
Kommen vier Afghanen aus Schweden über Hamburg nach Berlin: Was wie der Anfang eines Witzes klingt, ist eine innerdeutsche Posse. Oder eine weltpolitische Tragödie. Das kommt auf den Blickwinkel an. Die vier Afghanen sorgen für erhebliche Verstimmungen zwischen den Stadtstaaten Hamburg und Berlin.
Die Männer genießen in der deutschen Hauptstadt Kirchenasyl. Damit sind sie sicher vor der Hamburger Polizei und vor einer Abschiebung nach Schweden. Vorerst. Der Fall zeigt: Mit dem Kirchenasyl treiben Aktivisten den Staat vor sich her. Es passt weder in die Gegenwart noch in die Bundesrepublik Deutschland. Kirchenasyl ist zum Irrweg geworden.
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Hamburgs Erster Bürgermeister beschwerte sich beim Berliner Regierenden Bürgermeister: Die drei Afghanen hätten Unterschlupf gefunden in der evangelischen Dreieinigkeitskirche. Das „Zusammenwirken von Kirchengemeinden und Berliner Polizei“ verhindere den Vollzug von Recht und Gesetz. Kai Wegner möge die Überstellung der vier Afghanen nach Rostock veranlassen. Damit sie per Schiff nach Schweden ausgeschafft werden könnten. Dort hatten sie ihren Asylantrag gestellt.
Kai Wegner antwortete dem Amtskollegen Peter Tschentscher: In Berlin achte man das Kirchenasyl. Den Hamburgern stehe es aber frei, die Männer aus der Dreieinigkeitskirche abzuführen. Davor schreckten die Hanseaten zurück.
Man sieht an diesem Fall, wie sehr das Kalkül der Kirchenasyl-Aktivisten aufgeht. In einem Buch von 2023 über die „ethische Legitimation“ des Kirchenasyls heißt es: „Die Helfer sind davon überzeugt, dass beim Asylverfahren entweder ein Fehler passiert ist, eine menschenunwürdige Härte nicht erkannt worden ist oder die Anwendung der Gesetze dem konkreten Einzelfall nicht gerecht wird.“
Die Kirchenasyl-Aktivisten verhindern oder verzögern die Abschiebung. Sie bringen die ausreisepflichtigen Ausländer in Kirchen unter, denn sie hoffen, „dass Behörden vor der Räumung des Sakralraums von Kirchen eher zurückschrecken als bei anderen kirchlichen Gebäuden.“ So ist es in Berlin bei den vier – laut Pfarrer zum Christentum konvertierten – Afghanen gewesen.
Mit dem Kirchenasyl wird eine Rücküberstellung innerhalb der Europäischen Union verhindert. Warum das so ist, erläutert das katholische Erzbistum Berlin in einem Werbe-Filmchen für das Kirchenasyl.
Das Kirchenasyl öffnet dem subjektiven Empfinden Tür und Tor. Eine drohende Obdachlosigkeit, befürchtete psychische Schäden oder ein geringeres soziales Schutzniveau im anderen EU-Staat können ausreichen, damit deutsche Kirchen den Rechtsstaat herausfordern.
Gemeindemitglieder stellen ihr Gewissen über das rechtsstaatliche Verfahren. Sie diagnostizieren eine Gerechtigkeitsverletzung und organisieren den Widerstand. Die kirchliche Hierarchie ermuntert zu einem solchen grenzwertigen Vorgehen – etwa der Bischof des katholischen Erzbistums Berlin, Herr Koch.
Bischof Koch will, dass mehr Katholiken Abschiebungen verhindern oder erschweren. Er bietet abgelehnten Asylbewerbern kirchliche Schutzräume an. Ihm und den übrigen Kirchenasyl-Aktivisten schreibt ein Parteifreund von Kai Wegner ins Stammbuch, was Kai Wegner nicht hören will: Wenn Kirchen Abschiebungen verhindern, sollten sie „konsequenterweise auch dauerhaft die Betroffenen beherbergen und betreuen“. Das sagt Günter Krings, der rechtspolitische Sprecher der Union im Bundestag.
Er hat recht. Das Kirchenasyl hat eine biblische Grundlage, ja. Doch es stammt aus Zeiten, als die weltliche Macht mit der geistlichen Macht um Vorherrschaft rang. Die Kirche bot staatlich Verfolgten Schutz. Im Rechtsstaat werden Asylbewerber nicht verfolgt.
Ausweisungen sind das letzte und in Deutschland viel zu selten vollzogene Mittel. Wer sie verhindert, stellt die eigene Moral über das Gemeinwohl. Kirchen sollten Besseres im Sinn haben.