
Es kommt in Europa in Mode, sich des Spitzenpersonals unliebsamer Parteien zu entledigen, indem man sie persönlich aus dem Rennen nimmt und damit der Partei schadet. Warum mühsam eine Partei verbieten, wenn man einfach die Vorsitzende an der Kandidatur hindern kann?
Das Urteil gegen Marine Le Pen in Frankreich und der Entzug ihres passiven Wahlrechtes eröffnet die Frage, ob so etwas auch in Deutschland als Option rechtlich möglich wäre. Konkret: Wenn man die AfD nicht verbieten kann, warum nicht die relevanten Köpfe der Partei mit Hilfe von Gerichten kaltstellen, sodass sie schlicht nicht mehr zur Wahl antreten können?
Marine Le Pen verlässt nach dem Urteil das Gericht.
Wenn man der AfD mit anderen Mitteln nicht beikommt und ein Parteiverbotsverfahren nicht nur langwierig, sondern auch aussichtslos erscheint, dann könnte es doch einigen als attraktive Alternative für Deutschland erscheinen, doch wenigstens Alice Weidel, Björn Höcke, Tino Chrupalla und anderes Spitzenpersonal daran zu hindern, wieder in ein Parlament einzuziehen, um damit der Partei langfristig und nachhaltig zu schaden.
Es sei „kein Beinbruch“ wenn einer Partei das Spitzenpersonal abhandenkommt, kommentierte nun der Kollege Nikolaus Busse zum Gerichtsurteil im Fall Marine Le Pen in der FAZ angesichts der Tatsache, dass sie durch das Urteil nicht mehr für das Amt des französischen Präsidenten kandidieren kann, da man ihr das passive Wahlrecht mit sofortiger Wirkung entzog.
Schließlich habe die Partei Rassemblement National mit Jordan Bardella auch einen weiteren beliebten Kandidaten, den man ins Rennen schicken kann, so Busse. Das ist natürlich eine nahezu naive um nicht zu sagen intellektuell vereinfachende Argumentation, denn selbstverständlich ist die Frage des Spitzenpersonals eine relevante Sache. Schlag den Kopf der Schlange ab und du erledigst den ganzen Körper war schon in der Welt der Märchen und Sagen eine Lebensweisheit, die man beherzigte, weil sie schlicht funktioniert. Beim zweiköpfigen Drachen muss man doppelt zuschlagen, aber ja, der Kopf einer Bande, einer Unternehmung oder eben einer Partei ist relevant. Wer sich dem Kollegen Busse dennoch anschließen will, möge nur einmal im Kontext, dass manche durch die AfD das Wiederaufziehen der Faschisten befürchten – Stichwort „Nazi-Partei“ – kurz durchdenken, ob es nicht doch einen Unterschied auch für die deutsche Geschichte gemacht hätte, wenn Stauffenberg mit Hitler die Gallionsfigur der NSDAP dann doch erfolgreich aus dem Rennen genommen hätte.
Doch man muss gar nicht so weit zurückgehen, um die These zu erhärten, dass Gallionsfiguren politischer Bewegungen ja nicht umsonst genau so heißen. Man hat immer wieder gerade bei neuen und aufstrebenden Parteien nicht nur in Deutschland, sondern auch international beobachten können, dass sie oft mit ihren Führungspersönlichkeiten stehen oder eben auch fallen. Oder würde jemand sagen, das Bündnis Sahra Wagenknecht hinge nicht essentiell an der sogar namensgebenden Person Sahra Wagenknecht, schließlich gäbe es auch Amira Mohamed Ali oder Amid Rabieh im Präsidium? Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive, nannte man gleich „Schillpartei“ in Hamburg, hing sie doch direkt am Gründer, dem sogenannten „Skandalrichter“ Roland Schill und brach mit ihm auch zusammen. In Österreich waren Leute wie Jörg Haider oder auch Heinz-Christian Strache durchaus relevante Köpfe der FPÖ, ihr Wegfall führte jeweils zum Einbruch, aus dem sie sich erst einmal herausarbeiten mussten.
