Koalitionsgespräche: Alles ist wieder offen

vor 29 Tagen

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Bildquelle: Apollo News

In Berlin übt sich mancher dieser Tage in etwas, was für manchen ungewohnt erscheinen mag – dem Hoffen auf Saskia Eskens Vernunft. Die Mahnung der Parteichefin an ihre eigenen Leute ist ein Lichtblick für manchen Unions-Anhänger – und ein Stoppschild für so manchen SPD-Politiker, der in der einen oder anderen Arbeitsgruppe schon ein Potpourri linker und sehr linker Forderungen platziert hatte. „Das ist jetzt eine Sammlung von sehr, sehr vielen Ideen und sehr, sehr vielen Wünschen. Aber man muss schon sehr deutlich sagen, unsere Mittel sind begrenzt.“

„Das sind Wunschvorstellungen“, äußerte sich auch Alexander Dobrindt zu den Papieren der 16 Arbeitsgruppen, die im Laufe der vergangenen Woche öffentlich geworden waren. Auch SPD-Co-Chef Lars Klingbeil legt schonmal die Axt an den Inhalt der AG-Papiere. Beim Blick auf die Ergebnisse der 16 Arbeitsgruppen müsse man fragen: „Ist das groß genug? Reicht das? Sind das die richtigen Schwerpunkte? Oder müssen wir noch ganz anders priorisieren?“

Er kündigte an: „Wir machen uns nicht nur Freunde, wenn wir die Arbeitsgruppen-Ergebnisse bewerten.“ Und Friedrich Merz erklärte am Wochenende: „Ich habe das Gefühl, dass bei manchen Arbeitsgruppen die Überschrift lautete: ,Wünsch-Dir-was.’“ Es werde jetzt die Aufgabe sein, das alles „auf das mögliche Maß zu reduzieren“, erklärte Merz weiter.

Dieser Aufgabe stellen sich die Verhandler jetzt auf der Chef-Ebene: Am Montag werden die Verhandlungen fortgesetzt, nachdem am Samstag bereits Gespräche der sogenannten „19er-Gruppe“ liefen. Die 19 führenden Verhandler für CDU/CSU und SPD sollen das schaffen, was vielen Arbeitsgruppen noch nicht gelungen ist: Einigkeit herstellen.

Denn die Arbeitsgruppen haben teilweise einfach Parteipositionen 1:1 gegenübergestellt. Dissens prägt viele entscheidende Passagen der Papiere, insbesondere bei der wichtigen AG Finanzen, Steuern und Haushalt. Aber auch die bereits geeinten Punkte könnten nochmal auf den Prüfstand gestellt werden. Fangen die Chefs nochmal ganz von vorne an – und war die Aufregung um manche geleakte Passage am Ende viel Wind um wenig?

Klar ist: Von Merz‘ postulierter Deadline – „bis Ostern“ solle die Regierung stehen – ist man schon abgerückt. Binnen drei Wochen die Koalition zu schmieden, daran glaubt keiner mehr im Ernst. Zu viel Dissens gibt es noch, zu blauäugig ist speziell die Union an die Gespräche mit der SPD herangegangen. Man müsse jetzt noch über die „harten Brocken“ sprechen, hatte Merz am Wochenende gesagt. Seinen Verhandlern hatte er jüngst die Anweisung gegeben: Mehr Härte zeigen!

Das heißt: Einen echten Zeitplan zur Regierungsbildung gibt es nicht mehr. Im Ältestenrat des Bundestages, in dem das Präsidium und die Fraktionsführungen Sitzungen planen und organisieren, war zuletzt über den siebten Mai als möglichen Kanzlerwahl-Termin gesprochen worden. Doch auch davon ist man offenbar wieder abgerückt.

Gestritten wird noch über vieles: Ob echte Zurückweisungen an den Grenzen wirklich kommen, ist weiter offen. Der Passentzug für eingebürgerte, ausländische Extremisten ist auch ein Streitpunkt. Genauso die Steuerpolitik – die Union will Steuern quer durch die Bank senken, die SPD spricht hingegen sogar über Steuererhöhungen.

Dissens besteht auch bei Themen wie Wehrpflicht, Tempolimit und vielen anderen Punkten. Wann eine Einigung steht, ist mittlerweile vollkommen unklar. Doch dass sie stehen wird, davon geben sich alle Verhandler überzeugt.

Merz gibt sich optimistisch, dass die Gespräche zum Erfolg führen werden – oder zumindest zu einem gemeinsamen Abschluss. Er sei sehr optimistisch, dass die Koalitionsverhandlungen gelingen würden, sagt auch CSU-Chef Söder. Lars Klingbeil betont: „Wir wissen um die Größe der Aufgabe, die wir haben.“ Es gehe darum, eine stabile Regierung für das Land zu bilden „und wir wollen, dass das klappt“. Diese Koalition sei dazu verdammt, zu klappen, meinte Klingbeil.

Entschnürt die Chef-Ebene nochmal manches Papier oder manchen Punkt, der bereits geeint war? Wagt man in der einen oder anderen Frage nochmal einen anderen Ansatz? Kann man auf unorthodoxe Lösungswege zugunsten des Landes hoffen? Wahrscheinlicher ist, dass jetzt die Zeit des großen Kuhhandels beginnt und entlang der parteipolitischen Linien jetzt Kompromisse geschmiedet werden – im Zweifel auch faule, sachfremde Kompromisse.

Dort würde die Union den Kürzeren ziehen. Wie hart die SPD bleibt, zeigt auch Lars Klingbeil bei Caren Miosga. Der erklärt: „Ein Bundeskanzler Friedrich Merz wird mehr Grenzkontrollen durchführen. Wird damit mehr Zurückweisungen durchführen.“ Und dampft damit nochmal ganz nonchalant Merz‘ Wahlversprechen ein, „ausnahmslos alle“ illegal Einreisenden zurückzuweisen. Was Klingbeil formuliert, wäre de facto keine Änderung der Migrationspolitik.

Generell habe die SPD viele Ampel-artigen Punkte und linke Wünsche in die Papiere geschrieben. Insbesondere in rechtspolitischen Fragen scheren die Sozialdemokraten weit nach Links aus und setzen die Union unter Druck. Die Hoffnung: Mit Härte der Union möglichst viel abtrotzen.

Am Ende, so die wahrscheinliche Rechnung, könnte die Union verhandlungsmüde sein und für (nominelle) Erfolge hier und da der SPD sehr viel herschenken. Immerhin hat die Schulden-Einigung gezeigt, dass die Union durchaus flexibel mit ihren angeblichen Grundsätzen umgeht. Diese Flexibilität, die man in Verhandlungen nur als Schwäche deuten kann, wird sich die SPD gemerkt haben – und wird hoffen, dass da noch mehr geht.

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