„Das ist kein Text aus dem Koalitionsvertrag“: Knallharte Klingbeil-Absage an Merz’ Migrations-Plan

vor 17 Tagen

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Im Interview mit Bild-Vize Paul Ronzheimer stellt SPD-Chef Lars Klingbeil klar, dass der Inhalt des Fünf-Punkte-Plans von Friedrich Merz zur Asylwende sich nicht im Koalitionsvertrag wiederfindet.

Auf die Frage „Wird Friedrich Merz vom ersten Tag seiner Kanzlerschaft an Flüchtlinge zurückweisen?“, antwortet Klingbeil, es gebe mehr Grenzkontrollen und damit auch mehr Zurückweisungen, sollten die Grenzkontrollen ausgeweitet werden, gebe es auch mehr Zurückweisungen. Dies aber auch nur, da sei er sich mit Merz einig, „dass es in Abstimmung mit den europäischen Partnern passiert“. Heißt: Länder wie Polen, Frankreich oder Österreich müssten ihr Einverständnis geben.

Dabei hatte Friedrich Merz am 23. Januar versprochen:„Ich werde im Fall meiner Wahl zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland am ersten Tag meiner Amtszeit das Bundesinnenministerium im Wege der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers anweisen, die deutschen Staatsgrenzen zu allen unseren Nachbarn dauerhaft zu kontrollieren und ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen. Es wird ein faktisches Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland für alle geben, die nicht über gültige Einreisedokumente verfügen. Das gilt ausdrücklich auch für Personen mit Schutzanspruch.“

Ronzheimer erinnert an die Ankündigung des Unionskanzlerkandidaten: „Friedrich Merz hat gesagt: faktisches Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisepapiere. Gilt das?“

Klingbeil: „Ich kann auf die Formulierung im Koalitionsvertrag nur hinweisen …“

Ronzheimer: „Also gilt das nicht.“

Klingbeil: „… mehr Zurückweisung in Abstimmung mit den Europäischen Partnern“.

Ronzheimer: „Also kein faktisches Einreiseverbot.“

Klingbeil: „Das ist, glaube ich, kein Text, den Sie zitieren aus dem Koalitionsvertrag …“

Ronzheimer: „… sondern aus seinem Fünf-Punkte-Plan.“

Klingbeil: „Der Koalitionsvertrag gilt.“

Und da ist von einem faktischen Einreiseverbot für Personen ohne gültige Dokumente, auch für „Schutzsuchende“, wie auch von den anderen Versprechen des Friedrich Merz (etwa Abschiebehaft für vollziehbar Ausreisepflichtige und unbefristeter Ausreisearrest für alle ausreisepflichtigen Straftäter und Gefährder), keine Rede. Merz‘ Kernforderungen, als Entschließungsantrag vom Deutschen Bundestag am 29. Januar mit 348 Ja- zu 344 Nein-Stimmen angenommen, sind von Klingbeil und den anderen SPD-Verhandlern abgeräumt worden, die selbstbewusst verkündete Migrationswende, vom weit überwiegenden Teil des Volkes gewünscht und vom Parlament beschlossen, bleibt aus.

Nach Aschaffenburg kündigte Friedrich Merz eine Asyl-Wende ein, die jetzt ausbleibt.

„Das heißt, Herr Merz hat sich mit seinem Fünf-Punkte-Plan offenbar nicht durchgesetzt“, resümiert Ronzheimer, woraufhin Klingbeil, die Kapitulation von Friedrich Merz gesichtswahrend nicht so nennt, sagt: „Es geht nicht um die Frage durchsetzen, sondern es geht um die Frage, ob wir gemeinsame Lösungen finden, gemeinsame Verabredungen, und die haben wir in enger Abstimmung miteinander im Koalitionsvertrag getroffen.“ Durchgesetzt hat sich die 16,4-Prozent-SPD, gegen den Wahlsieger CDU – und gegen die Mehrheit im Bundestag für eine Asylwende.

Zurückweisung an den deutschen Grenzen am ersten Tag eines Bundeskanzlers Friedrich Merz, auch ohne Absprache – kein Thema mehr. Klingbeil beharrt darauf, dass man sich mit den europäischen Partnern abstimmt, und das würde bedeuten, „wenn ein deutscher Bundeskanzler bei seinem französischen oder polnischen Pendant anruft und sagt, wir finden jetzt ja einen gemeinsamen Weg“. „Und was ist, wenn derjenige nein sagt?“, fragt Ronzheimer. Klingbeil: „Wir reden doch jetzt nicht in Theorie, sondern wir reden in den Sachen, die im Koalitionsvertrag verabredet sind.“ Merz werde „gemeinsame Lösungen finden“.

