Lars Klingbeil flüchtet sich in die Debatte um ein AfD-Verbot

vor etwa 5 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die Süddeutsche Zeitung hat recht: Die Münchener schreiben, dass an diesem Montag die “Schicksalswoche des Lars Klingbeil” beginne. Das stimmt. Als Finanzminister legt er am Dienstag den Entwurf für seinen ersten Haushalt vor. Als Vizekanzler muss er den Vorstoß seines Verteidigungsministers Boris Pistorius mittragen, die Wehrpflicht abweichend vom Koalitionsvertrag bereits in dieser Wahlperiode einzuführen. Und als SPD-Parteichef muss er zwischen realistischen Regierungsvertretern und linken Maximalforderungen vermitteln. Denn am Wochenende steht seine Wiederwahl auf der Tagesordnung des SPD-Parteitags. Das Ende einer “Schicksalswoche”.

Die Woche mit vielen durchaus komplizierten Baustellen leitet Klingbeil damit ein, ein anderes Thema hochzuziehen: Die Überprüfung eines AfD-Verbotes müsse eingeleitet werden. Eine Überprüfung einleiten… Klingt ganz nach einem verantwortlichen Politiker, der hofft, dass sich alle auf einen Nebenkriegsschauplatz konzentrieren – weil es an der eigentlichen Front gerade nicht so gut für ihn läuft.

Etwa beim Thema Haushalt. Zwar legt Klingbeil seinen Entwurf am Dienstag vor. Doch damit endet die Arbeit nicht. Sie beginnt erst. Für Klingbeil, weil ein Gezerre ums Geld einsetzen wird. Mit dem Koalitionspartner. Mit den Ministerpräsidenten. Mit Lobbygruppen. Und innerhalb der eigenen Partei. Aber auch für Journalisten beginnt mit dem Entwurf die Arbeit erst. Denn mit dem Aufweichen der Schuldenbremsen, dutzenden “Fonds” und anderen Nebenhaushalten hat sich Klingbeil einen reichhaltigen Baukasten geschaffen, mit dem er den Haushalt nach erfolgreichen Bilanzen und gewaltigen Investitionen aussehen lassen kann, wobei sich dahinter eigentlich nur das Flicken alter Löcher und Aufschieben von Problemen versteckt.

Ausgerechnet Correctiv macht den Anfang. Von diversen Regierungen, an denen auch Klingbeil mitgewirkt hat, mit Steuermillionen verwöhnt, kritisiert das “gemeinwohlorientierte Medienhaus” nun einen Trick des Finanzministers. Der gibt an der einen Stelle Geld in den “Klima- und Transformationsfonds” und verkauft es als “Investition in die Infrastruktur” im Sinne des Aufweichens der Schuldenbremse. An anderer Stelle entnimmt er dem Fonds Geld, um Haushaltslöcher zu stopfen. Die Correctiv-Geschichte lässt erwarten, dass nach der “Schicksalswoche des Lars Klingbeil” der große Sommer des Hütchenspielens beginnt: Jetzt sind die 20 Milliarden Euro unter dieser Schale. Jetzt unter dieser. Und jetzt sind sie gar nicht mehr da.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer warnt daher schon mal vorausschauend die Bundesregierung davor, versprochene Entlastungen zu verschieben oder zu verwässern. Bis 2028 will die schwarz-rote Koalition Abschreibungen erleichtern, etwa für mit Strom angetriebene Dienstwagen. Nach 2028 sollen die Unternehmenssteuern sinken. Aber nur schrittweise. Die Wirtschaft brauche dringend Investitionsanreize, sagt die Kammer. Im vergangenen Jahr hätten Private 65 Milliarden Euro weniger in Deutschland investiert als noch in den Jahren vor der Pandemie. Deswegen sei das bisher Versprochene nur das Minimum: “Erforderlich sind daher auch echte Reformen in vielen Bereichen, etwa bei der Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung, dem Bürokratieabbau oder bei den Sozialabgaben.“

Nur: Eben selbst das Versprochene stellt Klingbeil noch vor Aufgaben. Die Ministerpräsidenten fordern einen Ausgleich für die Abschreibungen und Steuersenkungen. Insgesamt rund 30 Milliarden Euro. Geld, das Klingbeil dann wieder im Haushalt unterbringen muss. Ebenso wie die steigenden Ausgaben für die Verteidigung. Die wollen Klingbeil und Verteidigungsminister Boris Pistorius schrittweise von jetzt rund 50 auf dann 150 Milliarden Euro erhöhen. Gegen die Linken in der Partei. Ein Thema, das eine Rolle spielen wird, wenn sich Klingbeil am Freitag auf dem Parteitag zur Wiederwahl stellt. Über die Sozialversicherungen wird Klingbeil bei dieser Gelegenheit vielleicht weniger reden. Doch bitter nötig wäre es. Denn alle vier arbeiten defizitär. Tut die Regierung nichts, steigen die Sozialabgaben enorm – statt, wie von der Industrie- und Handelskammer gefordert, zu sinken.

