Letzter Reaktor geht vom Netz: Wie riskant der Atomausstieg für Taiwan ist

vor 24 Tagen

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

Taiwan hat vor Kurzem die Abschaltung seines letzten aktiven Atomreaktors eingeleitet und sich damit offiziell von der Kernenergie verabschiedet. Mit dem Schritt erfüllte die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) ein zentrales Versprechen ihres Energieplans aus dem Jahr 2016, der einen Atomausstieg bis spätestens 2025 vorsah. Hintergrund war die Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima im Jahr 2011. Die Stilllegung für zwei ältere Kernkraftwerke Taiwans begann bereits 2018 und 2021.

In Spitzenzeiten deckte die Atomkraft rund 50 Prozent des Strombedarfs Taiwans. Zum Zeitpunkt des gesetzlich beschlossenen Atomausstiegs machte sie zwölf Prozent des Strommix aus. Ersetzt werden soll die Kernkraft durch Wind- und Solarenergie. Das Ziel der Regierung war es, bis zum Jahr 2025 einen Anteil von 20 Prozent des Energiemix mit erneuerbaren Energien zu erreichen. Dieses Ziel wurde verfehlt. Im vergangenen Jahr machten erneuerbare Energien gut elf Prozent der taiwanischen Stromerzeugung aus.

Um eine stabile Stromversorgung aufrechtzuerhalten, wird Taipower in diesem Jahr Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von fast fünf Gigawatt ans Netz anschließen. Das entspricht etwa fünf Atomreaktoren. Wie Taipower am Samstag mitteilte, werden weitere 3,5 Gigawatt durch Wind- und Photovoltaikkraftwerke hinzukommen. Im Vorfeld der Reaktor-Abschaltung äußerten Kritiker Zweifel daran, ob Taiwans wachsender Energiebedarf wirklich dauerhaft ohne Atomkraft gedeckt werden können.

Deshalb ist die Abschaltung umstritten. Der Atomausstieg hat auf der Insel Taiwan einen hohen Preis, der tief in die Sicherheit des Landes reicht. Einerseits ist der Bedarf an verlässlicher Stromerzeugung in der energieintensiven Chipindustrie Taiwans immens und wächst durch immer weitere Fertigungsanlagen sowie neue Bedarfe von Halbleitern für künstliche Intelligenz rasant. Zum anderen ist die Insel im Kriegs- und Blockadefall durch China weitgehend von Energie abgeschnitten. Taiwan erzeugt derzeit mehr als achtzig Prozent seiner Energie mit Flüssigerdgas und Kohle. Diese Energieträger muss die Insel wiederum vollständig per Schiff importieren.

Taiwan ist ein High-Tech-Standort. Seine hochmoderne Mikrochip-Industrie, zu der Unternehmen wie Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. gehören, ist weltweit führend. Gerade deswegen ist ihr Energiehunger unstillbar. Die Insel gehört zu dem westlichen Block, der einen Technologie-Wettkampf gegen den US-Rivalen China führt. Die Stromversorgung der Insel hängt jedoch, wie bereits erwähnt, größtenteils von Kohle- und Gaslieferungen aus dem Ausland ab. Da Taiwan über kaum eigene Energiequellen verfügt, stellt sich die Frage, warum die Taiwaner auf Kernenergie verzichten. Um ihren Energiebedarf zu decken und vor allem in der KI- und Halbleiterbranche wettbewerbsfähig zu bleiben, wird die Insel nun noch stärker auf importiertes Flüssigerdgas angewiesen sein.

Druck, mehr LNG zu erwerben, kommt mittlerweile aus den USA: Taiwans Regierung ist nach eigenen Angaben bereit, seine Gas-Importe aus den USA zu verdreifachen, um das Handelsbilanzdefizit mit den USA zu verringern. So will Taipeh nicht zuletzt US-Präsident Donald Trump besänftigen.

In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass Technologieunternehmen in den USA in naher Zukunft Atomkraft für ihre Stromversorgung nutzen wollen. Vor allem, weil ihr Bedarf nicht aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden kann. Laut einer Studie wird der Energieverbrauch von Rechenzentren für KI-Anwendungen und andere Digitalisierungsprojekte im Westen bis zum Jahr 2030 drastisch steigen. So hat Microsoft beispielsweise mit Constellation Energy, dem größten amerikanischen Atomkraftwerksbetreiber, einen Vertrag über die Lieferung von Atomstrom für sein Rechenzentrum in Virginia abgeschlossen. Die Bereitstellung der Atomenergie dient als Reserve für den Fall, dass die Verfügbarkeit von Wind- und Solarenergie nicht gewährleistet werden kann. Die US-amerikanische Bank JPMorgan Chase hat berechnet, dass Alphabet, die Cloud-Abteilung von Amazon (AWS), Meta und Microsoft im Jahr 2022 insgesamt 90 Terawattstunden (TWh) Strom verbraucht haben – so viel wie das Land Kolumbien. Und das war größtenteils noch vor der KI-Revolution, die Chat GPT im November desselben Jahres auslöste.

