
Angela Merkel will nicht, dass man sie vergisst. Dieser Ehrgeiz ist bemerkenswert bei einer Politikerin, die erfolgreich das Image verbreitete, sie sei die Uneitelste von allen.
Die aktuelle Folge „Kissler Kompakt“ sehen Sie hier:
Sechzehn Jahre war Merkel Bundeskanzlerin. Noch heute hat Deutschland unter den Folgen zu leiden. Der Reformstau, die Rekordschulden, die Krise der inneren Sicherheit und die Gereiztheit der Gesellschaft: All das zählt zum Merkel-Erbe.
Die Christdemokratin sieht es anders. Sie kämpft um ihren Platz in den Geschichtsbüchern. Je öfter sie aber das Wort ergreift, desto deutlicher wird: Merkel ist unbelehrbar. Sie hat nichts begriffen.
Merkel hält sich nicht an die eigene Verhaltensregel. Mehr als einmal hat die ehemalige CDU-Vorsitzende bekräftigt: Sie wolle sich nicht in die Tagespolitik einmischen. Sie wolle sich nicht zu ihren Nachfolgern äußern. Es ist eine goldene Regel. Wer einmal das wichtigste politische Amt innehatte, wird es nicht los. Die Anrede nach dem Ausscheiden lautet Bundeskanzler a.D. – Kanzler außer Diensten.
Als Kanzlerin a. D. treibt Merkel nichts so sehr um wie die Migrationspolitik von Friedrich Merz. Kein Wunder: Mit jeder noch so sanften Kursänderung steht Merkels Politikverständnis in Frage. Merkel will in Erinnerung bleiben als Kanzlerin der Willkommenskultur, der Humanität und der offenen Grenzen. Sie hält daran fest: Binnenkontrollen wären Gift für Europa; nur europäische Lösungen seien statthaft.
Merkel sagte bei einer Veranstaltung der Südwestpresse: „Wir müssen uns auf den Außengrenzenschutz fixieren.“ Die Freizügigkeit innerhalb der EU dürfe nicht angetastet werden, sonst „könnten wir erleben, dass uns Europa kaputt gemacht wird.“
Aber nein, Frau Merkel: Europa gedeiht als Verbund souveräner und sicherer Staaten, nicht als Ansammlung von Hochrisikozonen mit einem Migrationsmagneten in der Mitte.
Merkel bleibt blind für die praktischen Risiken ihres theoretisch so hübschen Gedankengebäudes. Sie mag sich nicht eingestehen, dass ohne Grenzkontrollen Europa erodiert – Grenzkontrollen, wie sie in vielen europäischen Ländern Usus sind.
Angela Merkel bleibt sich treu. Das universale Pathos liegt ihr näher als das nationale Interesse. Am Rande des evangelischen Kirchentags bekannte sie sich jüngst zu einer besonderen Maxime: Deutschland solle sich dafür einsetzen, dass es dem Rest der Welt gut gehe.
Wieder ein Eintrag in das Lastenheft des Kanzlers: Mit der Entwicklungshilfe soll Merkels Nachfolger Fluchtursachen bekämpfen. Deutsche Steuerzahler sollen das Leben der Menschen in Eritrea oder Afghanistan so kommod gestalten, dass niemand sich auf den Weg macht? Stärker könnte sich ein Land nicht überfordern. Moralischer kann eine Politik nicht argumentieren, der die Verhältnisse im Inneren über den Kopf wachsen.
Merkels weltethischer Impuls fügt sich in eine lange Reihe. Die Frau, die mit der Deutschlandfahne fremdelte, bekennt: Sie habe Flüchtlinge zwar aktiv ins Land gelassen – freilich nur als Reaktion auf eine, wie sie sagt, „politische Situation“ – eine Situation, die damals halt da war.
Sechzehn Jahre Merkel haben Deutschland nicht gutgetan. Noch im Rückblick gefällt sich die Kanzlerin a.D. in der Rolle einer patenten Frau, die moralisch auf der richtigen Seite gestanden und alternativlos gehandelt habe. Sie zeigt sich uns als unbelehrbare Politikerin. So trägt ihre ausgeprägte Wirklichkeitsallergie zur Politikverdrossenheit massiv bei.