
Magdeburg ist eine gebeutelte Stadt. Die heutige Hauptstadt Sachsen-Anhalts wurde im Dreißigjährigen Krieg verwüstet und im Zweiten Weltkrieg zerstört. Magdeburg ist Kummer gewohnt. Das Attentat vom 20. Dezember 2024 wird ebenfalls in die Geschichte eingehen. Sechs Menschen starben auf dem Weihnachtsmarkt. Sie wurden ermordet durch einen Mann aus Saudi-Arabien, der mit seinem Auto in die Menge fuhr. Die Toten von Magdeburg dürfen nicht vergessen werden.
Rettungskräfte kümmern sich um die Opfer auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt.
Die Gründe sind vielfältig, und sie haben alle mit uns zu tun, mit den Bürgern dieses Landes. Zunächst einmal ist die Erinnerung an die, wie es früher hieß, teuren Toten eine Frage des Anstands und des Respekts. Wer unschuldig aus unserer Mitte gerissen wurde, verdient ein ehrendes Angedenken. Eine Gesellschaft, die sich nur in der Gegenwart einrichtet, verkümmert. Man muss wissen, was da war, um einen guten Weg in die Zukunft zu finden.
Den Kommentar von Alexander Kissler sehen Sie hier im Video:
Was aber war da in Magdeburg? Sechs Menschen fanden den Tod, die allesamt noch leben könnten. Fünf Frauen und ein Kind mussten sterben, weil ein Mann aus Saudi-Arabien im Land war, der nicht im Land hätte sein dürfen. Und weil der Weihnachtsmarkt nicht so gesichert war, wie er hätte gesichert sein müssen.
Auch der kleine André wurde in Magdeburg getötet. Seine Mutter veröffentlichte diesen herzzerreißenden Post auf Facebook.
Womit wir beim zweiten Grund wären, weshalb die Toten von Magdeburg nicht vergessen werden dürfen: Die Toten sind die Opfer eines politischen Versagens.
Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser erweckt manchmal den Anschein, sie wüsste um die politische Dimension der Toten von Magdeburg und der anderen Opfer deutschen Staatsversagens. Nach einer Sondersitzung des Innenausschusses des Deutschen Bundestags sagte Faeser, die Ermittlungen liefen „weiterhin auf Hochtouren“. Um die Hintergründe zu ermitteln, würde „jeder Stein umgedreht“.
Nancy Faeser gibt nach der Sondersitzung des Innenausschusses ein Statement vor der Presse.
Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen. Die für innere Sicherheit zuständige Bundesministerin speist eine aufgewühlte Gesellschaft mit Floskeln ab. Floskeln dienen einem einzigen Zweck: sie halten die Wirklichkeit auf Abstand. Frau Faeser will mit den Toten von Magdeburg nichts zu tun haben. Keine billigere Floskel gibt es als jene von Ermittlungen, die angeblich „auf Hochtouren“ laufen – ja, laufen sie denn sonst auf Niedrigtouren, auf Halbtouren, auf Zehnteltouren? Wenn etwas „auf Hochtouren“ läuft, kann man davon ausgehen, dass es leerläuft, ausläuft, ohne Ergebnisse.
Wenn Frau Faeser wirklich jeden Stein umdrehen wollte, müsste sie vor allem jenen Stein entfernen, der ihr offenbar den Ausgang aus dem Amt versperrt. Die Toten von Magdeburg mahnen: Ein Land, das Menschen aufnimmt, die sich Flüchtlinge nennen, und das diese Flüchtlinge im Land belässt, selbst wenn sie sich derart aggressiv gebärden wie der Terrorist von Magdeburg – ein solches Land hat mit seiner Selbstachtung ebenso Probleme wie mit seiner inneren Sicherheit – und vermutlich hängt das eine Problem mit dem anderen zusammen.
Der Attentäter von Magdeburg hatte Gewalttaten öffentlich angekündigt – und er war in sieben Ermittlungsverfahren involviert. Die Sicherheitsbehörden kümmerte es nicht. Dass er trotz mangelnder Kompetenzen und trotz psychischer Probleme als Psychiater wirken durfte, ist der nächste Skandal im Skandal. Die lückenhafte Absperrung des Weihnachtsmarktes komplettiert das Staatsversagen.
Es gäbe viele Kandidatinnen für einen Rücktritt. Auch die CDU-Innenministerin von Sachsen-Anhalt und die SPD-Oberbürgermeisterin von Magdeburg wurden ihrer Verantwortung nicht gerecht.
Drittens dürfen die Toten von Magdeburg nicht vergessen werden, weil sie nur die Spitze der Leidenspyramide darstellen. Insgesamt gehen 531 Opfer auf das Konto des Attentäters aus Saudi-Arabien, der möglichst viele Deutsche töten wollte.
Blick in den abgesperrten Weihnachtsmarkt. Überall liegen blutgetränkte Tücher und Verbandsmaterialien.
Auf diese Zahl kommt man, berücksichtigt man neben den bisher sechs Toten auch die Verletzten, die Angehörigen, die traumatisierten Augenzeugen. Kann ein Leben wieder heil und hell werden, wenn man einmal aus nächster Nähe sah, wie ein Auto mit hoher Geschwindigkeit Menschen tot fuhr? Wenn Menschen schrien, direkt neben einem? Wenn da Menschen starben, Menschen zerfetzt wurden?
Den vielen hundert Opfern wäre all dies erspart geblieben, wenn der Staat nicht versagt hätte. Wenn die Politik ihrer Verantwortung gerecht worden wäre. Wir sind es den Toten von Magdeburg schuldig, sie nicht zu vergessen – damit die Politik sich ändert, und es künftig solche Tote nicht mehr geben wird.