Kirchen und Parteipolitik – die letzte Schlacht der deutschen Amtskirchen

vor 3 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Vor kurzem erregte die neue Präsidentin des Bundestages, Julia Klöckner, ein gewisses Aufsehen durch ihre Kritik an den beiden einst „großen“ Kirchen, der EKD und der katholischen Kirche in Deutschland. Die CDU-Politikerin warf den Bischöfen und Kirchenfunktionären einseitige Einmischung in die Tagespolitik im Sinne der linken Parteien, der SPD und der Grünen vor. Zugleich, so Klöckner, sei bei den öffentlichen Stellungnahmen der Kirchen eine genuin theologische oder spirituelle Botschaft oft gar nicht mehr zu erkennen.

Klöckner schlug sofort ein wahres Wutgeheul entgegen. Einige Politiker und Journalisten, von denen die meisten vermutlich bestenfalls an Weihnachten eine Kirche betreten würden, warfen ihr vor, den Kirchen einen Maulkorb verpassen zu wollen, und die Kirchen selbst beharrten darauf, dass das Evangelium selbst in seiner Botschaft politisch sei, und sie deshalb die Pflicht hätten, sich einzumischen.

Will sich der amtierende Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Bischof Bätzing, als neuer Kardinal Bellarmin (1542–1621) an solchen Vorbildern orientieren, wenn er auf dem politischen Auftrag der Kirchen beharrt? Wohl eher nicht. Aber auch den erbitterten Kampf der Römischen Kirche gegen den Liberalismus und die rationalistische Moderne überhaupt, den die Päpste ein Jahrhundert lang von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis nach dem II. Weltkrieg mit allen politischen Waffen führten, wird er wohl nicht als das Modell betrachten, an dem sich die schrumpfende Kirche heute orientieren soll, eher im Gegenteil. Das Problem ist nur, dass Päpste wie Pius IX. (reg. 1846 bis 1878) eben nicht einfach nur politisch agierten, sondern einen in sich stimmigen christlichen Lebensentwurf und eine katholisch geprägte Idee gesellschaftlichen Zusammenlebens verteidigten. Dieser Abwehrkampf gegen die Moderne mochte reaktionär sein, und zum Teil sogar im 20. Jahrhundert klerikal-faschistische Bewegungen stärken, aber er war in sich immerhin konsequent.

Das kann man von den heutigen Verlautbarungen der Kirchenoberen kaum sagen, denn eine umfassende Vorstellung christlicher Lebensgestaltung bis hinein in den Alltag gibt es im Grunde gar nicht mehr, und wenn es sie irgendwo in einem Hinterzimmer noch gibt, würden die deutschen Bischöfe sie sicherlich nicht mehr offensiv in der Öffentlichkeit verteidigen. Dazu fehlt ihnen der Mut, weil sie dann rasch als Ewig-Gestrige gebrandmarkt würden.

Was die protestantischen Kirchen betrifft, so hatten sie jedenfalls in Deutschland schon immer eher das Bündnis mit dem Staat gesucht, und sich diesem angepasst, zumal das Kirchenregiment nach der Reformation ohnehin bei der weltlichen Obrigkeit lag und der Landesherr bis 1918 die Aufsichtsfunktionen eines Bischofs ausübte. Das heißt nicht, dass einzelne Geistliche im 16. und frühen 17. Jahrhundert nicht auch immer wieder zur Obrigkeitskritik bereit waren, weil sie für den geistlichen Stand ein „Strafamt“ gegenüber irregeleiten Fürsten und Magistraten beanspruchten, aber insgesamt war das Verhältnis von Staat und Kirche meist ein symbiotisches.

Zugleich beharrte das Luthertum darauf, dass die Gesetze der Welt nicht die des Evangeliums und der Kirche seien, und die Kirche die Autonomie politischer Ordnungen respektieren müsse – oder wie es in der Sprache der Zeit hieß: Evangelium non tollit politias (das Evangelium hebt die weltlichen Herrschaftsordnungen nicht auf). Da waren die Theologen des 16. und 17. Jahrhunderts weiter und moderner als ihre heutigen Nachfolger.

