
Das Kopftuch, auch Hidschab genannt, war nie bloß ein Stück Stoff – sondern immer ein Signum der Macht. Im Iran steht es für islamistische Unterwerfung, durchgesetzt mit Gewalt. In Saudi-Arabien dagegen ist es längst verhandelbar. Während Frauen in Teheran für ein sichtbares Haar ins Gefängnis müssen, treten Moderatorinnen in Riad mit offenem Haar auf – wie auf dem Laufsteg von Paris. Was widersprüchlich wirkt, offenbart eine tiefere Wahrheit: Die Verbindung von Islam und Kopftuch ist real, aber weniger zwingend, als oft behauptet. Fällt der Kopftuch-Fanatismus in Teheran, könnte das weit über den Iran hinaus wirken.
Der Krieg Israels gegen den Iran könnte mit der Befreiung der iranischen Frauen enden – denn das islamische Regime der Mullahs könnte fallen. Was das bedeutet, reicht weit über geopolitische Fragen hinaus. Es berührt den weltweiten Kampf der Frauen, vor allem jenen, der seit Jahrzehnten im Iran mit ungebrochener Entschlossenheit geführt wird: gegen ein Symbol und Instrument des Islamismus, das für sexual-politische Kontrolle, Gewalt und Herrschaft über Frauen steht.
1979 Teheran: So wünschte sich der iranische Ayatollah Ruhollah Khomeini das Aussehen der Frau. Als er die Frauen im Iran aufforderte, zum traditionellen Tschador oder zum Schleier von Kopf bis Fuß zurückzukehren, gingen am 10. März Zehntausende von Frauen in westlicher Kleidung, geschminkt und rauchend auf die Straße, um zu protestieren.
Die Islamische Republik Iran hat seit 1979 schrittweise eine Kopftuchpflicht etabliert – seit 1981 ist sie Pflicht. Seit vier Jahrzehnten leben die Iranerinnen unter diesem brutalen Gesetz. Durchgesetzt wird sie durch eine Moralpolizei, die Frauen auf offener Straße kontrolliert, bedroht, festnimmt und schlägt. Und doch stellen sich Frauen immer wieder dagegen. Sie riskieren Gefängnis, Folter und das soziale Aus – nur um das Recht zu verteidigen, über den eigenen Körper zu bestimmen.
Kaiserin Farah Diba mit ihrem Mann, dem Schah Reza Pahlavi. Hier befanden sie sich bereits im Exil, Cuernavaca, Mexiko, 14.10.1979.
Auf Unterstützung aus dem Westen konnten diese Frauen dabei selten zählen – gerade nicht von jenen, die sich sonst als Stimme der Unterdrückten verstehen. Die Linke, gefangen im postmodernen Multikulturalismus, opferte den Kampf der iranischen Frauen der eigenen Identitätspolitik.
Iranische Frauen demonstrieren am 12. März 1979 in Teheran für Gleichberechtigung.
Statt das Kopftuch als Unterdrückungsinstrument zu benennen, wurde es verteidigt als Ausdruck kultureller Vielfalt. Statt die mutigen Frauen im Iran zu feiern, die es ablegen, „empowerte“ man im Westen jene, die es tragen – als Zeichen religiöser Selbstbestimmung: ein gefährlicher Selbstbetrug, der die autoritären Züge des politischen Islam systematisch ausblendete.
Knapp 20 Tage später, am 1. April 1979, wurde die Monarchie abgesetzt durch die Islamische Republik.
Schon mit der islamischen Revolution von 1979 begann dieser Verrat der politischen Linken. Der französische Philosoph Michel Foucault, ein zweifellos bedeutender Denker, begrüßte damals die iranische Revolution – nicht trotz, sondern gerade wegen ihres Bruchs mit der westlichen Moderne. In Foucaults Irrweg schlug Selbstkritik des Westens in eine romantische Ergebenheit gegenüber dem Islamismus um. Aus linker Kritik an westlichem Kolonialismus, den es im Iran im Sinne unmittelbarer Fremdherrschaft nie gegeben hat, wurde Verständnis für die neuen, Turban tragenden Tyrannen. Verdrängt, vergessen und bekämpft wurde seither die Einsicht: „Freiheit ist weder westlich noch östlich, sondern universal“, wie Fathiyeh Naghibzadeh, Co-Regisseurin des Films „Kopftuch als System. Machen Haare verrückt?“, das in der Jungle World ausdrückte.
„Wir wollen gleiche Rechte“, fordern iranische Frauen an jenem 12. März 1979 in Teheran.
Die Herrschaft der Mullahs im Iran ist ohne die Kontrolle über den weiblichen Körper nicht denkbar. Der Schleier teilt den öffentlichen Raum: hier der erlaubte, kollektivierte, verschleierte Körper, dort der verbotene, individuelle. Diese Unterscheidung ist ein Pfeiler islamischer Ideologie: Die strikte Vergemeinschaftung des weiblichen Körpers sichert die Herrschaft der Mullahs – die Freiheit der Frau bedeutet im Umkehrschluss das Ende ihrer Herrschaft.