Immerhin gibt es noch Vorfeld-Organisationen, auf die sich Klingbeil verlassen kann: Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung hofft für dieses Jahr nun auf ein Wachstum der Wirtschaft um immerhin 0,2 Prozent. Im kommenden Jahr sollen es nach zwei Jahren Schrumpfen sogar 1,5 Prozent sein, “ein wenig stärker als in den USA”. Die DGB-Stiftung rechnet mit mehr privatem Konsum und den “positiven Impulsen der staatlichen Investitionen und Investitionsfördermaßnahmen”. Die letzten staatlichen Investitionen wie “Entlastungspakete”, “Sondervermögen” oder “Klima- und Transformationsfonds” haben zwar mit einem zweifachen Schrumpfen der Wirtschaft geendet – doch dieses Mal klappt es bestimmt.

Auch die journalistischen Vorfeld-Organisationen springen dem SPD-Vorsitzenden zur Seite: Pünktlich zu Beginn der Klingbeilschen Schicksalswoche zirkuliert die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken. Demnach ist die Zahl der Aufstocker von 796.000 auf 826.000 Betroffene gestiegen. Sie gehen einem Job nach, erhalten aber zusätzlich Bürgergeld. Die Medien nehmen die Vorlage auf, um daraus die Geschichte zu machen, dass ein höherer Mindestlohn das Problem der Aufstocker beseitigen würde.

Die schwarz-rote Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass sie der Kommission Mindestlohn die Festlegung der Höhe des Mindestlohns überlassen wolle. Aber dass die Regierung von der Kommission einen Mindestlohn von 15 Euro erwartet. Diesen wird die Kommission am Freitag um 13 Uhr liefern – wenige Stunden, bevor die Wahl des Präsidiums auf dem SPD-Parteitag beginnt. Dort kann Klingbeil dann für sich werben: Er habe den Mindestlohn von 15 Euro gewollt. Die Kommission habe dies als alternativlos verkauft. Alles werde gut. Ein Happy-end. Zumindest für den SPD-Parteitag.

Im Leben außerhalb der Berliner Blase gehen die Probleme mit dem höheren Mindestlohn erst los. Für linke Blasenbewohner haben miese Kapitalisten 826.000 Arbeitnehmern 2,18 Euro die Stunden vorenthalten, um sich damit ihren bourgeoisen Luxus zu finanzieren. In der richtigen Welt fallen viele Jobs weg, wenn ihnen auf dem Markt kein Gegenwert von 15 Euro entspricht. Ein großer Teil der Unternehmen schafft die entsprechenden Stellen einfach ab, andere Stellen gehen in die Schwarzarbeit. Die will Klingbeil zusammen mit Arbeitsministerin Bärbel Bas künftig stärker bekämpfen.

In seiner “Schicksalswoche” stehen Klinbeil schwere Balanceakte bevor. Investieren, aber die Lücken im Haushalt nicht zu sehr aufreißen lassen. Das Geld zusammenhalten, aber die Bedürfnisse von Ministerpräsidenten, Koalitionspartnern und Parteifreunden bedienen. Der Wirtschaft Entlastungen versprechen, aber aus ideologischen Gründen den Mindestlohn von 15 Euro abfeiern. Den Abbau der Bürokratie predigen, aber sich dann mit dem Aufbau der Verwaltung von Matratzen-Pässen und Katzen-Chips beschäftigen. Alles Forderungen, die Parteifreunde und politische Partner derzeit ernsthaft aufstellen. Da verwundert es wenig, wenn Klingbeil in die Debatte um ein AfD-Verbot ausweicht. Da lässt sich ein klares Feindbild vertreten und das Einleiten einer Überprüfung hört sich auch nicht so kompliziert an wie die anderen Baustellen, mit denen Klingbeil diese Woche beschäftigt ist – und mindestens auch noch über den Sommer.

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