Gerade in Deutschland kam es dann freilich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu einer im Rückblick fatalen Verbindung zwischen dem vorherrschenden Kulturprotestantismus und einem übersteigerten Nationalismus, mit dessen Wertvorstellungen die protestantischen Kirchen sich oft ganz ohne Vorbehalte identifizierten. Auch das kann wohl kaum als Vorbild für heutige politische Interventionen von Kirchenvertretern dienen, sondern ist eher ein abschreckendes Beispiel.

Die Kirchenoberen kämpfen heute für eine radikalisierte Moral, die zwar christliche Wurzeln haben mag, aber ganz in ein säkularisiertes Weltbild eingebettet ist.

Nun glauben Männer wie Bätzing oder erst recht die protestantischen Kirchenoberen, wenn sie für eine Politik der gänzlich offenen Grenzen plädieren oder für eine energische Bekämpfung der Erderwärmung ganz ohne Rücksicht auf ökonomische Überlegungen, natürlich gerade durch ihr Engagement für linke Positionen die früheren Verfehlungen ihrer Vorgänger, die oft auf der Seite der Konservativen standen, wenn sie nicht sogar Gegner von Demokratie und politischer Freiheit waren, kompensieren zu können.

Ihr politischer Kampf ist daher eine Art Bußübung. Sie merken dabei freilich nicht, dass das Ethos, das sie predigen, nicht nur reine Gesinnungsmoral ist – die praktischen Konsequenzen ihrer Moralpredigten sind ihnen in der Regel ganz gleichgültig – sondern auch trotz seiner christlichen Wurzeln mit wesentlichen Elementen eines christlichen Weltbildes nur schwer vereinbar ist, wie es der englische Philosoph John Gray, selbst freilich Agnostiker, im New Statesman vor kurzem hervorgehoben hat.

Zu den christlichen Wurzeln der zur Zeit dominierenden linksliberalen Moralvorstellungen gehört sicher die Achtung vor den Schwachen und Wehrlosen und die Empathie mit den Ausgegrenzten und Verachteten, das ist richtig. Aber in der christlichen Tradition war diese Haltung getragen und eingehegt von einer tiefen Einsicht in die Grenzen menschlicher Möglichkeiten und Tugenden. Von Selbstsucht geleitet konnte, so die Botschaft des Christentums, der Mensch in einer gefallenen Welt überhaupt nur durch Gnade, nicht durch eigene Kraft zum Heil gelangen. Ohne die Verankerung in einem solchen Weltbild droht ein Ethos des grenzenlosen Mitleids und der Empathie zur anmaßenden Hypermoral zu werden.

Auf Grund einer tief pessimistischen Anthropologie sah überdies die Theologie, als sie noch nicht vor einer säkularisierten Moderne kapituliert hatte, das Streben des Individuums nach uneingeschränkter Autonomie meist kritisch, obwohl im radikalen Protestantismus, wie er sich in England und noch stärker in Amerika manifestierte, manches vom heutigen radikalen Individualismus unter freilich ganz anderen Vorzeichen antizipiert wurde.

Aber die Botschaft des heutigen Hyperliberalismus, die die Autonomie des Einzelnen zum höchsten und oft einzigen Wert erklärt, und jeden Angriff auf die immer expansiveren sozialen Geltungsansprüche dieses Einzelnen und mögen sie noch so seltsam sein – man denke an die Transgenderideologie – als Hass klassifiziert, ist dem Christentum in seinen unterschiedlichen traditionellen Formen fremd, und erst recht die Intoleranz des gnadenlosen woken Moralcodes, der jeden unbarmherzig bestrafen will, der, in den Worten von John Gray, sich weigert, der neuesten Mode des gerade aktuellen Opferkultes in allem zu folgen.

Wenn die Kirchen also heute nicht nur vermeintlich „rechte“, angeblich antidemokratische Bewegungen, sondern überhaupt alles, was nicht dezidiert links ist, angreifen, und das tun sie in Deutschland oft mit Begeisterung, dann kämpfen sie in Wirklichkeit für radikalisierte und entgrenzte ethische Vorstellungen, die zwar in der Tat christliche Wurzeln haben, aber deren Anhänger zugleich ein Weltbild propagieren, das den Menschen ganz als Schöpfer seiner selbst sieht und in dem für die christliche Einsicht in die Gottesferne dieser Welt, die sich eben nicht mit dem Evangelium regieren lässt, kein Platz mehr ist.

