
Es gibt eine schnelle Lösung für das Gesundheitswesen. Daran erinnert die Deutsche Krankenhausgesellschaft die neue Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU). 40 Milliarden Euro schulde der Bund den Krankenkassen in Summe. “Jedes Jahr kommen weitere zehn Milliarden zu”, teilt der Klinikverband mit. So viel zahle der Bund jährlich zu wenig für die Versorgung von Empfängern staatlicher Transferleistungen – also vor allem des Bürgergelds.
Der neue Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat dies auch in Aussicht gestellt. Er sagt, kurzfristig könne der Bund mit Steuergeldern in der Sozialversicherung aushelfen, um weitere Sprünge in der Beitragshöhe zu vermeiden. Doch langfristig sei das kein Konzept. Das ist eine Formulierung, die das Gesicht des Finanzministers wahren soll, der gleichzeitig SPD-Vorsitzender ist. Seine Partei hat in 23 der letzten 27 Jahre regiert und damit die Situation in der Sozialversicherung verschuldet. Seine Arbeits- und Gesundheitsminister, Hubertus Heil und Karl Lauterbach, haben das Bürgergeld so konstruiert, dass die Bundesregierung soziale Wohltaten auf Kosten der Betriebe und Beschäftigten verteilen kann.
Klingbeils Äußerung lässt darauf schließen, dass er eben nicht die Schuld von 40 Milliarden Euro anerkennen und begleichen will, sondern die Finanzhilfen als Notaktion deklarieren. Die Regeln zum Aufweichen der Schuldenbremse würden es dem Finanzminister erlauben: Er könnte vergleichsweise einfach argumentieren, die Gesundheitsversorgung sei eine für die Verteidigung notwendige Infrastruktur. Dann könnte er auf Schulden basiert den Kassen beliebig hohe Summen zugestehen. Einer von Klingbeils Vorgängern als Finanzminister, Olaf Scholz, hätte eine solche Rettungsaktion als “Wumms” gefeiert, sich gebrüstet, er komme den Kassen mit der “Bazooka” zur Hilfe geeilt und danach nicht verstanden, dass er dafür keinen Respekt erhält. Denn es wäre eben nur eine Rettungsaktion gewesen, die Probleme nicht löst, sondern verschiebt und somit verschlimmert.
Um die Größenordnung zu verstehen: Eine Entlastung von rund zwei Milliarden Euro im Jahr würde das Senken des Beitrags um 0,1 Prozentpunkte ermöglichen. Eine Entlastung von zehn Milliarden Euro würde die Beitragszahler entsprechend um 0,5 Prozentpunkte entlasten. Würde also Klingbeil die Schuld des Bundes gegenüber den Kassen und ihren Kunden eingestehen, um sie dann zu begleichen, würde er den Kassen nur kurzfristig Luft verschaffen. Für ein kurzfristiges Rettungspaket im Bazooka-Style gilt das erst recht.
Nina Warken hat ein doppelt undankbares Amt übernommen: Ihr Vorgänger hat ihr eine Landschaft voller Gordischer Knoten hinterlassen. Und Warken darf sie nicht einmal zerschlagen. Denn sie muss Rücksicht auf den prominenten Koalitionspartner nehmen. Der hat eine Reform als “Revolution” gefeiert, die Kliniken retten und die Kosten senken sollte – im Ergebnis sterben Deutschland die Kliniken weg und die Kosten explodieren. Inhaltlich hätte Warken jedes Recht, sich von Lauterbachs Arbeit zu distanzieren – aus diplomatischen Gründen darf sie das nicht.
Entsprechend zaghaft bewegt sich Warken in dem Gelände. Dass sie in diesem bisher keine Erfahrung gesammelt hat, hilft ihr nicht gerade. Gegenüber RTL hat Warken sich geäußert, dass sie zwar Lauterbachs Reform reformieren will. Doch sie werde diese nur “verbessern, nicht verwässern”. Außerdem zeigt die neue Ministerin eine gewisse Wurstigkeit gegenüber der Zukunft der deutschen Kliniklandschaft: “Das wird sich dann zeigen, wie viele Krankenhäuser es dann geben wird.”
