Eine der ungewöhnlichsten Stephen-King-Verfilmungen: Wer zur Hölle ist Chuck?

vor etwa 4 Stunden

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„The Life of Chuck“ ist eine der ungewöhnlichsten Stephen-King-Verfilmungen. Es gibt keine Geister und der einzige Horror ist der hierzulande vielbeschworene Weltuntergang, mit dem er aber gnädigerweise beginnt und der – wider Erwarten – nichts mit Klimawandel zu tun hat. Ein sicherer Oscar-Kandidat und einer der schönsten und humanistischsten Filme der letzten Jahre.

Was haben „Stand By Me“, „Die Verurteilten“ und „The Green Mile“ gemeinsam, abgesehen davon, dass es sich um drei der besten Filme aller Zeiten handelt? Genau, sie basieren auf Kurzgeschichten bzw. Novellen von Stephen King, dem „Meister des Horrors“, sind aber alles andere als Werke dieses Genres.Stattdessen sind die (letzten Endes) lebensbejahend, ungewöhnlich und entwickelten sich über die Jahre zu Kultfilmen.Ein „Schicksal“, das auch „The Life of Chuck“ blühen sollte, handelt es sich doch um eines weitere King-Adaption, die sich sogar noch deutlicher als die drei genannten Titel dem typischen Hollywoodkino entzieht.

Man kann diesen Film ohne weiteres als trivial abtun, aber man kann sich auch auf ihn einlassen.

Dies zeigt sich am deutlichsten durch seine Erzählstruktur, da er – wie so oft üblich – in drei Akten erzählt wird, diese aber chronologisch umgekehrt gezeigt werden, so dass sie uns aufgrund des fehlenden Kontextes eher wie eigene Geschichten vorkommen, deren Verbindung sich erst am Ende  – also am Anfang einer traditionellen Erzählung – offenbart.Aber beginnen wir mal der (umgekehrten) Reihe nach, da uns Akt III gleich zu Anfang mit einer Welt konfrontiert, die gehörig aus den Fugen geraten ist. Ein großer Teil von Kalifornien ist dank schwerer Erdbeben in den Pazifik gerutscht, was den amtierenden US-Präsidenten ja noch freuen dürfte – aber da hört es nicht auf. Waldbrände, Seuchen und ein schwerer Vulkanausbruch in Deutschland (!) machen den Planeten immer lebensunwerter – aber wer nun befürchtet, hier mit grüner Ideologie traktiert zu werden, kann unbesorgt weiterschauen, da die Probleme die des oft beschworenen Klimawandels deutlich übertreffen und mit CO2-Neutralität niemals hätten behoben werden können.

Das zeigt sich vor allem, als das erst das Internet ausfällt, dann das Telefonnetz (ist in den USA zum Teil noch linear), dann das Fernsehen (dito), was einen Charakter lamentieren lässt, dass ihn nicht nur seine Frau verlassen hat, sondern ihn nun auch der Zugang zu Pornoseiten.All dies sehen wir durch die Augen von Marty Anderson (Chiwetel Ejiofor, „12 Years a Slave“), einem Englischlehrer, der in dem ganzen Chaos noch ein anderes Rätsel zu erkennen glaubt. Überall, auf Plakatwänden, im nicht funktionierenden Fernsehen, im Internet und Radio tauchen plötzlich Anzeigen auf, die einem gewissen Chuck Krantz für 39 tolle Jahre denken. Keiner weiß, wer dieser Typ, der immer nur in demselben Foto an seinem Schreibtisch erscheint, eigentlich ist.

Regisseur Mike Flanagan, ein Stephen-King-Experte, schafft es, all die bislang ausgelegten Fäden auf magische Art zu verbinden.

Ein wenig mehr – aber nicht viel – erfahren wir im zweiten Akt, in der wir besagten Chuck (Tom Hiddleston, Loki aus den Marvel-Filmen) kennenlernen, als er bei einer Konferenz in Boston durch die Stadt schlendert und sich spontan dazu hinreißen lässt, zum Beat einer trommelnden Straßenmusikerin einen wirklich hinreißenden Tanz hinzulegen, der sich zu einer Musicalnummer von „La-La-Land“-Qualität entwickelt, als er eine junge Frau, die gerade von ihrem Freund verlassen wurde, mit hinzunimmt.

Man muss hier betonen, dass es sich bei „The Life of Chuck“ nicht um ein Musical handelt: alle drei Charaktere – Chuck, seine Tanzpartnerin und die Musikerin – wurden uns zuvor kurz vorgestellt, so dass hier nichts unmotiviert scheint. Was die Motivation sein soll, muss nicht erklärt werden – die Szene, die den zweiten Akt fast komplett ausfüllt, lebt von ihrer Lebensfreude. Das muss reichen – und tut es.Nach Weltuntergang und Leben, kommt nun im ersten Akt die Kindheit.

Hier zu viel preiszugeben wäre Verrat am Publikum, aber hier wird um den jungen Chuck (gespielt altersgestuft von drei Darstellern), der als Waise in der Obhut seiner Großeltern aufwächst, die in einem wahren Besetzungscoup von Mark Hamill (Luke Skywalker) und einer inzwischen ergrauten Mia Sara (die Schönheit aus „Ferris macht Blau“) gespielt werden – ein wahrer „Zurück in die Zukunft“ und Nostalgie Moment für all diejenigen, deren filmische Sozialisierung in den 80ern stattfand.

Hier schafft es Regisseur Mike Flanagan, ein Stephen-King-Experte, der bislang allerdings eher die Horrorromane des Schriftstellers bearbeitete, all die bislang ausgelegten Fäden auf magische Art zu verbinden. Nicht allverbindlich und lückenlos, wie der von einer Oma gestrickte Pullover – aber so, dass wir so langsam verstehen, worum es in diesem Film wirklich geht. Wobei ein mehrfach eingestreutes Zitat von Walt Whitman ein hilfreicher Schlüssel ist.

Mike Flanagan besucht die britische Premiere von "Life of Chuck" im Barbican in London.

„The Life of Chuck“ ist einer dieser Filme, bei dem man sich die Emotionen nachher aus dem Gesicht wischen muss – zumindest, wenn man nahe am Wasser gebaut hat und sich nicht schämt, einen ganzen Film lang Freudentränen zu flennen.Über ihn kann man im Nachhinein viel reden und diskutieren, aber emotional hat man beim Abspann schon alles verstanden. Ein Film, der mit dem Tod von allem und jedem beginnt und dann entgegen der Chronologie zum Anfang der Geschichte findet, muss nun mal zwangsläufig vom Leben handeln.Und die Mutmaßung, dass er bei den Oscars eine große Rolle spielen wird, ist alles andere, als weit hergeholt.Man kann diesen Film ohne weiteres als trivial abtun, aber man kann sich auch auf ihn einlassen. Die Belohnung ist ein einzigartiges Kinoerlebnis, das noch lange nach dem Abspann Freude spendet.

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