
Um Druck vom Schuldenkessel zu nehmen, fordert die Präsidentin des Rassemblement National, Marine Le Pen, die Senkung der EU-Beiträge Frankreichs. Am selben Tag präsentierte Brüssel sein zwei Billionen Euro teures Megabudget. Eine Geschichte der Ungleichzeitigkeit.
Es war nur ein Tweet auf „X“, den Marine Le Pen als eine Reaktion auf die hitzige Haushaltsdebatte in Frankreich verfasst hatte. Einige flüchtige Zeilen, die in der rasch forteilenden Timeline und dem Rauschen der sozialen Medien für gewöhnlich unbemerkt, ohne sich im Bewusstsein der Leser zu verankern, untergehen.
Übersetzt lautete Le Pens Tweet vom 16. Juli:
Brüssel als Haushaltsventil? Frankreich leistet in diesem Jahr einen EU-Netto-Beitrag in Höhe von 14 Milliarden Euro. Doch entscheidend in diesem Fall ist die zeitliche Koinzidenz des Tweets. Dass Le Pen mit Brüssel im Streit liegt, ist hinlänglich bekannt, nicht zuletzt seit ihrer Suspension von den kommenden französischen Wahlen. Ihre Forderung nach einer Kürzung des EU-Budgets ist eigentlich ein alter Hut. Gewicht erhält die Wiederholung ihrer Forderung dadurch, dass sie zeitlich zusammenfällt mit der Präsentation des neuen Budgets der EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen.
Ausgaben von zwei Billionen Euro soll der Haushalt des Brüsseler Zentralkörpers zwischen den Jahren 2028 bis 2034 umfassen. Eine Gigantomanie, ein Anachronismus angesichts der fiskalischen Katastrophe, auf die zahlreiche Staaten der Europäischen Union und nicht zuletzt Frankreich mit seinem Defizit von über sechs Prozent zusteuern.
Angesichts der Schuldensituation der südeuropäischen Mitgliedsstaaten fällt es zunehmend schwer, den fiskalpolitischen Anspruch Brüssels mit der ökonomischen Realität in der realen Welt in ein sinnvolles Verhältnis zu setzen.
Die Reaktion auf Le Pens Forderung fiel überraschenderweise verhalten aus. Sowohl Brüssel als auch die Regierungskoalition in Paris schweigen sich über Le Pen aus, medienpolitisch eine kluge Entscheidung. Wäre doch eine offene Debatte um den Brüsseler Haushalt zum jetzigen Zeitpunkt. Eine lästige Schererei, die man sich besser ersparen sollte.
Naturgemäß schwingt im Angriff Le Pens gegen die Brüsseler Budgethoheit eine Menge Ressentiment mit. Frankreich ist als zweitgrößte Gebernation fundamentaler Baustein der Brüsseler Finanzarchitektur. Schert einer der Großen wie Frankreich oder Deutschland aus und verlässt die narrativische Phalanx, zerbricht das fragile Konstrukt der EU unmittelbar. Wir erleben mit der Renaissance national-konservativer Parteien wie Fidesz in Ungarn, SMER in der Slowakei oder auch der Regierungskoalition Italiens und mit Geert Wilders in den Niederlanden eine ernsthafte Opposition zum Brüsseler Zentralismus. Le Pens lakonischer Tweet besitzt daher ungeahnte Sprengkraft. Gelingt es diesen Gruppierungen einen gemeinsamen Angriffsvektor zu definieren? Hat man den überdimensionierten EU-Haushalt als Schwachstelle ausgemacht?
Es wäre überfällig, die Machtverhältnisse zwischen dem Brüsseler EU-Apparat und den berechtigten nationalen Interessen der Mitgliedstaaten wieder auszubalancieren und nationale Souveränität stärker zu betonen. Die fiskalische Gigantomanie, die sich unter der Präsidentschaft von der Leyens Bahn gebrochen hat, führt die Union in eine katastrophale Richtung. Diese findet ihren Ausdruck in zunehmender zentralistischer Steuerung, der grotesken Klimapolitik, wie auch in der radikalsten Form der Politik offener Grenzen, deren importierte Probleme die europäischen Staaten innenpolitisch zerfasern.
Die EU-Kommission spielt dabei mit maximalem Einsatz und pokert hoch. Das 2-Billionen-Budget, das etwa 1,26 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU verschlingen soll, bringt eine Steigerung um sagenhafte 58 Prozent oder 750 Milliarden Euro mit sich. Das wirft drängende Fragen der Finanzierung auf. Brüssel wächst zu einem Leviathan ohne wirksame Kontrolle, mit erheblichen demokratischen Defiziten und einem Führungsanspruch heran, der zunehmend entgrenzt in die Sphären der Nationen und Bürger interveniert.
Klar ist, die Staaten der Europäischen Union können dies fiskalisch angesichts der wirtschaftlichen Lage nicht stemmen. Es ist der Versuch Brüssels, sich eine eigene Finanzierungs- und Steuerhoheit zu erpressen. Nach dem Motto: Wenn ihr den Weg zu Eurobonds nicht freimacht, werdet ihr die Zeche zahlen!
Die immer wiederkehrende Debatte um die Einführung von Euro-Anleihen, möglicherweise über den Weg der Kriegsanleihen zur Finanzierung des Ukraine-Konflikts oder die Erschließung neuer Steuerquellen wie die gerade diskutierte Steuer für Großkonzerne sowie die Ausweitung des CO2-Handels, beschreiben ziemlich präzise, was wir in den kommenden Monaten aus Brüssel zu erwarten haben.
Zum einen wäre da die Konsolidierung der Staatsschulden unter dem Schirm der Kommission, zum anderen die fortlaufende Liquidierung und Monetarisierung neuer Schulden durch die Europäische Zentralbank. Neben die fiskalische Souveränität Brüssels soll der digitale Euro treten, die perfekte Kapitalschranke und das optimierte Kontrollgeld, das es dem Zentralkörper in Brüssel erlaubte, weite Teile des Wirtschaftslebens der EU unter seine Kontrolle zu bringen.
Ich wage an dieser Stelle die Prognose, dass Brüssel mit dieser politischen Strategie die oppositionellen Kräfte noch enger zusammenschweißen wird und wir angesichts der diversen Haushaltskrisen der europäischen Staaten Kämpfe um das EU-Budget erleben werden. Eine generelle Zahlungsverweigerung wäre der ideale Angriffpunkt der nationalen Bewegung – ein innen- und medienpolitischer Elfmeter, sollte die Schuldenkrise einen beschleunigten Verlauf nehmen.
Gut möglich, dass Le Pens Tweet in Abstimmung mit der Brüsseler Opposition den Ton setzen sollte und in den kommenden Monaten ein Sturm für Ursula von der Leyen und ihre Mitstreiter heraufzieht. Die zahlreichen und ungelösten Krisen, die Brüssel im Zuge seiner Migrationspolitik und destruktiven Klima-Agenda heraufbeschworen hat, sind der ideale Nährboden öffentlichkeitswirksamer Kampagnen gegen eine Kommission, deren selbstherrliche Attitüde bei einem wachsenden Teil der europäischen Bevölkerung längst auf Abneigung stößt.