Der Bezug zur Transzendenz ist den Kirchen zumindest auf der Führungsebene gänzlich verloren gegangen, politischer Aktivismus soll das kompensieren.

Dieses Defizit wirkt umso schwerer, weil die politischen Botschaften, da hat Frau Klöckner recht, meist kaum eingebettet sind in einen spirituellen Kontext. Vielmehr bewegen sich die Kirchen in ihrer öffentlichen Selbstdarstellung – in den Gemeinden mag es zum Teil noch anders aussehen – in der Regel ganz in der Diesseitigkeit; der Bezug zur Transzendenz ist ihnen abhandengekommen, was ihren Stellungnahmen dann in der Tat den Charakter des Beliebigen und rein Opportunistischen verleiht. Man will nur ja nicht mit dem Zeitgeist irgendwie aneinandergeraten. Nur, soweit Menschen überhaupt noch in die Kirche gehen, tun sie das dann, um in poetisch umgestalteter und lyrisch ausgeschmückter Form das Parteiprogramm der Grünen oder den neuesten Leitartikel der ZEIT von der Kanzel verkündet zu hören? Wohl eher nicht.

Das heißt nicht, dass eine konservative Wende den Verfall der Kirchen notwendigerweise stoppen könnte, insbesondere dann nicht, wenn sie mit der Nähe zur Macht oder der Suche nach dieser Nähe verbunden ist, wie das zur Zeit in den USA der Fall ist. Dort verortet sich der evangelikale Protestantismus oft im Lager Trumps und setzt auf eine Umgestaltung der Gesellschaft durch dessen Politik im Sinne einer Rechristianisierung des öffentlichen Raumes.

Ähnliches gilt für viele traditionelle Katholiken, zu denen etwa der Vizepräsident Vance gehört. Aber auch hier gilt: Macht korrumpiert, und unter einem Herrscher wie Trump, dessen moralischer Kompass, soweit er denn einen besitzt und nicht nur in profitablen Deals jeder Art denkt, und der sicher kein christlicher, sondern ein robust paganer, wenn nicht gar sozialdarwinistisch denkender Politiker ist, sicher noch stärker als sonst.

Dessen ungeachtet sollte die CDU klug genug sein, das „C“ im Parteinamen aufzugeben. Nach dem Krieg stand es für die starke Kontinuität zwischen der alten Zentrumspartei und der neu begründeten CDU, und das Zentrum war ja tatsächlich eine Partei mit einem geschlossen katholischen Weltbild. Von diesem Weltbild ist heute selbst in der Amtskirche, von der CDU ganz zu schweigen, nichts mehr geblieben und katholische Wähler bilden auch nicht mehr den dominanten Kern der CDU-Anhänger.

Mit ihrem „C“ bindet sich die Union nur unnötig an die kirchlichen NGOs, im Grunde an ein untergehendes Schiff. Abgesehen davon bietet man dem linken Führungspersonal dieser NGOs durch die immer noch als Fassade bewahrte Kirchenbindung der Partei eine breite Angriffsfläche. Ein Umstand, den dieses Führungspersonal auch weidlich ausnutzt, um die Partei zu diskreditieren.

Dazu kommt, dass das „C“ immer stärker für den politischen Katholizismus als für politischen Protestantismus stand. Die Zeiten, in denen aktive Katholiken die Parteiführung der CDU dominierten, sind spätestens seit Merkel nun einmal vorbei. Wenn die Union wirklich eine moderne Partei und ehrlich sein will, sollte sie das „C“ im Namen streichen. Allerdings könnte diese Maßnahme ein gewisses programmatisches Vakuum hinterlassen, denn wofür die CDU heute steht, weiß ja im Grunde genommen keiner. Vielleicht sollte sie sich einfach Deutsche Staatspartei (DSP) oder auch Kanzler-Union für Deutschland nennen, KUfD, denn mehr als ein Kanzlerverein ist sie ja nun mal nicht und wird sie auch nie wieder werden.

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