
„Was macht das mit der Glaubwürdigkeit von Politik?“, fragt ein völlig entnervter Markus Lanz am Ende einer Sendung, in der er Jens Spahn abgeklopft hat wie einen losen Pudding und partout nicht festnageln konnte. Der Mann ist einfach nicht zu fassen. Doch bei der Beantwortung seiner Frage muss sich Lanz auch an die eigene Nase fassen. Was macht es mit der Glaubwürdigkeit von Medien, wenn eine Talkshow auch nach fünf Jahren noch Märchen und Mythen verbreitet, die längst faktenreich widerlegt wurden?
Nach den geleakten RKI-Protokollen ist klar, dass es eine Pandemie, eine gesundheitliche Lebensgefahr, nicht gegeben hat. Auch die legendären, erschreckenden „Bilder aus Bergamo“ (die eigentlich nur ein einziges Bild waren) sind – zusammen mit dem Lampedusa-Fake – längst als Inszenierung enttarnt worden. Denn in jedem LKW soll sich nur ein einziger Sarg befunden haben, und die Infektions- oder gar Todeszahlen waren auch in Bergamo nicht überdurchschnittlich.
Lanz und die taz-Journalistin Anna Lehmann beißen sich lediglich daran fest, dass Spahn Masken zu überhöhten Preisen einkaufte. Oder gegen den Rat seiner Experten das Logistikunternehmen Fiege aus der Nähe seines Wahlkreises beauftragte (Spahn: Fiege „hat einen Standort auch in Bergamo, wir erinnern uns“). Was hingegen nicht thematisiert wird: dass er im großen Stil Masken gegen Vorkasse zu völlig überhöhten Preisen und ohne jegliche Lieferverpflichtung geordert hat – also quasi Blankoschecks für Lieferanten ausstellte. Dass sich Kollegen seiner Partei CDU oder die Politiker-Tochter Andrea Tandler mit zweistelligen Millionensummen bereichern konnten, indem sie Masken per Telefon an die Bundesregierung vermakelten.
Dass er sich parallel zu den undurchsichtigen Geschäften privat eine Vier-Millionen-Villa in Berlin kaufte, die angeblich mit einer Erbschaft seines Ehemannes bezahlt worden sein sollte und dass diese Räuberpistole dann später platzte, weil es gar kein Erbe gab – kein Thema bei Lanz.
Stattdessen darf Spahn sein ganzes rhetorisches Besteck auffahren und in schier endlosen Antwortrunden Ballons voll heißer Luft aufsteigen lassen. Dabei legt er gern die Hände wie beim Gebet vor dem Mund zusammen und erinnert an die harten, harten Zeiten. So, als seien sie über die Menschheit gekommen und nicht er selber ein wesentlicher Treiber für völlig überzogene Corona-Maßnahmen gewesen – gegen den Rat der eigenen RKI-Fachleute. „Da ist der gesundheitliche Kriegsfall eingetreten und wir hatten keine Gewehre und keinen Schutz“, schwadroniert Spahn. Er spricht von den vielen Unwägbarkeiten, der chaotischen Zeit, kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen, von den Masken zum Impfen und zu den Lockdowns. „Wir haben ja noch ein paar andere Themen …“ Lanz bremst ihn nur halbherzig ein: „Ne, ne, ne, heute ist Maskentag.“ Doch es hilft alles nichts. Wer nicht die richtigen Fragen stellt, bekommt von einem Spahn genau das, was er verdient: nichts.
Der Zuschauer aber hätte mehr verdient.
Den Bericht der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof (SPD) über Spahns seltsame Maskendeals, der seit Monaten unter Verschluss ist, will Spahn noch immer nicht kennen. Das glaubt ihm in der Runde zwar keiner, nicht einmal Lanz, doch Spahn bleibt dabei. Er wisse gar nicht, ob es überhaupt ein Bericht sei oder nur irgendwelche Texte. Auf jeden Fall seien dort Namen erwähnt, die geschwärzt werden müssen. „Ich kann doch nicht über diese Datenschutz- und Prozessrisiken hinweggehen“, sagt Spahn larmoyant. Eine Ausrede, die an Karl Lauterbach und die RKI-Protokolle erinnert.
Am Ende wurden die entschwärzten RKI-Papiere geleakt, und es stellte sich heraus, dass eben nicht nur Namen geschwärzt worden waren, sondern vor allem jene entscheidenden Passagen, nach denen man damals schon wusste, dass es nach Infektionszahlen und Krankenhausbelegungen überhaupt keine Pandemie gab. Und dass vor allem die Minister Spahn und später Lauterbach trotzdem die Maßnahmen in voller Härte durchzogen. Konsequenzen bis heute: keine. Die RKI-Protokolle werden von den meisten Medien weitgehend ignoriert.
„Mein. Gewissen. Ist. Rein.“, betont Spahn mit emphatischer Pause hinter jedem Wort. Es ist ein Moment, der in seiner Theatralik an Christoph Daums Kokain-Pressekonferenz erinnert oder Uwe Barschels legendäres Ehrenwort-Versprechen. Substanziell aber weiß Spahn nichts beizutragen. Dafür outet er sich als Verschwörungstheroretiker, vermutet ein Komplott hinter all den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben werden: „In wessen Interesse ist das, was da gerade passiert?“, fragt er und aus seinen Augen blitzt eine Mischung aus Mystery und Hysterie.
Am Ende der Sendung ist auch Lanz am Ende. „Es ist nicht trivial. Es geht am Ende um drei Milliarden. Es entsteht ein weiteres Mal der Eindruck, die stecken alle unter einer Decke. Da hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus. Die haben Dinge zu verbergen.“ Und er bietet an: „Frau Lehmann und ich helfen im Zweifel beim Schwärzen. Notfalls auch heute Nacht.“
Wenn die Corona-Aufarbeitung so weitergeht, dann gute Nacht.