso wie der Nationalstolz, wie bei jedem Länderspiel der türkischen Nationalmannschaft zu besichtigen ist.

Jugendliche in Berlin feiern die türkische Fußball-Nationalmannschaft.

Der Kemalismus wird nicht mehr als erstrebenswert, sondern als elitär wahrgenommen. Ist seine Zeit für immer vorbei oder besteht Hoffnung auf einen zweiten Atatürk, der den Mut aufbringt, sich noch einmal mit dem Islam anzulegen? Der Türkei wäre es ebenso zu wünschen wie Deutschland, wo die Islamisierung durch Staatsverträge mit fragwürdigen Gemeindeverbänden und falsch verstandene Toleranz fortschreitet.

Kemalistische Erdogan-Gegner demonstrieren in Ankara mit einem Porträt Atatürks.

Islamunterricht in den Schulen, Ramadan-Beleuchtung in der Innenstadt, öffentliches Gebet und Fastenbrechen, Glückwünsche von Politikern zum Zuckerfest, Meldestellen für „antimuslimischen Rassismus“: Atatürks Weg der Trennung von Staat und Religion ist völlig aus dem Blickfeld geraten. Gut hundert Jahre nach der Gründung der modernen Türkei ist der Islam wieder da und nimmt immer mehr Raum ein, ein Zustand, gegen den Mustafa Kemal Atatürk heroisch gekämpft hat. Wir sollten uns öfter an ihn erinnern.

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