
Ines Schwerdtner und Jan van Aken haben der Linken seit Oktober eine Frischzellenkur verpasst. Da gibt es keinen Zweifel. Vor knapp einem Jahr lag die Partei am Boden: Die Parteien-Spaltung durch Sahra Wagenknecht, die quer durch die Fraktion im Bundestag ging, das vernichtende Ergebnis in der Europawahl und sauertöpfische Aktivisten in Spitzenpositionen wie Janine Wissler oder Carola Rackete in Spitzenpositionen, die in Wahlkämpfen mehr potenzielle Wähler abschrecken, als neue zu gewinnen.
Schwerdtner und van Aken haben die Partei entschlackt, haben die tätowierte Heidi Reichinnek (37) zur Spitzenkandidatin gemacht und den Außenauftritt von umständlichen Moralvorträgen auf kurze, knappe Botschaften verkürzt. Genauso wie es auf dem sozialen Netzwerk Tiktok funktioniert – dem Leitmedium der Erstwähler. Das hatte davor die AfD exklusiv für sich. Seit Schwerdtner und van Aken die Linke entsprechend angepasst haben, können sie dort mithalten. Mit Erfolg: In der Bundestagswahl wurde die Linke mit 25 Prozent die stärkste Partei unter den Erstwählern, gefolgt von der AfD mit 20 Prozent. Die SPD kommt gerade noch auf 12 Prozent.
Diese Klientel lebt weitgehend vom Staat. Entweder gleich durch Bürgergeld – oder über den öffentlichen Dienst. Der Teil des öffentlichen Dienstes, der freitags immer schon donnerstags nach Hause geht. Die lieben den Sound der Linken: Mieten bezahlbar machen. Preise senken. Die Wirtschaft ökologisch umbauen. Für diese Klientel klingt das alles einleuchtend und alternativlos. Die wirtschaftlichen Folgen müssen sie ja nicht fürchten. Für sie kommt das Geld schließlich aus dem Bankautomaten. Für diese Klientel bewiesen die Linken unter Schwerdtner und van Aken ein untrügliches Gespür für Populismus. Auf den Höhepunkt gebracht, als die Linke eine „Dönerpreisbremse“ forderten.
Doch allem Neuen wohnt ein Zauber inne. Nur wird irgendwann alles Neue mal alt. Und ihr Gespür für Populismus scheint den Linken verloren zu gehen. So tauchen sie in einer Agenturmeldung zusammen mit den Grünen auf. Schon das sollte ihnen zu denken geben. In der Meldung heißt es: „Politiker von Linken und Grünen haben sich zur Eindämmung des Alkoholkonsums in Deutschland für höhere Preise auf alkoholische Getränke ausgesprochen.“
Da ist sie wieder. Die Linke. Wie man sie vor Schwerdtner und van Aken kannte. Sauertöpfisch und belehrend: „Es darf nicht sein, dass das Komasaufen für unter sechs Euro überall und jederzeit zu haben ist“, lässt sich der drogenpolitische Experte der Linken, Ates Gürpinar, im „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ zitieren. Die Linke werde Mindestpreise ansetzen und mit Kontrollen in Supermärkten und Tankstellen durchsetzen. Durch die hippen Tattoos auf Tiktok bricht da wieder der piefige und lustfeindliche SED-Überwachungsstaat durch – die eigentliche DNA der Linken.
Werbe- und Sponsoringverbot für alkoholische Produkte, alkoholfreie Zonen in Innenstädten und eine Einschränkung der Verfügbarkeit von Alkohol möchte der Linke Gürpinar ebenfalls haben. Ähnlich äußerte sich der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen. Der Mann, der während der Pandemie genauso als Hardliner unterwegs war wie Karl Lauterbach (SPD) – nur ohne dessen Charisma und Unterhaltungswert.
Jetzt strotzen die Linken vor Kraft. Schwerdtner fordert die Mächtigen der Union auf, so ehrlich zu sein und ihren Beschluss zur Unvereinbarkeit aufzugeben. Ihre Partei verlange künftig frühzeitiger in solche Verfahren eingebunden zu sein. Ihr Co-Vorsitzender van Aken geht einen Schritt weiter und sagt dem BR: „Wenn’s ums Regieren geht, sind wir auch mit dabei.“ Die Linken wollen nicht nur das Schmuddelkind in der Allparteienkoalition sein, das brav mitstimmt, aber davon nur als Profit die Demütigung der CDU erhält. Sie wollen auch offiziell zur Allparteienkoalition gehören.
Doch dabei übersehen die Linken zwei entscheidende Punkte: Zum einen gefährden sie ihr Erfolgsrezept. Als Opposition können sie die Dönerpreisbremse fördern und damit die Pisa-Vergleich-Verlierer und Dauerkiffer auf Tiktok begeistern. Als Regierung muss man solche Ideen tatsächlich umsetzen. Dann zeigt sich allzu schnell, was für ein populistischer Schwachsinn das alles ist.
Zum anderen übersieht die Linke, dass die erkennbare Hinwendung zur Allparteienkoalition genau der Punkt war, der die Partei in die Krise führte, aus der Schwerdtner, Reichinnek und van Aken sie mit untrüglichem Gespür für Populismus rausgeholt haben. Damals, als der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow mit Angela Merkel (CDU) und den anderen Ministerpräsidenten eine Einschränkung der Grundrechte nach der anderen beschlossen hat. Nichts davon hat er verhindert, um sich dann noch zu entblöden, allen zu erzählen, dass er während der Verhandlungen seinen Rekord in dem Spiel Candy Crush verbessert hat.
Reichinnek war die perfekte Besetzung für kurze Botschaften. Auch weil sie es mit dem Komplexen nicht so hat. So will sie die Deutsche Bahn verstaatlichen, damit diese künftig pünktlicher fährt, billiger wird und besseren Service anbietet. Perfekter Stoff für neun Sekunden auf Tiktok. Doch spätestens auf dem Weg zum Gesetzesentwurf muss jemand der Fraktionsvorsitzenden der Linken erzählen: Die Bahn ist schon im Besitz des Staates. Zu 100 Prozent. Genauso gut könnte Reichinnek fordern, die Bundeswehr zu verstaatlichen.
Die Linken haben sich selbst in eine Falle manövriert. Solange sie auf ihr untrügliches Gespür für Populismus setzen, sind ihnen gute Ergebnisse sicher. In einem Land mit diesem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einem verfallenden Bildungssystem ist die Zielgruppe für undurchdachten, aber gut klingenden Schwachsinn groß. Aber wenn die Linke ihre guten Ergebnisse in Machtbeteiligung umsetzen will, dann macht sie sich wieder unsexy. Dann droht der nächste Absturz. Wenn der Vorstand wissen will, wie das funktioniert, können sie die Dissidentin aus den eigenen Reihen befragen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht erlebt gerade genau das in den und durch die Landtage, in denen es mit untrüglichem Gespür für Populismus so erfolgreich war.