
Ab 11 Uhr hätten im Deutschen Bundestag die Fetzen fliegen sollen. Es ist Freitag, der 31. Januar, der Tag, an dem CDU und CSU zusammen mit der FDP und der AfD für das Zustrombegrenzungsgesetz stimmen wollen. Ganz Deutschland schaut auf die vierstündige Unterbrechung der Sitzung, die Verhandlungen, die am Ende heftige Debatte und die Abweichler bei CDU und FDP, die dafür sorgen, dass es zu keiner Mehrheit kommt.
Doch nur wenige Minuten zuvor, kurz bevor es in der Migrationsfrage zur Sache gehen sollte, bevor die Union zu zeigen versuchte, dass es ihr Ernst ist mit der Asyl-Frage, um 10:54 Uhr, erhoben sich die Fraktionen von SPD, Grünen und CDU/CSU gemeinsam, um eine Änderung des „Treibhausgasemissionshandelsgesetzes“ zu beschließen. Was sperrig klingt, bedeutet nicht weniger als die weitere Erhöhung des CO2-Preises in ungeahnte Höhen, die vor allem Diesel, Benzin und das Heizen mit Öl und Gas massiv verteuern werden.
Obwohl in der Opposition und mitten im Endspurt des Bundestagswahlkampfes, obwohl die gestiegenen Preise neben Wirtschaft und Migration zu den Hauptsorgen der Menschen im Land gehören, obwohl in anderen Teilen der Welt und nicht zuletzt in den USA Klimaschutz um jeden Preis ad acta gelegt werden, obwohl günstige Energie zum entscheidenden Standortfaktor auch im digitalen Zeitalter geworden ist, hat die Union zugestimmt und so der rot-grünen Rest-Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz zur Mehrheit verholfen.
Mit den Stimmen von CDU und CSU wurde besiegelt, dass ein Liter Benzin schon im Jahr 2027 um stolze 39 Cent, drei Jahre später im Jahr 2030 um bis zu 77 Cent teurer sein könnte als heute. Hat sich die Union ein fettes Eigentor kurz vor der Wahl geschossen, ohne es so recht zu merken?
Zu Beginn des Jahres wurden Diesel und Benzin an der Zapfsäule drei bzw. dreieinhalb Cent teurer, nachdem der CO2-Preis in Deutschland zum Jahreswechsel von 45 Euro auf 55 Euro pro Tonne gestiegen war. Kurz gesagt bedeutet das: Das Ausstoßen einer Tonne CO2 bekommt ein Preisschild. Dieser von der Großen Koalition unter Angela Merkel beschlossene nationale Mechanismus hat das Ziel, über steigende Preise für eine Verhaltensänderung hin zu CO2-sparenden Varianten der Mobilität oder des Heizens zu sorgen.
Schon heute sind für einen Liter Benzin 13 Cent CO2-Abgabe fällig – und die könnte in den kommenden fünf Jahren auf bis zu 90 Cent anwachsen.
Denn der nationale, deutsche CO2-Preis soll 2027 – und das hat die Abstimmung von Rot, Grün und Schwarz besiegelt – in den Europäischen Zertifikatehandel (ETS) überführt werden und keinem festen Preis-Pfad mehr folgen. Wie sich der CO2-Preis – und somit auch die Zusatzkosten für Sprit und Heizöl – ab 2027 also entwickelt, ist den Kräften des Marktes überlassen. Fest steht nur, dass Jahr für Jahr die Menge an CO2-Zertifikaten, also an den Rechten, CO2 ausstoßen zu dürfen, um mehr als 5 Prozent reduziert werden soll.
Unterschiedliche Berechnungen zeigen, dass die Erwartungen, wie hoch der CO2-Preis bis 2030 werden könnte, weit auseinander gehen.
Und die Prognosen von Experten, wie sich das auf den CO2-Preis auswirken wird, gehen sehr weit auseinander: Während die EU-Kommission unter Einpreisung zahlreicher weitere Klimaschutz-Maßnahmen von einer Preisspanne zwischen 40 und 80 Euro pro Tonne im Jahr 2030 ausgeht (das wären maximal 8,3 Cent Aufschlag auf den Liter Sprit), rechnet das Kiel Institut für Weltwirtschaft mit 297 Euro pro Tonne CO2 und einem Aufschlag von 57 Cent.
Dr. Michael Pahle, Leiter der Arbeitsgruppe „Klima- und Energiepolitik“ am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) beschreibt die Entwicklung des CO2-Preises durch den EU-Zertifikatehandel als „unsicher“, nachdem dieser von Angebot und Nachfrage abhängig sei, „die wiederum von einer Reihe unsicherer beziehungsweise sich über die Zeit ändernder Faktoren abhängen“. Die Spanne der Erwartungen reiche von 60 bis 380 Euro pro Tonne CO2.