Deshalb reagiert das Regime auch so brutal, wenn Frauen sich dem entziehen. Denn wer das Kopftuch ablegt, der entzieht sich der Ordnung, die den Klerikern Macht verleiht. Im unverhüllten Haar, im sinnlichen Reiz und individueller Erfahrung scheinen stets jene Glücksversprechen auf, die unter der Knute der Scharia nicht einzulösen wären. Deswegen erreicht ein Video wie dieses eine halbe Million Menschen:
Doch selbst in der islamischen Welt gibt es Entwicklungen, die auf den ersten Blick überraschen – und daran erinnern, dass die Normalität der Mullahs nicht unmittelbar mit muslimischer Normalität gleichzusetzen ist. In Saudi-Arabien wurde 2018 die Kopftuchpflicht aufgehoben. Zwar leben Frauen dort weiterhin in einem repressiven patriarchalischen System, auch trägt die Mehrheit der Frauen nach wie vor Abaya und Kopfbedeckung. Aber der staatliche Zwang war gefallen, was eine Gleichzeitigkeit ermöglicht, bei der man sich ungläubig die Augen reibt.
Wer durch das saudi-arabische Fernsehen zappt, bekommt beide Tendenzen – die islamisch-strenge und eine modern-lockere – deutlich zu Gesicht: Da sitzen Moderatorinnen mit offenen Haaren, westlich geschminkt, sie präsentieren Nachrichtensendungen und Modeshows. Die folgenden Screenshots kommen von Khalejia TV, einem Sender, der sich betont modern, westlich inspiriert und offen für gesellschaftlichen Wandel gibt, wie die Sendung FNews verdeutlicht.
Khalejia TV, Screenshot: YouTube
Mitunter erhält man den Eindruck, man schaue hier französisches Fernsehen, nicht das TV-Programm eines Staates, in dem Menschen gekreuzigt werden (zuletzt offenbar 2019) – und Frauen freilich keineswegs gleichgestellt sind.
Es könnte sich auch um einen westlichen Abschlussball handeln.
Natürlich sind diese Bilder kein Beweis für echte Emanzipation. Aber sie sind durchaus ein Zeichen dafür, wie brüchig die islamische Kleiderordnung in Saudi-Arabien geworden ist – ohne dass das Königshaus dagegen vorginge. Im Iran dagegen wird um jedes Haar gestritten.
Modeshows wären unter den Mullahs undenkbar.
Zum Hintergrund: Seit Kronprinz Mohammed bin Salman 2016 die „Vision 2030“ ausrief, verfolgt Saudi-Arabien einen Kurs kontrollierter gesellschaftlicher Öffnung. Ziel ist es, das Land wirtschaftlich aus der Abhängigkeit der Ölindustrie zu lösen und attraktiver für Investoren und Tourismus zu machen. Dazu gehört auch die gezielte Lockerung kultureller Regeln – etwa beim Kopftuch. Während die Scharia weiterhin gilt und Menschenrechtsverletzungen anhalten, wurden im Alltag, besonders im staatlich kontrollierten Fernsehen, die sichtbarsten Symbole religiöser Kontrolle – wie Schleier und Kleidervorschriften – deutlich zurückgenommen.
Gleichzeitigkeit des Widersprüchlichen: In diesem Land gilt die Scharia.
Im Unterschied zum Iran war das Kopftuch in Saudi-Arabien nie ideologischer Grundpfeiler des Staates, sondern eher soziale Konvention. Deshalb konnte das Königshaus den Schleier als staatliche Pflicht fallen lassen, ohne sein Herrschaftsmodell zu gefährden. In der Islamischen Republik Iran dagegen ist der Hidschab untrennbar mit dem politischen System verknüpft – sein Wegfall würde die Legitimität des gesamten Mullah-Regimes infrage stellen.
Die iranischen Mullahs sind nicht nur nationale Kopftuchfanatiker; sie haben den Schleier zur weltweiten Handschrift islamistischer Herrschaft gemacht. Ayatollah Khomeini, Gründer der islamischen Republik, erklärte die unverschleierte Frau zur Gefahr für die Gesellschaft, die – wörtlich – ohne Kopftuch „nackt“ seien. Die Verschleierung mag immer wesentlich zum Islam gehört haben, doch mit den Mullahs wurde sie zum programmatischen Kernstück einer islamischen Geschlechterordnung. Mit Millioneninvestitionen in Moscheen, Kulturzentren und politischen Bewegungen exportierte das Regime seinen Schleier-Fetisch in die ganze Welt.
Besonders in Europa wirkten Iran-nahe Strukturen daran mit, das Kopftuch als „religiöse Pflicht“ zu etablieren – oft entgegen regionaler Traditionen, etwa in Bosnien oder der Türkei. Gleichzeitig gelang es iranischen Ideologen, das Kopftuch im Westen durch antikoloniale und linke Diskurse umzudeuten: Aus einem Instrument weiblicher Unterwerfung wurde ein angebliches Zeichen kultureller Selbstbestimmung. So wurde der Hidschab – nicht trotz, sondern wegen der Mullahs – global salonfähig.
Wenn das Mullah-Regime fällt – fällt dann die Kopftuchpflicht? Im Iran ganz sicher. Denn gerade in diesem Land war die Kopftuchpflicht nie ein Produkt einer gewachsenen Kultur, sondern das Instrument eines politischen Systems. Aber global? Kaum jemand ahnte 1979, welch globale Wirkung die iranische Revolution entfalten würde. Vielleicht gilt dies in umgekehrter Weise auch für ihren möglichen Sturz. Vieles spricht hierfür: Der Sturz der Islamischen Republik wäre ein politischer Umbruch, ein Fanal – für den weltweiten Kampf gegen islamischen Kopftuchzwang.
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