Wer nun glaubt ein ähnliches Szenario wie in Frankreich mit Marine Le Pen sei weit hergeholt und doch eine ganz andere Sache, schließlich geht es da um Veruntreuung von Geldern, muss nur einen Blick in die aktuellen Verhandlungspapiere zwischen Union und SPD werfen, wo allerlei Gedankenspiele diskutiert werden, wie man „unsere Demokratie“ vor ihren Feinden beschützen könne und auch müsse. Wo ein Wille ist, findet sich auch ein Weg, jemandem das sogenannte passive Wahlrecht zu entziehen.
In diesem Fall findet sich der Vorschlag im Koalitionspapier AG1, Innen, Migration und Recht. Dort heißt es unter der Überschrift Antisemitische Straftaten / Volksverhetzung: „Im Rahmen der Resilienzstärkung unserer Demokratie regeln wir den Entzug des passiven Wahlrechts bei mehrfacher Verurteilung wegen Volksverhetzung. Wir wollen Terrorismus, Antisemitismus, Hass und Hetze noch intensiver bekämpfen und dazu insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung verschärfen. Wir prüfen, inwiefern eine Strafbarkeit für Amtsträger und Soldaten, die im Zusammenhang mit der Dienstausübung antisemitische und extremistische Hetze in geschlossenen Chatgruppen teilen, eingeführt werden kann.“ Über diese Passage herrscht keine Debatte mehr zwischen den Parteien, man ist sich einig.
Um also die Titelfrage zu beantworten, ob man Alice Weidel genauso kaltstellen könnte wie eine Marine Le Pen: Ja natürlich. Die neue „Lex AfD“ zur Entfernung unliebsamer Politiker aus den Parlamenten könnte folgendermaßen in mehreren Schritten durchexerziert werden:
Durch die Verschärfung der Definition von Volksverhetzung, soll der Bürger künftig also noch einfacher wegen „Hass und Hetze“ verurteilt werden können, weil das dann als „Volksverhetzung“ zu werten wäre. Der „Schwachkopf“ lässt grüßen. Die Medien sind jetzt bereits voll von absurden Verfahren und auch Urteilen, die Bürger wegen verbalen Nichtigkeiten und Scherzen zu Hetzern erklären, ab sofort ginge das noch schneller.
Alice Weidel spricht im Bundestag.
Ist der Bürger dann zweimal verurteilt, kann er sich für einige Jahre nicht mehr vom Volk als Mandatsträger wählen lassen. Kommt diese Verschärfung und auch die Option, es mit dem Entzug des passiven Wahlrechtes zu koppeln, müsste man beispielsweise eine Alice Weidel oder einen Björn Höcke einfach wegen jedem zweifelhaften Halbsatz einer Rede mit einer Flut an Anklagen wegen „Hass und Hetze“ überziehen, um sie bei erfolgten Urteilen als Abgeordnete in Parlamenten zu verhindern. Angesichts der aufgeheizten Stimmung im Land wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sich genug Gerichte finden, die hier im Sinne der Volksverhetzung entscheiden, zumal ja die Hürden für so eine Verurteilung parallel herabgesetzt werden sollen.
Nun existiert die Option des Entzuges des passiven Wahlrechtes auch jetzt bereits in Deutschland, es ist aber als Strafzumessung nur für extreme Taten erlaubt wie etwa bei Verurteilung wegen Vorbereitung eines Angriffskrieges und Hochverrat gegen den Bund, wegen Landesverrat und Offenbarung von Staatsgeheimnissen, Angriff gegen Organe und Vertreter ausländischer Staaten, Wahlbehinderung und Fälschung von Wahlunterlagen, Abgeordnetenbestechung und Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln oder sicherheitsgefährdender Nachrichtendiensttätigkeit.
