
Das militärische Schlachtfeld befindet sich im tiefgreifendsten Wandel seit Einführung des Maschinengewehrs vor dem Ersten Weltkrieg. Automatische Waffen mit hohen Schusszahlen revolutionierten die Kriegsführung, die sich über Jahrzehnte hinweg auf militärische Strategien, Taktiken und Technologien auswirkten.
Infolge zunehmender Digitaltechnik, der Miniaturisierung von elektronischen Bauteilen und enormer Rechenleistungen in Fingernagelgröße findet derzeit ein ähnlich grundlegender Umbruch in der Militärtechnik statt.
Ein Beispiel für diesen dramatischen Paradigmenwechsel ist die sogenannte Operation Spiderweb vom 1. Juni 2025 unter Führung des ukrainischen Geheimdienstes SBU. Deren Kräften war es gelungen, teils mit Hilfe westlicher Aufklärung russische Langstreckenbomber zu zerstören, zumindest erheblich zu beschädigen. Die Ukraine setzte in beispielloser Form etwa 150 mit Sprengstoff versehene Angriffsdrohnen von Containern aus ein. Zivile LKW dienten als Transportmittel der tödlichen Fracht zu den bis 4.000 Kilometer entfernten russischen Flugplätzen. In deren Nähe starteten die Drohnen mehr oder weniger automatisch und bekämpften die strategischen Bombenflieger.
Der Gipfel der Frechheit: Erforderliche Signale wurden unter Abstützung auf das russische Mobilfunknetz gesendet. Angegriffen wurden fünf Flugplätze von Murmansk im Norden bis Irkutsk in Sibirien sowie Iwanowo im Oblast Moskau. Der spektakuläre Angriff dürfte die Luftangriffskapazitäten Moskaus merklich geschwächt haben – ein Vorgeschmack auf moderne Kriegsführung. Gleichzeitig eine Schmach für die russische Luftwaffe, tief im eigenen Territorium dem Angriff schutzlos ausgeliefert gewesen zu sein.
Diese Operation markiert eine neue Phase im Kriegsbild: Statt frontaler Schlachten wurde das Rückgrat der strategischen Luftstreitkräfte Russlands durch weitreichende Schläge automatischer Kriegsmittel massiv geschwächt. Die Rolle von Drohnen – als Waffe, Aufklärer und möglicherweise Lockvogel – war dabei zentral. In der Haut der verantwortlichen russischen Kommandeure möchte man nicht stecken, die offenbar keine Vorkehrungen gegen mögliche Angriffe getroffen hatten. Weit ab von der Front wähnten sie sich auf sicherem Terrain. Dabei zeigt die Kriegsgeschichte in unzähligen Beispielen von der Antike an, dass mit dem Überraschungsmoment Schlachten entschieden werden können. Zuletzt war die aserbaidschanische Armee vor ein paar Jahren im Krieg gegen Armenien durch den unerwarteten Einsatz türkischer Drohnen erfolgreich.
Die Auswirkungen dieses überraschenden Schlages sind nicht zu unterschätzen. Mithilfe der strategischen Bomber der Typen Tu-22, Tu-160 und Tu-95 werden seit Kriegsbeginn schwere Luftangriffe auf Ziele in der Ukraine geflogen. Weitreichende Marschflugkörper und Gleitbomben werden aus sicherer Entfernung für die Trägerflugzeuge außerhalb der Reichweite der ukrainischen Luftabwehr eingesetzt. Die Ausschaltung der schweren Bomber einschließlich deren fliegender Kommunikationszentrale vom Typ A-50 gehört daher zu den wichtigsten Kriegszielen der Ukraine.
Nicht zuletzt sind die strategischen Bomber Teil der sogenannten „nuklearen Triade“, mithin des nuklearen Droh- und Abschreckungspotenzials Russlands.
Videoaufnahmen der Angriffsdrohnen zufolge dürfte eine größere Anzahl russischer Bomber ausgeschaltet worden sein. Ukrainische Quellen nannten anfangs eine Trefferquote von 40 Prozent der gesamten russischen Bomberflotte, dem dürfte aber Wunschdenken zugrunde gelegen haben. Die in der Folgezeit massiv verstärkten russischen Luftangriffe mit Bomben und Raketen sollen wohl demonstrieren, dass die Ukrainer das russische Luftkriegspotential kaum geschwächt haben. Jedenfalls hat bisher die Intensität der russischen Luftangriffe auf die Ukraine nicht nachgelassen.
Ähnlich spektakulär verlief Israels anfangs verdeckte Operation „Rising Lion“ gegen iranische Kommandozentralen, militärische Infrastruktur und Atomanlagen. Diese hybride Operation kombinierte elektronische Kriegsführung mit präzisen Luftschlägen – ebenfalls zumindest in Teilen ausgeführt von Drohnen und autonomen Systemen. Die israelischen Streitkräfte nutzen Methoden der asymmetrischen Kriegsführung dergestalt, in abgelegenen Gebieten vorgeschobene Basen einzurichten, von denen aus Einsätze geflogen wurden.
Berichten zufolge konnten iranische Raketenstellungen, Kommandostrukturen und Forschungseinrichtungen ohne nennenswerte eigene Verluste ausgeschaltet werden. Das Überraschungsmoment lag auf der Seite des Angreifers. Ein politisches Verwirrspiel verschiedener Signale und Informationen von Seiten der Amerikaner wie auch der Israelis war dazu angelegt, die Iraner in relativer Sicherheit zu wiegen und nicht von einem unmittelbar bevorstehenden Angriff ausgehen zu lassen.
