Lars Klingbeil: Der Schattenmann

vor 2 Monaten

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Bildquelle: Apollo News

Es ist kurz nach 19 Uhr, als Lars Klingbeil im Willy-Brandt-Haus den „Generationenwechsel“ ausruft – Olaf Scholz steht bedröppelt daneben, als er abgesägt wird. Das war natürlich erwartbar – und die SPD ist nicht gerade für einen freundlichen Umgang mit ihrem Spitzenpersonal bekannt. Doch die Eiseskälte, mit der sich der Parteivorsitzende seines Kanzlers entledigt, ist dennoch bemerkenswert. Nicht nur symbolisch steht Klingbeil am Wahlabend am weitesten weg von Scholz – er tut es auch tatsächlich. Fast so, als wollte er nicht auf den Fotos der historischen Niederlage abgebildet werden. Scholz ist Klingbeils „fall guy“, sein Sündenbock: Er hat ihn auf das Podest gestellt, er kann ihn auch wieder herunterstoßen. Jetzt ist der Weg für ihn frei – und das ist absolut absurd.

Dass er mit „Generationenwechsel“ sich selbst meint, ist eigentlich ein schlechter Witz. Klingbeil ist seit acht Jahren an der Spitze der SPD, zuerst als Generalsekretär, dann als Parteichef. Er hat gerade als Parteivorsitzender und Kampagnenvater die schwerste Niederlage der SPD in ihrer langen Geschichte eingefahren. Und ist, nebenbei bemerkt, mit fast 50 Jahren auch nicht mehr ein Vertreter der ganz jungen Generation.

Frisch und neu ist an Lars Klingbeil nichts. Trotzdem wird er die geschwächte SPD weiterführen – auch in eine neue Bundesregierung. Das ist eigentlich gegen jede Norm, gegen jedes ungeschriebene politische Gesetz. Aber was Normen und ungeschriebene Gesetze angeht – da ist er flexibel. Flexibel scheint der Politiker Lars Klingbeil überhaupt zu sein.

Als Bundestagsabgeordneter gehörte er erst der parlamentarischen Linken, dem linken Flügel der SPD-Fraktion an. Später wechselte er in den Seeheimer Kreis, der als rechter Flügel der Sozialdemokraten gilt. Insbesondere in Verteidigungsfragen gilt Klingbeil als Realist – was auch daran liegen mag, dass sein Wahlkreis von der Bundeswehr und der NATO profitiert. Mit der Stadt Munster vertritt er auch den größten Standort des deutschen Heeres.

Diese Entwicklung könnte man als persönliche Wandlung ansehen oder als Flexibilität. Letztere ist in Parteikarrieren jedenfalls hilfreich – und Klingbeils Parteikarriere verlief steil nach oben. Sein Meisterstück: Der Wahlkampf 2021. Als SPD-Generalsekretär machte er das Unmögliche möglich und Olaf Scholz zum Kanzler. Das übrigens auch durch eine brutale Schmutzkampagne gegen Armin Laschet und die CDU – in einem Videoclip wurde der Konkurrent als Rechtsaußen diffamiert.

Klingbeil und die SPD-Werber der Agentur BrinkertLück überschritten dabei auch ganz bewusst Grenzen – im erwähnten Laschet-Diffamierungsclip wurde sein Vertrauter Nathanael Liminsky offen für seine religiösen Überzeugungen attackiert und als „erzkatholisch“ und im Grunde reaktionär verunglimpft. Einen politischen Konkurrenten wegen seiner Religion zu verunglimpfen – das hatte sich in der Bundesrepublik noch keiner so getraut. Aber die Kampagne hatte Erfolg: Laschet war am Ende so schwer beschädigt, dass Scholz und die SPD profitierten. Die SPD gewann und schaffte das Undenkbare – Scholz wurde Kanzler.

Und eine dankbare Partei hob Generalsekretär Klingbeil auf den Schild. Er wurde Parteivorsitzender. Am Stil der SPD hat sich seitdem nicht viel geändert. Auch im aktuellen Wahlkampf entfesselte das Willy-Brandt-Haus zuletzt eine Schmutzkampagne und warf mit vollen Händen Dreck auf den politischen Wettbewerber. Dass Klingbeil die AfD gerne wörtlich als „Nazi-Partei“ beschimpft, sei hier am Rande als Geschmacklosigkeit bemerkt – der ganze Furor der sozialdemokratischen Schmutzmaschine entlud sich in den letzten Wahlkampfwochen mit diesem Niveau vor allem auf die Union, die im Bundestag von der totalen Brandmauer abrückte und AfD-Stimmen in Kauf nahm.

