Klingbeil fordert Stahlgipfel

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Gipfel folgt auf Gipfel. Wenige Wochen nach dem spektakulär versandeten Investitionsgipfel mit Bundeskanzler Friedrich Merz fordert nun der Finanzminister den nächsten Krisengipfel für die deutsche Wirtschaft. Diesmal steht die Stahlbranche im Mittelpunkt der politischen Gipfelstürme. Als energieintensiver Wirtschaftssektor wurde sie von der grünen Transformationspolitik besonders hart getroffen.

Die Stahlbranche, einst fundamentales Rückgrat industrieller Wertschöpfung in Deutschland, taumelt durch ihre schwerste Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Im Juli 2025 sank die Rohstahlproduktion laut Wirtschaftsvereinigung Stahl im Vergleich zum Vorjahresmonat um 13,7 Prozent auf nur noch 2,7 Millionen Tonnen – bereits der siebte Rückgang in Folge. Das erste Halbjahr sah einen Produktionseinbruch von 11,6 Prozent, von 19,3 auf 17,1 Millionen Tonnen.

Doch der Absturz zeigt sich nicht nur in Produktionsstatistiken, sondern auch in steigenden Insolvenzahlen, Arbeitsplatzabbau und Kapitalverlagerung. Deutschlands größter Produzent, ThyssenKrupp Steel Europe, kündigte den Abbau von 11.000 Stellen bis 2030 an – das entspricht 40 Prozent der Belegschaft. 5.000 Jobs werden unmittelbar gestrichen, weitere 6.000 werden im Zuge von Outsourcing-Maßnahmen oder Verkäufen abgebaut. Parallel schrumpfte im gesamten Verarbeitenden Gewerbe binnen eines Jahres die Zahl der Beschäftigten um rund 120.000.

Zahlreiche bekannte Namen sind der wirtschaftlichen Depression bereits zum Opfer gefallen: Zulieferer wie Benkert oder traditionsreiche Stahlhütten im Saarland mussten ihre Tore schließen. Selbst große Player wie Salzgitter oder ArcelorMittal in Bremen kämpfen mit massivem Kostendruck.

Für die Stahlproduzenten wurde das Worst-Case-Szenario Realität: Unerbittlicher Preisdruck aus Asien, die vermurkste Energiewende und das Aus des russischen Gases treiben die Schlüsselindustrie aus ihrem Heimatstandort. Die Deindustrialisierung ist sichtbar, sie ist messbar und sie wäre vielleicht sogar reversibel, klammerte sich das politische Establishment nicht manisch und verstockt an seine kreuzgefährliche Transformationsideologie.

SPD-Chef Lars Klingbeil hat den Ernst der Lage in der Stahlindustrie immerhin erkannt und reagiert so, wie man es von einem erfahrenen Funktionär erwarten würde – er fordert einen Stahl-Gipfel. Gemeinsam mit den Unternehmen und den Gewerkschaften der Branche soll dann nach Lösungen für die Energiekrise gesucht werden, die nicht zuletzt auch seine Partei, die SPD, mit zu verantworten hat.

Und die Zeit drängt: „Wir als SPD wollen einen baldigen Stahl-Gipfel“, erklärte Klingbeil. Gemeinsam mit Konzernchefs und Betriebsräten wolle man beraten, wie die deutsche Stahlproduktion gegen Billigimporte, explodierende Energiekosten und neue US-Zölle verteidigt werden könne. Vor allem die Frage nach verlässlich niedrigen Energiepreisen solle dabei im Zentrum stehen.

Klingbeil nutzte die Gelegenheit, den Zollstreit mit den USA in die Kette der Krise einzuflechten. Doch niemand wird ihm abnehmen, dass Donald Trump plötzlich die Schuld am Niedergang der deutschen Stahlindustrie trägt – nicht einmal die eigenen Sozialdemokraten. Mit Blick auf die USA plädiert der Minister für niedrige Zölle und hohe Quoten. Schließlich sind die Amerikaner auf die Qualität deutschen Stahls angewiesen, etwa beim Flugzeugbau. Ein Versuch, politische Verantwortung geschickt zu verlagern – eine klassische politische Märchenerzählung auf hohem Niveau.