Israel zeigt damit die Fähigkeit, hochkomplexe digitale Operationen mit konventionellen Kriegsmitteln zu verzahnen. Strategische Wirksamkeit ergibt sich eben nicht aus Truppenstärken und Panzerzahlen, sondern heutzutage daraus, konventionelle Waffen und Sensoren mit automatischen Wirkmitteln über intelligente Netzwerke und Algorithmen zu verknüpfen.
Beide Operationen verdeutlichen, dass der klassische Kampf mit bemannten Plattformen – seien es Panzer, Kampfflugzeuge oder Kriegsschiffe – an Bedeutung verliert. Drohnen sind weit günstiger, riskieren kaum Angreiferleben und können in großer Zahl und hoher Flexibilität rund um die Uhr eingesetzt werden. Teilautonome Systeme übernehmen bereits Aufklärung, Zielzuweisung und den elektronischen Kampf. Auch der präzise Waffeneinsatz wird zunehmend unabhängig vom Menschen möglich. Im Übrigen zeigt das Geschehen in der Ukraine, dass Soldaten im Freien einer ständigen Bedrohung durch sogenannte RPV-Drohnen ausgesetzt sind (RPV = Remotely Piloted Vehicle). Auch dicker Panzerstahl sichert nicht mehr das Überleben auf dem modernen Gefechtsfeld.
Künftige Konflikte werden von Schwärmen autonomer Einsatzmittel und offensiv agierenden Kräften im elektromagnetischen Spektrum geprägt sein. Die Gefahr für bemannte Kampfpanzer auf dem Gefechtsfeld ist allgegenwärtig, der Schutzaufwand für die Besatzung entsprechend hoch. Der Mensch bleibt künftig möglichst dem Gefechtsfeld fern – und programmiert die Regeln, nach denen Algorithmen kämpfen. Der automatische Krieg ist in Vorbereitung.
Diese Vorstellung ist alles andere als ermutigend. Nur eben aufhalten lässt sich dies von einer Nation nicht, auch die EU wird dies nicht wegregulieren können, will man sich nicht fremden Mächten ausliefern.
Der Preis ist, dass unsere Armee massiv hinter der aktuellen Bedrohungslage herhinkt. Der Primat der Politik, zu dem es in einem demokratischen Rechtsstatt keine Alternative gibt, fordert hier seinen Tribut. Nun müssen die Verantwortlichen versuchen, den Rückstand binnen kürzester Frist aufzuholen, was in einer bürokratisierten Armee einem Kampf gegen Windmühlenflügel gleicht.
Inmitten dieses epochalen Wandels ist die Bundeswehr weitgehend unvorbereitet. Ihre Struktur, Ausrüstung und strategische Doktrin sind im Wesentlichen noch auf die Mechanik des 20. Jahrhunderts ausgerichtet. Weder verfügt sie über leistungsfähige Drohnensysteme in ausreichender Zahl, noch über robuste Kapazitäten im elektromagnetischen Spektrum, oder digital gestützte Gefechtsführung
Als fast logische Schlussfolgerung ist festzustellen, dass nicht nur der Angriffskrieg mit Drohnen nicht möglich ist, es fehlt an Masse, Erfahrung und Kapazitäten. Auch in der Abwehr dieser Gefahren hakt es gewaltig. Drohnenangriffe stellen nicht nur für die Truppe eine reale Gefahr dar. Auch die zivile Infrastruktur (etwa Energieversorgung, Kommunikation und Verkehrswege) ist bislang nicht effektiv zu schützen.
Es fehlen spezialisierte Abwehrsysteme, Sensoren und – nicht zuletzt – ein Konzept für die integrierte Verteidigung gegen asymmetrische Angriffe. Fragen der Zuständigkeit erschweren in unserem föderalen Staat die Lage zusätzlich: Für die innere Sicherheit und damit den Schutz kritischer Infrastruktur sind die Polizeien der Länder zuständig. Die Streitkräfte dürfen im Frieden nur im Rahmen der Amtshilfe tätig werden.
Deutschland steht inmitten einer sicherheitspolitischen Zäsur. Die neue Realität erfordert ein radikales Umdenken:
1. Digitale Rüstung statt Panzerromantik: Investitionen müssen in autonome Systeme, Sensorik und elektronische Kampfführung fließen. Die Bedeutung herkömmlicher Waffen und Ausrüstung geht zurück, ohne wird es aber auch nicht gehen. 2. Souveränität durch Technologie: Deutschland und Europa dürfen sich bei Digitalisierung und Verteidigung nicht länger auf Dritte verlassen, es braucht eigene Kompetenzen und Infrastrukturen. Die Bedeutung weitreichender Waffen nimmt weiter zu. 3. Wer im Krieg berechenbar ist, hat schlechte Karten. Das Überraschungsmoment ergibt Möglichkeiten, die dem Unterlegenen in die Karten spielen können. 4. Schutz der Heimat: Moderne Kriege werden nicht nur am Frontverlauf entschieden – sondern in Rechenzentren, Funkfrequenzen und Stromnetzen. Kritische Infrastruktur muss geschützt werden, militärisch wie zivil. 5. Neue Denkweise im Militär: Das moderne Kriegsbild erfordert flachere Hierarchien, agile Kommandeure und technologische Exzellenz. Ohne die gute alte Auftragstaktik ist aber auch der moderne Krieg nicht zu gewinnen.
Das Kriegsbild hat sich, wie die Beispiele zeigen, grundlegend gewandelt. Wer sich nicht mit verändert, verliert – technologisch, politisch und sicherheitspolitisch. Deutschland steht mitsamt der Bündnispartner unter dramatischem Zugzwang, will es auch in Zukunft handlungsfähig, verteidigungsbereit und souverän bleiben.