Die Hetze, die auch die SPD in diesen Tagen befeuerte, verschrie Merz mindestens als Proto-Faschisten, der CDU wurde in geradezu perverser Geschichtsvergessenheit ein Franz-von-Papen-Moment attestiert. Das trug ohne Zweifel Klingbeils Handschrift. Er hat den Wahlkampf verschärft und den Ton eskaliert wie kein Zweiter – immer wieder.

Der SPD brachte das gar nichts, sie scheiterte am Sonntag und fuhr das schlechteste Ergebnis aller Zeiten ein. So schwach war die SPD in ihrer 162-jährigen Parteigeschichte noch nie. Eigentlich Grund genug für einen Parteichef, Konsequenzen zu ziehen und seinen Hut zu nehmen. Nicht aber für Klingbeil – der verlagerte alle Schuld für die verkorkste Wahl kurzerhand auf Olaf Scholz.

Schon in den Wochen zuvor gab es Berichte, dass Klingbeil innerparteilich intrigiert und Druck gemacht haben soll: Er wollte Scholz zum Verzicht auf die Kanzlerkandidatur bewegen, wohl zugunsten seines niedersächsischen Parteifreundes Pistorius. Laut Tagesspiegel sowie dem Portal t-online wandte sich Klingbeil wiederholt an Scholz, um ihn zum Rücktritt von der Kanzlerkandidatur zu bewegen. Scholz und Klingbeil bestritten das. Es spräche aber für seinen Realismus.

Jetzt rettet er auf Kosten von Scholz und dem ebenso zurückgetretenen Fraktionschef Rolf Mützenich seine eigene, politische Karriere. Er selbst denkt gar nicht an Rücktritt – er lässt sich zum Fraktionsvorsitzenden ausrufen. Auch das ist Chuzpe – in der Partei sorgt das für Fassungslosigkeit. ThePioneer zitiert einen Kreisvorsitzenden der Sozialdemokraten: „Es gibt Entsetzen darüber, dass sich Klingbeil noch am Abend der größten Niederlage der SPD von der Gruppe inthronisieren lassen will, die Scholz‘ Kandidatur gegen den Willen der Partei erzwungen hat.“

Auch die Jusos attackieren den Parteichef: Deren Vorsitzender nennt Klingbeil einen „Architekten des Misserfolgs“. „Die ganze Kampagne war eine einzige Stolperpartie“, sagte Türmer dem Spiegel. Die erneute Nominierung von Olaf Scholz bezeichnete er als Fehler. Selten kann man dem lauten, linken Juso-Chef so vollumfänglich recht geben.

Aber es ist ja nicht nur Klingbeil, der nicht zurücktritt – Saskia Esken, das freundliche Gesicht der Sozialdemokratie, bleibt ja auch stoisch im Amt. Und wer von den verbrauchten Ampel-Ministern sich sein altes oder ein neues Ressort sichern können wird, bleibt abzuwarten – der ewige Heil weiter im Sozialministerium? Nancy Faeser weiter als Innen- oder vielleicht als Justizministerin? Oder Karl Lauterbach weiter im Gesundheitsministerium? All das gilt nicht als unwahrscheinlich. Und würde unterstreichen, dass die Phrase vom „Generationenwechsel“ vor allem für das politische Fortkommen des Lars Klingbeil steht.

Ihm kommt jetzt eine zentrale Rolle zu. Er wird mindestens einer der neuen Köpfe der SPD sein, vor allem bei den kommenden Sondierungen und Koalitionsverhandlungen mit der Union. Spekulativ sah ihn die Hauptstadtpresse schon als Außen- oder Verteidigungsminister. Als Fraktionsvorsitzender möchte er aber offenbar ein altes SPD-Manöver spielen – nicht ins Kabinett eintreten, um als Parteichef flexibel zu bleiben und im Zweifel auch Oppositionsführer von Links gegen Merz spielen zu können. Es entspräche sicherlich seinem Stil.

Klingbeil ist mit der SPD und seiner Kampagne gescheitert – und wird sich trotzdem belohnen können. Seine Eiseskälte zahlt sich aus. In den Verhandlungen und in der kommenden Regierung wird er der Schattenmann sein, der Wirkmächtige. Die Koalitionsverhandlungen drehen sich um ihn – was kann er der Union aufzwingen? Merz wird regieren, aber niemals an Klingbeil vorbei. Wird er die graue Eminenz von Schwarz-Rot?

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