Lasst den Mann doch erstmal machen!

vor etwa 5 Stunden

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Misstrauen hat jede Regierung verdient. Skepsis ist eine unverzichtbare Tugend des mündigen Bürgers. Staatsgläubige Untertanen sind keine guten Demokraten. Umso mehr lechzt jede Regierung nach der Vertrauensseligkeit der Wähler. Doch die Inbrunst, mit der sich jetzt schon die Enttäuschten an Merz abarbeiten, geht über gesunde Skepsis weit hinaus. Echte Skeptiker schlagen sich nicht einfach auf die „andere“, vermeintlich richtige Seite. Sie zweifeln auch an der eigenen Besserwisserei.

Merz hat sich Skepsis redlich verdient. Sein Zickzack-Kurs auf dem Weg ins Amt hat Zweifel am versprochenen Politikwechsel steigen und den Vertrauensvorschuss schwinden lassen. Merz koaliert mit einer linken Partei, und lässt zu, dass die sich aufführt, als hätte sie bei den Wahlen nicht verloren, sondern gewonnen. Die Alternative dazu hätte allerdings die Unionsparteien zerrissen und den ohnehin bescheidenen Erfolg vernichtet. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Die vernichtende Ablehnung aber, die der neue Kanzler bereits erntet, nachdem ihm 18 Abgeordnete im ersten Wahlgang die Gefolgschaft verweigerten, ist allzu schrill. Beide Ränder im Parlament – beide – stimmten trotzdem einem zweiten Wahlgang noch am selben Tag zu, bei dem sie dann natürlich gegen Friedrich Merz votierten. Insofern ist der Vorwurf, Merz sei mit den Stimmen der Linken ins Amt gekommen, nur die halbe Wahrheit. Doch die Linken frohlocken, und die Rechten sehen das Tor zur Hölle geöffnet. Beides ist Nonsens. Was bleibt, ist die Gewissheit, dass die Koalition auf schwachen Beinen steht. Weil nicht lange zusammenhalten kann, was nicht zusammengehört. Der Denkzettel vom Dienstag zählt am Ende aber so wenig wie die Tatsache, dass einst Adenauer mit der eigenen Stimme zum Kanzler gewählt wurde.

Erst vor ein paar Tagen hat die derzeit beliebteste Politikerin des Landes (so verrückt ist diese Gesellschaft!), die Linke Heidi Reichinnek, den Sturz des Kapitalismus gefordert. Kein CDU-Politiker denkt ernsthaft daran, mit Sozialisten dieser Denkart gemeinsame Sache zu machen. Es ging bei der Wahl des Kanzlers aber nicht um eine Sache, sondern um eine Frage der Geschäftsordnung. Die Einführung des Sozialismus wäre so idiotisch wie menschenfeindlich. Sie zu fordern aber verbietet das Grundgesetz nicht. Gedanken und Worte sind frei. Ich könnte hier zum Beispiel (mit guten Gründen) den Abfall Bayerns aus der Berliner Republik oder den Entzug des passiven Wahlrechts für Pastorentöchter fordern. Nach den Maßstäben des Verfassungsschutzes wäre ich damit gesichert „extrem“. Es geht diese Behörde zwar nichts an, aber das ist ihr egal. Sie urteilt mit unterschiedlichen Maßstäben. Eine Partei, deren Protagonisten die Enteignung propagieren, hat nichts zu befürchten, eine andere Partei, deren Funktionäre Einwanderung ablehnen, dagegen schon. Auch in dieser Frage eiert der Kanzler. Er neigt ja immer zu bequemsten Lösung. Aber die Bekämpfung der AfD mit Hilfe des Verfassungsschutzes oder gar mit einem Verbotsantrag wäre nicht bequem, sondern sinnlos.

Abgesehen vom Aufruf zu Mord und Gewalt muss das Wort frei bleiben. Selbst Hetze und erst recht „Majestätsbeleidigung“ gehören zur Freiheit. Auch die Delegitimierung des Staats ist gutes Recht jedes freien Bürgers. Das Bundesamt für Verfassungsschutz aber lässt sich als Waffe zur Durchsetzung einer bestimmten Haltung missbrauchen. Es schützt nicht die Freiheit, sondern eine staatlich verordnete Moral. Es wäre deshalb am besten, die Schnüffel-Behörde abzuschaffen. Notwendig wäre ausschließlich ein Geheimdienst, der terroristische Bestrebungen aufspürt.

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“: Kein Satz von Hermann Hesse wird häufiger zitiert – und missverstanden. Der Zauber findet so gut wie niemals statt, erwartet wird etwas anderes, nämlich Zauberei. Aber kein Kanzler kann zaubern. Während der neue Papst mit dem ersten Schritt auf den Balkon bereits die volle Wirkung seines Amtes entfaltet, ist Merz nicht mit seiner Ernennung, sondern erst durch sein Handeln wirklich Kanzler. Es kommt zum Beispiel nicht darauf an, wie viele Polizisten jetzt an die Grenzen geschickt werden, sondern ob die illegale Migration tatsächlich drastisch eingedämmt wird. Scholz war immer nur ein Kanzlerdarsteller. Merz muss erst noch beweisen, dass er mehr ist.

Diese Chance sollten wir ihm gönnen. Auch ohne Zauber. Ist es nicht wenigstens zauberhaft, dass die Damen und Herren Scholz, Faeser, Baerbock, Habeck, Paus und Roth unter andere definitiv entmachtet sind? Es spricht gegen ein Weiter-so. Die hysterischen Unterschriftenaktionen gegen den neuen Kulturbeauftragten der Regierung sind ein schönes Zeichen. Wir werden auch ihn etwa daran messen, ob Texte aus seinem Amt weiter gegendert werden. Wer aber jetzt auf der Stelle eine konservative Kulturrevolution verlangt, kann nur enttäuscht werden. Denn eine Regierung ist nur eine Regierung. Die höchste Macht ist der Geist einer Gesellschaft. Keine Regierung kann die Mentalität der Bevölkerung ändern. Sie muss mit ihr rechnen, darf ihr aber nicht immer nachgeben. Das ist die Kunst. Staatsverehrung und Konformismus sind die gefährlichsten Feinde der Freiheit, gefährlicher als jede Regierung.

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