Ob Warken die Kosten im Gesundheitswesen in den Griff kriegt, ist noch offen. Doch würde sie sich dem Kliniksterben energisch entgegenstellen wollen, würde das anders klingen. Auch deshalb wendet sich die Krankenhausgesellschaft mit einer offenen Rechnung des Bundes gegenüber den Krankenkassen an die Öffentlichkeit. Der Druck in der Branche ist enorm hoch. Nach einer Sammlung des “Bündnis Klinikrettung” haben im vergangenen Jahr 23 Krankenhäuser geschlossen – immerhin 1,2 Prozent der gesamten Landschaft innerhalb eines Jahres. Von 2020 bis 2023 hätten demnach 70 Kliniken geschlossen. Fast fünf Prozent in fünf Jahren. Dazu kommen noch die Schließungen unrentabler Stationen.
Die Warnzeichen sind da. Die Seite Medconweb.de listet einfach nur Meldungen über bedrohte Krankenhäuser auf. Ohne jeden Kommentar. Die Schlagzeilen aus nur drei Tagen lauten: “OLG bestätigt Schließung des Krankenhaus Rahden”; “Kreisklinik Roth: Geburtshilfe vor dem Aus”; “Helios schließt Oberwald-Klinik in Grebenhain” oder “Gläubiger stimmen Insolvenzplan des St. Willibrod-Spitals Emmerich zu”.
Üblicherweise tagen die Verwaltungsräte der Krankenkassen kurz vor dem Jahresende. Dann beschließen sie höhere Beiträge – auch in der Hoffnung, dass die Meldung in der Adventszeit ein wenig untergeht. Doch die Lage ist so dramatisch, dass in diesem Jahr eine Sommerwelle der Erhöhungen droht. Schon jetzt zeichnet sich die Regierung Friedrich Merz eher für ihren Ehrgeiz im Außenpolitischen aus – im Innenpolitischen ist sie indes wenig ambitioniert. Doch im Februar noch eine Entlastung der Wirtschaft versprechen und im Juli dann tatenlos einer spürbaren zusätzlichen Belastung durch die Krankenkassen zuschauen … Die PR-Abteilung des Kanzlers versucht nach dem Aufweichen der Schuldenbremse das Image zu verhindern, Merz breche all seine Versprechen und sein Wort gelte nichts. Mit einer Erhöhung der Kassenbeiträge würde diese Arbeit nicht gerade einfacher – oder erfolgreicher.
Warken hat kein einfaches Amt übernommen. Wenn Lauterbach es in über drei Jahren nicht schafft, eine vernünftige Krankenhausreform vorzulegen, dann sind seiner Nachfolgerin die üblichen 100 Tage Zeit zur Einarbeitung zuzugestehen. Minimum. Doch es darf halt nicht in die falsche Richtung gehen. Aktuell ist Warken mehr bemüht, das Gesicht ihres prominenten Koalitionspartners zu wahren, als dessen hinterlassenen Knoten zerschlagen zu wollen – es muss genau umgekehrt sein.
Zum anderen stellt die Querfinanzierung eine massive Ungerechtigkeit dar. Die Arbeitnehmer müssen mit einem immer höher werdenden Anteil ihres Lohns die Versorgung der Langzeitarbeitslosen mitfinanzieren. Weil dafür nicht genug Geld da ist, droht ihnen die Politik permanent mit Kürzungen der Leistungen. Wer für die Kosten immer stärker aufkommt, soll davon immer weniger profitieren – während die in Vollversorgung leben, die nicht für die Leistungen aufkommen. Das ist nicht gerecht. Das motiviert nicht zu mehr Arbeit, wie es Friedrich Merz fordert. Eher zum Gegenteil.
Wegen dieser Ungerechtigkeit ist die Aufhebung von Querfinanzierungen durch die Krankenkassen ein dringender erster Schritt. So oder so wird die Gesundheitsministerin nicht an Leistungskürzungen vorbeikommen. Da die Krankenhäuser jetzt schon in der Finanzierung auf Kante genäht sind, werden weitere Einsparungen zu weiteren Schließungen führen. Doch nur, wenn Warken die Querfinanzierungen aufhebt, hat sie eine Chance diese Kürzungen den Bürgern erklären zu können – das wird selbst dann noch schwer genug.