Im schlimmsten Fall kostete der Liter Sprit im Jahr 2030 also 77 Cent mehr als heute, einem Vier-Personen-Haushalt, der mit Öl heizt, drohen bis 1.700 Euro an Mehrkosten pro Jahr, einem Haushalt, der mit Gas heizt, 1.300 Euro an Mehrkosten!
Bei der Abstimmung am 31. Januar wurden gleich mehrere Energiegesetze mit den Stimmen der Union beschlossen, eines davon war eben die Überführung des EU-Zertifikatehandels nach Deutschland und doch schienen CDU und CSU nicht so ganz im Bilde, was die Folgen ihrer Zustimmung sein würden.
„Wir sind in einer Zeit, in der die Regierung keine Mehrheit hat, in der wir aber jetzt in wichtigen Punkten Handlungsfähigkeit im Parlament zeigen“, sagte CDU-Klimapolitiker Andreas Junge und sprach von einer „Notlösung“, jedoch wohl mit Blick auf die anderen Energiegesetze, die beschlossen worden waren. Zur beschlossenen Steigerung des CO2-Preises kam von dem CDU-Politiker kein einziges Wort.
CDU-Klimapolitiker Andreas Jung
Der AfD-Politiker Marc Bernhard bemängelte die zusätzlichen Preiserhöhungen für Energie durch den europäischen Zertifikatehandel: „Viele Menschen werden das nicht mehr bezahlen können. Ihre CO2-Steuer zwingt die Unternehmen, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern, um überleben zu können – dorthin, wo Energie günstig ist, die Steuern niedrig und wo es insbesondere keine CO2-Steuer gibt.“ Seine Partei wolle die CO2-Steuer gänzlich abschaffen, „diesen Wahnsinn zu stoppen“, wie er sagte.
Dafür wurde Bernhard von dem SPD-Abgeordneten Markus Hümpfer als „Klima-Leugner“ beschimpft, der keine Ahnung davon habe, „von dem, was notwendig ist, um diese eine Welt auch zu erhalten“, so der SPD-Politiker weiter.
US-Präsident Donald Trump stellt wirtschaftliche Prosperität weit über Klimaschutz.
Ähnliches dürfte Hümpfer auch über den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, Donald Trump denken, der mit den USA aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen ist und angekündigt hat, zur Energieversorgung auf eigenes Öl und Gas aus den USA („Drill, baby drill“) setzen will. Aber so sieht aktuell die Realität aus: Im weltweiten Maßstab spielt der Klimaschutz nur noch eine untergeordnete Rolle und ohne das Zutun von den USA und China sind keinerlei globale Ziele zu erreichen, egal welche Maßnahmen Deutschland oder die EU ergreifen.
Und noch ein Mega-Trend macht Deutschland und die EU zum werdenden Geisterfahrer: Die Künstliche Intelligenz ist die Wachstumsbranche, die jedoch Unmengen an Energie braucht. Günstige, zu jeder Zeit verfügbare Energie wird also noch mehr zum wirtschaftlichen Standortfaktor als ohnehin schon. In den USA sind Kernkraftwerke in Planung, die einzig Rechenzentren mit Energie versorgen sollen, während in Deutschland Kraftwerke im Ausland wochenlange Dunkelflauten ausgleichen müssen und die Energiewende keine „Kugel Eis“ im Monat kostet, sondern die Strompreise nach oben getrieben hat.
Das Kernkraft „Three Mile Island“ bei Harrisburg (Pennsylvania) soll möglicherweise reaktiviert werden, um die künstliche Intelligenz in den USA mit günstiger Energie zu versorgen.
CDU und CSU werden (im Falle eines Wahlsieges) ohnehin vor einer zentralen Frage stehen: Wirtschaftswachstum oder Klimaschutz? Olaf Scholz hatte angekündigt, dass es dank der Klimaschutz-Maßnahmen ein neues Wirtschaftswunder mit Wachstumsraten wie in den 50er Jahren geben würde und in drei Jahren in Regierungsverantwortung nachgewiesen, dass das höchstens ein Wunschtraum ist. Das Gegenteil war bis dato der Fall.
Statt eines Erneuerbare-Energien-Wirtschaftswunders erlebt Deutschland infolge der hohen Energiepreise eine schleichende Deindustrialisierung und einen Exodus von Unternehmen.
Es steht zudem zu befürchten, dass die politisch gewollte und zusätzliche Erhöhung des CO2-Preises die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und Europas weiter schwächt und der Rückhalt in der Bevölkerung für Klimaschutz schwindet. Gerade dann, wenn die Bemühungen, Einschnitte und Kosten, die Deutschland und Europa auf sich nehmen, bei Bürgern und Unternehmen noch mehr ins Geld gehen.
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