Unterm Strich soll der Gipfel einen Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Arbeitnehmern herbeiführen. Die Wirtschaft drängt derweil verständlicherweise auf die Senkung der hohen Energiekosten. Diese müssen dringend wieder auf ein wettbewerbstaugliches Niveau fallen, das ist unbestritten. Offen bleibt lediglich die politische Strategie.

Die Öffentlichkeit ist daran gewöhnt, die Betriebe sowieso – und die Politik kann sich einmal mehr im Glanz des vorgestellten Problemlösers sonnen – eines Problems, das sie selbst erzeugt hat.

Der Green Deal, die heilige Kuh der ökologistisch-sozialistischen Politik, wird derweil nicht angetastet.

Dass sich Wirtschaft und Politik, obwohl die Lösung so offen auf dem Tisch liegt, dennoch zu einem Gipfel verabreden werden, dient ausschließlich der Medienhygiene und der Dominanz des öffentlichen Diskurses. Es fällt nicht leicht, gegen eine politische Lösung zu argumentieren, mit deren Ergebnis möglicherweise mittelfristig zehntausende Arbeitsplätze gesichert werden können. Dass auf lange Sicht knappe Ressourcen auf Kosten Dritter fehlgelenkt und damit zusätzliche ökonomische Schäden verursacht wurden, spielt zunächst eine untergeordnete Rolle, dafür werden die staatsnahen Medien sorgen.

Immerhin stehen nun auch die Existenzen der verstummten Funktionäre der Großwirtschaft und der Gewerkschaften im Feuer – weshalb diese sich nur allzu gern auf dieses politische Medien-Theater einlassen.

Dieses über Jahrzehnte eingeübte klassische Medienspiel hat seinen normativen Sinn in einer Zeit, in der Gesellschaft und Wirtschaft einem stabilen Pfad folgen. Sie helfen moralisch bei der Überwindung temporärer Rezessionen, sind aber nicht geeignet, die strukturellen Probleme, die in erster Linie von der Politik erzeugt werden, zu lösen.

Was wir mit dem Stahlgipfel erleben werden, ist hingegen rasche Symptomlinderung: Ein Pflaster wird über eine der zahlreichen Wunden geklebt, die die Politik der Wirtschaft geschlagen hat.

Wird die Bundesregierung nun endgültig zur Gipfel-Stürmerin? Schon jetzt reiht sich ein Krisentreffen ans nächste – und nicht nur die Stahlindustrie verlangt nach politischer Notfallmedizin. Auch in anderen Kernbranchen wie der Bauwirtschaft, dem Maschinen- oder Fahrzeugbau ist die Produktion von ihren Höchstständen längst im zweistelligen Prozentbereich abgesackt.

Es ist allerdings noch immer kein politisches Einlenken zu erkennen, weder in der deutschen Großindustrie, die sich zu sehr an die Subventionen gewöhnt hat, noch in der Politik selber. Es handelt sich um ein selbst geschaffenes Strukturproblem, das nur mit dem Bruch des Green Deals zu lösen wäre. Von diesem Krisenpunkt, einem grundsätzlichen Wendepunkt, sind wir aber noch ein großes Stück des Weges entfernt.

Einmal dort angelangt, wird die wirtschaftliche Dauerdepression das streng hierarchisch aufgebaute Machtgebäude, an dessen Spitze die ideologische Leitung Brüssels thront, in ihren Grundfesten erschüttern. In dem Moment, in dem die ökonomische Leistung den unstillbaren Hunger der installierten Subventionsmaschine nicht mehr zu stillen vermag, wird das zentralistische Kunstgebäude, das ausschließlich auf diesen Finanzströmen aufgesetzt ist, zerfallen. Erste Risse sind bereits sichtbar. Die deutsche Stahlbranche zählt unbestritten dazu.

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