
„Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ Mit diesem Satz prägte Max Frisch in den 1970er-Jahren das Bild der Arbeitsmigration. Es war ein kluger, menschenfreundlicher Satz – ein Appell an die gesellschaftliche Verantwortung, die hinter jeder Einwanderung steckt. Heute, rund fünfzig Jahre später, müssen wir ihn neu lesen. Denn wir riefen wieder. Diesmal nicht nach Arbeitskräften, sondern nach Schutzsuchenden.
Und wieder kamen Menschen. Viele, die tatsächlich Schutz suchten – vor Krieg, Hunger, politischer Verfolgung. Aber eben nicht nur. Mit ihnen kamen auch sehr viele Kriminelle, Mörder, Islamisten, Antisemiten, politische Fanatiker. Wer das ausspricht, riskiert sofort das Etikett: kaltherzig, rechtspopulistisch, unbelehrbar.
Aber wer die Realität ignoriert, macht sich mitschuldig – an der gesellschaftlichen Erosion, die längst begonnen hat. Die Jahre nach 2015 sind ein politisches Lehrstück: Die Grenzen wurden geöffnet, ohne Plan, ohne Kontrolle. Der Rechtsstaat, einst Garant unserer Sicherheit, kapitulierte vielerorts vor Überforderung und politischer Selbstverleugnung. Die Kriminalstatistiken sprechen heute eine Sprache, die nicht länger überhörbar ist.
Die Angriffe auf jüdisches Leben – nicht mehr Randphänomen, sondern importierter Hass aus arabischen und islamistischen Milieus – sind ein Warnsignal, das in keiner Demokratie still übergangen werden darf.
Wir wollten moralisch sein – und wurden naiv. Wir wollten offen sein – und ließen unsere Schutzmechanismen fallen. Wir wollten helfen – und vergaßen zu unterscheiden.
Nicht die Migration an sich ist das Problem. Sondern das Fehlen jedweder Unterscheidung. Zwischen Fliehenden und Erobernden. Zwischen Integrationswilligen und Verfassungsfeinden. Zwischen jenen, die unsere Gesellschaft bereichern – und jenen, die sie verachten.
Wer seine Grenzen aufgibt, gibt am Ende auch seine Ordnung auf.
Der Rechtsstaat kann nicht funktionieren, wenn er sich aus moralischer Angst selbst lähmt. Er muss wissen, wen er aufnimmt. Und er muss konsequent ausschließen, wer unsere freiheitliche Ordnung bekämpft – ideologisch, kriminell oder mit antisemitischer Gewalt.
Wir leben nicht mehr im Jahr 1974. Die Herausforderungen haben sich verändert. Unsere Antworten leider nicht. Noch immer regiert der moralische Reflex – statt des nüchternen Blickes.
Wer Frisch heute zitiert, darf nicht romantisch bleiben. Er muss erkennen:
Wir riefen Schutzsuchende – und es kamen auch Gefährder.
Und solange wir nicht bereit sind, das auszusprechen und politisch zu handeln, verlieren wir beides: unsere Humanität – und unsere Sicherheit.
Die Deutsch-Iranerin Nasrin Amirsedghi ist Sprachdozentin in Berlin und lebt seit 42 Jahren im Exil in Deutschland