Der Bild-Mann fragt Klingbeil auch, ob es jetzt „jeden Tag Abschiebeflüge“ geben werde. Klingbeil: „Also wir haben angefangen ja in der jetzt geschäftsführenden Bundesregierung, nach Afghanistan abzuschieben mit einem Flug, und es wird weitere geben, das ist verabredet, und ob die, in welchem Modus die stattfinden, dafür ist dann der Innenminister zuständig.“

Dass ein CSU-Innenminister mit harter Hand durchgreifen könnte, ist indes fraglich. Ronzheimer erkundigt sich nach den Möglichkeiten der Sozialdemokraten, Einfluss auf die Abschiebungspolitik zu nehmen: „Also reden Sie da mit durch das Justizministerium, durch den Staatsminister, den Sie im Kanzleramt eingesetzt haben, ist das dann der Aufpasser von einem möglichen Innenminister? Also wie sehr mischen Sie sich in diese Migrationspolitik überhaupt noch ein?“ Klingbeil weist darauf hin, dass „in einer Regierung Dinge im Einvernehmen getroffen werden, im Kabinett besprochen, natürlich dann auch über die Position des Vizekanzlers, und Sie haben gerade das Justizministerium angesprochen, also da sind viele Möglichkeiten, mitzureden.“

Bei SPD-Chef Lars Klingbeil ist Merz mit seinen Forderungen abgeblitzt.

Bedeutet wohl: Selbst wenn ein Innenminister für die auch von Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz einst in Aussicht gestellten „Abschiebungen im großen Stil“ durchsetzen wollte, könnte die SPD Sand ins Getriebe werfen. Sie ist ohnehin der Ansicht, nichts Substanzielles in der Asylpolitik ändern zu müssen. Noch vor wenigen Tagen behauptete die Ko-Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, es habe bereits eine „Migrationswende“ gegeben, es sei gelungen, „mehr Ordnung in die irreguläre Migration zu bringen“.

Ob es Abschiebungen auch nach Syrien gebe, will Paul Ronzheimer von Klingbeil wissen. Dessen Antwort lässt erahnen, dass daraus wohl nichts in großem Stil wird. Zunächst verweist der kommende Vizekanzler auf die Lage in Syrien, wo das Regime „Massaker an der eigenen Bevölkerung“ begangen habe, man müsse die Lage dort sehr genau beobachten – „aber wenn klar ist, wenn das vertretbar ist, dann wird es diese Flüge auch nach Syrien geben.“ Und wenn die SPD Abschiebungen nach Syrien nicht für „vertretbar“ hält, dann eben nicht.

So wie Klingbeil trocken darauf verweist, dass Friedrich Merz‘ angeblich „unverhandelbare“ Positionen in der Migrationspolitik eben nicht im Koalitionsvertrag stehen. „Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht. Ich gehe keinen anderen“, hatte Merz im Januar energisch und durchaus glaubwürdig versichert – nur um jetzt eine Koalition mit einer Partei einzugehen, die ausdrücklich nicht bereit ist, diesen Weg mit Merz zu gehen. Und was sich von den vagen Absichtsbekundungen im Koalitionsvertrag in der Praxis umsetzen lässt, steht ohnehin in den Sternen.

Carsten Linnemann hatte im Interview mit der Welt vor der Bundestagswahl gesagt, sollte die CDU keine absolute Mehrheit bekommen und „keinen Koalitionspartner, der da mitgeht, dann können wir halt nicht regieren. Es geht hier um die Sache.“ Der Rechtsstaat müsse funktionieren, „und das ist CDU pur“.

Worte, die jetzt als Wahlkampfgetöse keinen Wert mehr haben, weil es Klingbeil und Genossen gelungen ist, den „Fünf-Punkte-Plan“ nach dem Kindermord von Aschaffenburg zu pulverisieren. Und weil sie entschlossen sind, die Durchsetzung selbst minimaler Korrekturen im Kabinett zu sabotieren. Was Merz hoch und heilig versprach, findet sich, wenn überhaupt, nur noch in Spurenelementen im Regierungsprogramm wieder. Eine Niederlage auf ganzer Linie.

Lesen Sie dazu auch: Was von Friedrich Merz’ 5-Punkte-Plan übrig bleibt (Spoiler: nicht viel)

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