Man muss kein juristischer Profi sein, um zu sehen, dass die Verurteilung wegen einer „Schwachkopf“-Volksverhetzung nicht ganz in diese Reihe passt und der Entzug des Wahlrechtes eine unverhältnismäßige Strafe für ein vergleichsweise geringes Vergehen darstellen würde. Umso erstaunlicher, dass Union und SPD dennoch alles auf eine Stufe heben wollen.
Heute bei NIUS Live:
Es ist besorgniserregend, wenn in immer mehr demokratischen Ländern die freie Wahl durch den Souverän dadurch ausgeschaltet wird, dass aussichtsreiche Kandidaten für Spitzenämter von Gerichten an der Kandidatur gehindert werden. Es verschiebt die Macht des Volkes auf einige wenige Richter. Das ist kein Kampf für eine „resiliente“ Demokratie, sondern genaugenommen ihre Zersetzung.
Frankreich ermittelt übrigens gerade offenbar auch gegen den Linksaußen Kandidaten Jean-Luc Melenchon und es läuft dort ebenfalls ein Verfahren gegen den amtierenden (!) Premierminister Francois Bayrou, ebenfalls wegen Veruntreuung von Geldern. Im Gegensatz zu Le Pen darf er aber weiter im Amt bleiben, da in erster Instanz freigesprochen, während die Staatsanwaltschaft in Berufung gegangen ist. Keinesfalls hat man ihn aber präventiv wegen eines laufenden Verfahrens aus dem Amt genommen, wie man es mit Le Pen durchexerziert. In Rumänien ist der gewählte und sofort wieder weg annullierte Präsident Calin Georgescu in Haft, auch er kann nicht zur Wahl antreten. Auch Donald Trump hatte man versucht mit der vermeintlichen Falschdeklaration von Geldern in der Steuererklärung an einer erneuten Kandidatur als amerikanischer Präsident zu hindern. In Italien hat die Justiz sieben der letzten 12 Regierungschefs versucht vor Gericht zu erledigen, nur Berlusconi wurde jemals verurteilt.
Auch wenn diese Fälle alle sehr unterschiedlich sind, zeigen sie doch ein Schema, das stutzig macht. Es stellt sich unbedingt die Frage der Verhältnismäßigkeit und des Missbrauchs des Justizsystems als Wahlkampfinstrument. Zumal in Deutschland ein Olaf Scholz trotz Cum-Ex Skandal immer noch unbehelligt im Amt ist, der Graichen Skandal im Umweltministerium ohne Verfahren auskommt, gegen die amtierende EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen wegen Veruntreuung von EU-Geldern im Milliardenbereich im Zusammenhang mit der Impfstoffbeschaffung ermittelt wird und Christine Lagarde trotz Verurteilung wegen Veruntreuung von EU Geldern einst noch EZB Chefin wurde. Das französische Gericht hatte ihr gar keine Strafe auferlegt wegen ihrer exponierten öffentlichen Stellung. Ihre Prominenz hatte sie sogar vor Strafe geschützt. Le Pen wird von der Wahl ausgeschlossen, obwohl sie noch das Recht auf Berufung hat, man vollstreckt also bereits vor Ausschöpfen des Rechtsweges das Urteil. Ein Schelm, wer hier zweierlei Maß vermutet.
Dass die vermutlich nächste Regierungs-Koalition aus CDU/CSU und SPD gerade versucht, das passive Wahlrecht für Verurteilte wegen Volksverhetzung abzuschaffen, ist in diesem Kontext kein gutes Zeichen und könnte auch als Versuch gewertet werden, sich von aussichtsreichen AfD Kandidaten dann eben so zu entledigen, wenn man die ganze Partei schon nicht verboten bekommt.
Man kann die Demokratie nicht retten, indem man unliebsame Politiker ins Gefängnis bringt. Man zerstört sie damit.
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