
Koalitionsverträge sind Fahrpläne für übermorgen. Kunden der Deutschen Bahn wissen: Fahrpläne garantieren nicht, dass man das Reiseziel pünktlich erreicht. Manchmal landet man ganz woanders, oder die Verbindung fällt aus. Trotz Fahrplan.
Die aktuelle Folge „Kissler Kompakt“ sehen Sie hier:
Dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD muss es nicht besser ergehen. Die 146 Seiten sind das Dokument eines Wollens, nicht die Urkunde eines Könnens. Wir Bürger können auf 146 Seiten nachlesen, was uns blüht: eine Regierung des Stillstands – und ein Kanzler ohne Format.
In der Politik ist die B-Note genau so wichtig wie die A-Note. Deshalb hätte ein neues Regierungsbündnis nicht mut- und farbloser starten können als gestern in Berlin. Vor grauer Stellwand, an billigen Plastikpulten und ohne jede Deutschlandfahne waren drei Herren und eine Dame platziert.
Friedrich Merz stand da wie ein Fragezeichen. Er hatte keine Körperspannung, kein Eigengewicht. Da las der Filialleiter einer sauerländischen Volksbank eine Bilanz vor, die ihm andere aufgeschrieben hatten. Da war kein Feuer, keine Selbstbehauptung, keine Leidenschaft für Deutschland. Da war nur Friedrich Merz – und das klang so:
Das zentrale Wahlkampfversprechen der Union war eine striktere Migrationspolitik. „Es reicht!“, schleuderte der Oppositionsführer dem Kanzler nach jedem Terroranschlag entgegen. Es reiche wirklich mit den offenen Grenzen und den laxen Abschiebungen.
Und nun? Im Koalitionsvertrag heißt es: „Abgelehnte Asylbewerber müssen unser Land wieder verlassen.“ Das besagt gar nichts, solange abgelehnte Asylbewerber geduldet werden und als Geduldete meistens im Land bleiben.
Ein anderer Satz im Koalitionsvertrag lautet: „Wir werden in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn Zurückweisungen an den gemeinsamen Grenzen auch bei Asylgesuchen vornehmen.“ Schön. Doch wird Polen zustimmen, einen Syrer zurückzunehmen, den die deutschen Asylbewerberleistungen anlocken? Merz zockt, wenn er seine Migrationswende abhängig macht vom guten Willen der Nachbarstaaten.
Der Fünf-Punkte-Plan der Union wurde vom Bundestag mit den Stimmen der AfD tatsächlich verabschiedet. Im Januar. Darin wird ein Einreiseverbot für Asylmigranten ohne Einreisedokumente gefordert. Der Fünf-Punkte-Plan passte dem Oppositionsführer Merz ins Konzept. Der künftige Kanzler Merz braucht ihn nicht.
Gerade so schwächt Merz die Demokratie, die sein neues Bündnis stützen will – auch dadurch, dass das linke Förderprogramm „Demokratie leben“ fortgesetzt wird. Freude und Jubel bei der Amadeu Antonio Stiftung, dem „Bundesverband Trans“ und den „Neuen deutschen Medienmacher*innen“! Merz gefällt das.
Lars Klingbeil hat das schlechteste Wahlergebnis der SPD zu verantworten. Dennoch soll seine Partei sieben von 17 Ministern und den Vizekanzler stellen. Klingbeil hat erfolgreich gezockt. Er stellte nun klar, dass die asylpolitische Richtlinienkompetenz bei der SPD liegt.
Wer kommen will, heißt das, darf erst einmal bleiben. Klingbeils Ko-Vorsitzende Saskia Esken ließ derweil keinen Zweifel, dass der linke Marsch durch die Institutionen nicht an sein Ende gekommen ist.
Merz setzt der Dominanz der bunten, also linken Gesellschaft nichts entgegen, weil ihn die Gesellschaft nicht kümmert. Ihm reicht das Kanzleramt. Er winkt Gleichstellung als Staatsaufgabe durch. Er droht den sogenannten Feinden der Demokratie mit Null Toleranz, obwohl linke Kader alles Nicht-Linke für demokratiefeindlich halten. Er will die Bundeszentrale für politische Bildung stärken, obwohl diese zur linken Vorfeldorganisation verkommen ist.
Merz hat auch den Kampf gegen die Lobbyisten der grünen Energiewende aufgegeben. Er streckt die Waffen.
Der CDU-Vorsitzende setzt alles auf die unwahrscheinliche Aussicht, dass Deutschland die Rezession rasch überwindet. Bei florierender Wirtschaft, hofft Merz, werde man ihm den Bruch seiner Wahlversprechen nachsehen und auch die Jobverlängerung für linke Umerzieher. Er könnte sich verzockt haben.