Militärexperten gehen nicht davon aus, dass China unmittelbar Taiwan angreifen wird. Mit ihren jüngsten Manövern sendet aber die Volksrepublik jedoch immer bedrohlichere Signale. China betrachtet Taiwan als Teil des eigenen Landes und will die „Wiedervereinigung“ notfalls mit Gewalt herbeiführen. Als die bis heute regierende Fortschrittspartei DPP vor neun Jahren den Atomausstieg beschloss, schien die geopolitische Lage noch weniger dringlich. In den vergangenen Jahren hat China das Säbelrasseln gegenüber Taiwan verstärkt. Die zunehmenden Spannungen mit China schüren deswegen die Sorge, dass die Energieversorgung durch eine mögliche Militärblockade unterbrochen werden könnte.

Denn Taiwan ist Großteil auf Kohle- und Gaslieferungen angewiesen. Das Problem: Beides muss Taiwan per Schiff importieren und ist damit höchst verwundbar im Kriegsfall oder durch eine Blockade der Volksrepublik China. Hinzu kommt, die Insel hat lediglich zwei LNG-Terminals, wo das Gas angelandet werden kann. Über sehr langfristige Verträge erhält Taiwan sein Gas aus Australien und Qatar, über Gesamtmixverträge sogar auch aus Russland. Peking könnte vor diesem Hintergrund bei einer möglichen Blockade Taiwan von Kohle- und Gaslieferungen abschneiden.

Das chinesische Militär trainiert seit Jahren für eine Blockade Taiwans. So verstärkte die Volksrepublik China in diesem Jahr ihre Manöver rund um Taiwan und setzte Langstreckenwaffen ein. Laut Angaben aus Peking im Februar habe die Volksbefreiungsarmee (PLA) eine Blockade und „Präzisionsschläge auf Hafen- und Energieanlagen“ simuliert.

Es gibt drei mögliche Szenarien, wie China abtrünnige Insel Taiwan militärisch in die Zange nehmen könnte. 1. Das langsame Zermürben: China bedrängt Taiwan ständig und schüchtert die Bevölkerung ein. 2. Die polizeiliche Quarantäne: China demonstriert seine Kontrolle über die Insel und schädigt deren Wirtschaft. 3. Die militärische Blockade: China schneidet Taiwan von der Außenwelt ab und bringt das Leben der Menschen auf der Insel zum Erliegen. Bei allen diesen Szenarien kann faktisch China Energie-Lieferungen nach Taiwan stören und das Leben für Taiwaner schwer machen.

Für eine Insel, die den Großteil ihres Treibstoffs und ihrer Lebensmittel importiert, ist eine drohende Unterbrechung der Schifffahrt äußerst beunruhigend. Dies könnte auch globale Folgen haben, da Taiwan 90 Prozent der weltweit modernsten Halbleiter herstellt und die Taiwanstraße eine der wichtigsten Handelswasserstraßen der Welt ist. Taiwan erhöht derzeit seine Speicherkapazitäten, fördert erneuerbare Energien und plant für den Notfall eine Rationierung der Energie sowie die Wiederinbetriebnahme alter Kohlekraftwerke.

Das von der Opposition dominierte Parlament der Inselrepublik hat bereits Anstalten gemacht, die Atomenergie wiederzubeleben. So verabschiedete das Parlament vor wenigen Tagen einen Gesetzesentwurf zur Verlängerung der Laufzeiten um bis zu zwanzig Jahre. Der Präsident der liberalen Fortschrittspartei, Lai Ching-te, sagte, er sei „offen für neue und fortschrittliche Kernenergietechnologien der Zukunft”. Diese müssten jedoch sicher sein und die Endlagerproblematik müsse geklärt werden. Der Ministerpräsident Cho Jung-tai erklärte, das Kabinett werde sich der Wiederinbetriebnahme stillgelegter Reaktoren nicht widersetzen, sobald die entsprechende Gesetzesänderung in Kraft trete. Das Problem dabei ist, dass die Sicherheitsprüfung vor einer Wiederinbetriebnahme auf Taiwan dreieinhalb Jahre dauert. Bis dahin kann sich in der Weltpolitik viel verändern.

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel