
Wenn es brennt, hat Herr Biedermann sich etwas vormachen lassen. So lautet die Moral aus dem berühmten Stück von Max Frisch, „Biedermann und die Brandstifter“. Der Titelheld lügt sich in die Tasche, weil er ein guter Mensch sein will. Er quartiert Brandstifter bei sich ein und verschließt die Augen vor dessen Gefährlichkeit. Am Ende steht sein Haus in Flammen.
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Brennen kann es aber auch, wenn die Brandmauer an der falschen Stelle steht. So verhält es sich zwischen CDU/CSU und AfD. Die Union ist wie Biedermann blind für die neue Wirklichkeit. Sie will nicht sehen, was der Fall: Die Brandmauer ist von der Realität überholt.
Wenn von CDU und CSU die Rede ist, dann ist deren Spitzenpersonal gemeint. Die Parteichefs Friedrich Merz und Markus Söder verfolgen das Brandmauer-Dogma mit einer Inbrunst, als handelte es sich um den ersten Glaubenssatz im Katechismus der Union. Auch die Landesvorsitzenden stimmen ein: Niemals und nirgendwo sollst du zusammen arbeiten mit der rechten Konkurrenz. Amen. Söder erklärt die AfD zum Systemgegner, Merz bläst zum Frontalangriff auf alles, was der CDU heilig sei.
Markus Söder und Friedrich Merz sind sich einig: Kein Stein aus der Brandmauer darf bröckeln.
Es ist das Recht einer jeden Partei, selbstbestimmt und frei über ihre Koalitionspartner zu entscheiden. Die Union mag tun, was ihr behagt. Doch eine Koalition steht nirgends zur Debatte. Die Frage aller Fragen lautet: Sind CDU und CSU zu einer punktuellen Zusammenarbeit bereit, wenn sie dem Wohl des Landes dient?
Die Geburtswehen einer schwarz-roten Regierungskoalition sind gewaltig. Die versprochene Migrationswende wird es mit der SPD nicht geben. Mit der AfD könnte die Union zentrale Punkte umsetzen. Und so die öffentliche Sicherheit in Deutschland erhöhen. Es nicht zu tun, ist unklug, und das beste Mittel, der AfD weitere Stimmen zuzutreiben.
Auf der kommunalen Ebene ist die Brandmauer bereits Geschichte. Schauen wir nach Sachsen, schauen wir nach Thüringen. Der langjährige sächsische Landtagspräsident Matthias Rößler etwa, Mitglied im Vorstand der sächsischen Union, erklärt: In den Kommunalparlamenten gehe es um ganz konkrete Themen vor Ort. Dort, so Rößler, „brechen sich die politischen Veränderungen zuerst Bahn.“ Die Brandmauer werde in den Kommunen bereits von der Realität überholt.
Wie sollte es anders sein? Die AfD stellt häufig die stärkste Fraktion. Bei der Bundestagswahl konnte die sächsische Union kein einziges Direktmandat erringen. In Thüringen ist die Lage ähnlich.
In Thüringen hat die AfD sieben von acht Wahlkreisen gewonnen. Landesweit lag sie 20 Prozentpunkte vor der CDU. Der CDU-Stadt- und Kreisrat Gunnar Raffke aus Greiz plädiert für ein sofortiges Ende der Brandmauer. Und für ein Ende der Stigmatisierung der vielen Menschen, die die AfD wählen.
Mathias Rößler, langjähriger Landtagspräsident in Thüringen
Wie sagte doch Mathias Rößler aus Sachsen? Vor Ort brechen sich die politischen Veränderungen zuerst Bahn. So ist es. In den Ländern und Kommunen des Ostens lässt sich eine neue Volkspartei wie die AfD nur außen vor halten, wenn man den Anspruch auf politische Gestaltung aufgibt.
Der verdoppelte Stimmenanteil der AfD auf Bundesebene wird ebenfalls seine Wirkung entfalten, ob man es mag oder nicht. Im neuen Bundestag hat die AfD 32 Sitze mehr als die SPD, 67 Sitze mehr als die Grünen. Die AfD vertritt die Stimmen von 10.327.148 Wählern.
Die politische Willensbekundung von über zehn Millionen Menschen lässt sich nicht dauerhaft, nicht generell ignorieren – oder nur um jenen Preis, der an Biedermanns Blindheit erinnert: dass das demokratische Haus in Flammen steht.
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