
Vor einem Jahr verstarb der russische Oppositionelle Alexej Nawalny in einer russischen Strafkolonie in Sibirien. Ein geplanter Gefangenenaustausch hätte ihn vor dem sicheren Tod bewahren können. Eine Recherche des Spiegels offenbart nun, dass Mitglieder der Bundesregierung diesen Austausch blockierten. Hinter verschlossenen Türen arbeiteten Vertreter der USA und Deutschlands, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden, an einem möglichen Deal. Doch während sich die USA offen für Verhandlungen zeigten, stellte sich ausgerechnet die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock quer.
Bereits im Sommer 2022 wurde ein Austausch zwischen Nawalny und Vadim Krasikov zum ersten Mal erwogen. Krasikov, ein vom Kreml beauftragter Auftragsmörder, hatte 2019 in Berlin einen Exil-Georgier erschossen und war in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt worden. In Washington betrachtete man ihn als potenzielles Druckmittel, um amerikanische Geiseln in Russland freizubekommen. Die US-Regierung sondierte die Lage in Berlin frühzeitig, doch im Kanzleramt zögerte man. Vor allem die Frage, was Deutschland von einem solchen Deal hätte, stand im Raum. Während Olaf Scholz sich nach langer Bedenkzeit einem Austausch gegenüber öffnete, stieß das Vorhaben auf massiven Widerstand in Baerbocks Auswärtigen Amt.
Im April 2023 kam es schließlich zu einem Treffen zwischen Nawalnys Frau Julija, seiner Vertrauten Marija Pewtschich und Baerbock. Es hätte der Moment sein können, in dem die deutsche Außenministerin sich klar zu einem Gefangenenaustausch bekennt. Doch stattdessen bremste sie. Sie sprach von „rechtlichen Prinzipien“, äußerte Bedenken, dass eine Freilassung Krasikovs als Einladung für künftige russische Erpressungsversuche dienen könnte. Zudem wollte sie wissen, ob Nawalny nach einer möglichen Freilassung erneut nach Russland zurückkehren würde.
In Washington setzte man weiter auf Baerbock, hielt sie für eine entschlossene Unterstützerin der Ukraine und der russischen Opposition. Doch genau diese Annahme erwies sich als Fehleinschätzung. Während die USA eine pragmatische Lösung suchten, beharrte Baerbock auf Prinzipien. Ihrer Auffassung nach, könne man jemanden wie Krasikov, einen verurteilten Mörder, nicht ohne weiteres freilassen. Des Weiteren hakte die Außenministerin nach, ob Nawalny, ähnlich wie nach seinem ersten Aufenthalt in Deutschland, wieder sofort nach Russland zurückreisen würde, dies verneinte seine Frau.
Erst als US-Präsident Joe Biden persönlich Scholz um Unterstützung bat, nahm das Vorhaben wieder Fahrt auf. Der Kanzler ließ sich überzeugen: Die humanitäre Notlage, die geopolitische Bedeutung und das Interesse der USA wogen schwerer als die moralischen Bedenken der Außenministerin. Scholz redete Baerbock ins Gewissen – und die Außenministerin gab ihren Widerstand schließlich auf.
Nun stand einem Deal nichts mehr im Weg. Die USA und Deutschland einigten sich darauf, Krasikov sowie weitere russische Agenten gegen Nawalny, den US-Journalisten Evan Gershkovich und den Ex-Soldaten Paul Whelan auszutauschen. Doch es war zu spät. Während die diplomatischen Vorbereitungen liefen, starb Alexej Nawalny in russischer Haft. Ob sein Tod absichtlich herbeigeführt wurde, um den Deal zu sabotieren, ist unklar. Fakt ist: Hätte Deutschland früher gehandelt, hätte es vielleicht anders kommen können.