
In der Domstadt hat sich eine ungewöhnliche Allianz formiert: CDU, SPD, Grüne, FDP, Die Linke, Volt und Die Partei haben eine „Fairness-Vereinbarung“ unterzeichnet, die den Wahlkampf zur Kommunalwahl am 14. September 2025 reglementieren soll. Das Abkommen, initiiert von dem Verein „Kölner Runder Tisch für Integration“, verpflichtet die Unterzeichner, das Thema Migration nicht zu „instrumentalisieren“. Konkret heißt es in dem Abkommen: „Nicht auf Kosten von unter uns lebenden Menschen mit Migrationshintergrund Wahlkampf zu betreiben und inhaltlich fair zu bleiben.“
Die Vereinbarung, die beim Runden Tisch auf dem Papier bereits seit 1998 existiert und nun für den aktuellen Wahlkampf aktualisiert wurde, geht über bloße Höflichkeitsregeln hinaus. Sie fordert die Parteien auf, „keine Vorurteile gegen die hier lebenden Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge zu schüren oder in den eigenen Reihen zu dulden“. Explizit verboten ist es, Migrantinnen, Migranten und Flüchtlinge „für negative gesellschaftliche Entwicklungen wie die Arbeitslosigkeit oder die Gefährdung der inneren Sicherheit verantwortlich zu machen“.
Stattdessen, so das Schreiben, sollen sich Parteien „aktiv gegen Antisemitismus und Rassismus engagieren“. Beschwerden von Bürgern, die Verstöße gegen die migrationsbejahende Grundhaltung identifizieren, sollen dabei neutrale Schiedsleute aus der katholischen und evangelischen Kirche prüfen, die im Fall eines Verstoßes im zweiten Schritt Korrekturen der Wahlwerbung verlangen könnten. In Köln wird ebenso wie in ganz Nordrhein-Westfalen am 14. September kommunal gewählt. In der Domstadt verabschiedeten erst im April CDU, SPD, FDP und AfD gemeinsam das U-Bahn-Projekt „Ost-West-Achse“, was von vielen Beobachtern als ein Bröckeln der „Brandmauer“ gewertet wurde.
Das Schreiben des Runden Tisches will definieren, wie über Migrationspolitik (und mögliche Probleme) berichtet wird.
Wolfgang Uellenberg van Dawen, Sprecher des Fördervereins, begründet dabei den Ausschluss der AfD damit, dass die Partei „von ihrem Grundsatzprogramm her das Gegenteil von dem will, wofür wir einstehen“.
Die Reaktionen auf die Allianz fielen unterdessen gespalten aus. Die AfD, die in aktuellen Umfragen von RTL/n-tv bundesweit als führende Kraft mit etwa 25 Prozent der Zweitstimmen gesehen wird, fühlt sich benachteiligt. Kölner AfD-Kreissprecher Christer Cremer nannte das Abkommen bei RTL „unfair“: „Damit sollen Debatten unterdrückt werden. Gerade im Wahlkampf sollte alles angesprochen werden, auch Fragen der Migration.“
Matthias Büschges, Vertreter der AfD in Köln und Bürgermeister-Kandidat, teilte gegenüber NIUS mit, dass er in dem Fairness-Abkommen einen Beleg für die „Hybris der übrigen Parteien“ sehe, „die Themen im Wahlkampf vorzugeben“. Weiter teilte er mit, dass „brennende Themen wie ‚Migration und Flüchtlinge‘ durch solche Abkommen nicht adressiert“ würden und dies eine „weltfremde Abgehobenheit“ offenbare, die die „Sorgen und Nöte der Menschen in Köln“ ignoriere. Die AfD sei gar nicht erst zur Teilnahme angefragt worden, was jedoch „unbeachtlich“ sei, da sie das Abkommen „niemals unterzeichnen“ würde – es würde „unseren Grundsätzen widersprechen und unsere Überzeugungen verraten“.
AfD-Kandidat Büschges bewertete das Abkommen als Absage, sich den „Sorgen und Nöten der Menschen“ anzunehmen.
Doch nicht nur die AfD übt Kritik. Die „Kölner StadtGesellschaft“ aus, eine unabhängige Wählergemeinschaft, die sich als „ideologiefreie Alternative“ sieht, bewertet die Allianz als „eine Einschränkung der öffentlichen Diskussion und eine Tabuisierung brisanter Themen“. Eine solche Vorabeinigung sei „keine Fairness“, sondern eine „ideologische Daumenschraube“, so Ratskandidat Torsten Ilg im Lokalkompass. Die „StadtGesellschaft“ betont weiterhin: „Wir tabuisieren nichts – weil nur durch offene Diskussion auch echte Lösungen entstehen können.“
CDU, SPD, Grüne, FDP und Volt ließen eine Anfrage von NIUS zu dem Abkommen unbeantwortet. Die Linke teilte mit: „Migration ist kein ‚Problem‘, das man den Rechten überlassen darf, sondern eine gesellschaftliche Realität, die mit Solidarität, klaren Regeln und sozialer Verantwortung gestaltet werden muss.“ Die AfD lebe davon, „Sündenböcke zu präsentieren und so von den eigentlichen Krisen abzulenken – von Reichtumskonzentration, Mietenwahnsinn und maroder Infrastruktur“ Wenn die Partei über Migration spreche, dann tue sie das „auf Grundlage von Menschenrechten, realistischen Analysen und konkreten Lösungen – nicht mit Panikmache.“ Im Haustürwahlkampf habe man gemerkt, dass Menschen vielmehr das Thema des Wohnraums und der Mieten als besonders wichtig empfänden.
Der Geschäftsführer von RTL West, Jörg Zajonc, teilt jene Skepsis. In einem Videokommentar, der auf X viral ging, wirft er den Kölner Politikern vor, Probleme durch Migration zu tabuisieren: „Probleme erkennen, Probleme benennen, Probleme lösen. Das ist die Aufgabe von Politik.“ In Köln passierte aber durch das „Uraltabkommen“ das Gegenteil, welches Zajonc als die Vermeidung unangenehmer Debatten sieht. „Die Politiker in Köln interessiert das wenig. Sie verweigern sich einer ehrlichen Diskussion, bei der es auch mal ungemütlich wird. Hauptsache friedlich, freundlich, nett.“ Am Ende warnt er: „Wer das nicht erkennt, interessiert sich nicht für die Mehrheit der Wähler. Und das ist das eigentliche Problem, nicht nur in Köln.“
Bereits jetzt zeigt sich, was die Vereinbarung in der Praxis bedeuten kann: Eine Beschwerde gegen einen CDU-Flyer, der sich gegen eine neue Großunterkunft für Flüchtlinge im Agnesviertel ausspricht, führte zu einer Aufforderung zur Korrektur – obwohl kein klarer Verstoß festgestellt wurde und eine Ombudsstelle die Beschwerde zurückwies. CDU-Kreisvorsitzende Serap Güler wehrte sich gegen die Bevormundung: „Wir werden keine dieser Aussagen zurückziehen. Diese Flüchtlingsunterkunft von ungefähr 500 Personen gehört nicht an diesen Platz, wo es eh schon genug Herausforderungen und Probleme gibt“, so Güler.