
Politik und Medien haben jetzt das Reichinnek-Niveau erreicht, mit anderen Worten, Interesse an der gegenwärtigen Politik setzt ein starkes Interesse an Trash voraus. Leere Gesten, hohle Phrasen, Betrieb um des Betriebs Willen, immer schneller geht es im Kreisverkehr, in dem inzwischen die deutsche Politik hängt. Man würde nicht darüber schreiben müssen, wenn nicht auch die Feuerwehr im Kreisverkehr mit lautem Martinshorn rasant Runde für Runde dreht, während gleich hinter dem Kreisverkehr das Haus abbrennt. Die Lage in der Welt ist ernst, doch der deutsche Blick in die Welt ist nur der Blick in die deutsche Glaskugel.
Faulkners vielleicht berühmtester Satz aus dem Roman „Requiem für eine Nonne“ lautet: „Das Vergangene ist nie tot. Es ist nicht einmal vergangen.“ Gute 35 Jahre nach dem Ende der DDR bin ich geneigt, Faulkners Satz für bare Münze zu nehmen. Eigentlich hätte mich bereits Anfang der 90er Jahre eine Inschrift hoch oben am Giebel eines Mietshauses in Berlin stutzig machen müssen, die ein unbeugsamer Klassenkämpfer in luftiger Höhe an die Häuserwand gepinselt hatte und die lautete: „Der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist nur übrig geblieben.“
Inzwischen haben Angela Merkel und Olaf Scholz, Robert Habeck und Annalena Baerbock – und wider Erwarten die ganze FDP – Anmut zwar, aber keine Mühe gespart, um diesen Kapitalismus kaputt zu bekommen. Merkel hat sich von dem früheren Maoisten Trittin dafür die Methode Energiewende einflüstern lassen.
Zugelassen zu dem Klub der sich selbst demokratisch nennenden Parteien, zu den Block-Parteien von Neu-Versailles, ist das neue Hätschelkind der Medien, die Linke, nachdem Wagenknecht in der Verwirklichung des ihr von den sich selbst demokratisch nennenden Parteien erteilten Parteiauftrag in der Minimierung der AfD versagt hatte. Doch gerecht ist das in zweierlei Hinsicht nicht, denn erstens wollte Wagenknecht nicht die AfD verkleinern und zweitens ist daran ja wohl auch die CDU, allen voran Friedrich Merz, den Angela Merkel inzwischen viel Fortune als Oberzensor und Chefinquisitor gewünscht hat, gescheitert.
Wagenknecht wollte eine echte linke Politik machen, die die Interessen der traditionellen Klientel der Linken im Blick hatte, doch die war inzwischen zur AfD abgewandert und immer weniger zurückholbar – und für die jungen Wohlstandsblasenbewohner, die sich um ihre Finanzierung und um die Finanzierung ihres moralisch aufgeladenen und narzisstisch befeuerten Solipsismus keine Sorgen machen zu müssen glauben, war Wagenknecht zu alt, zu intellektuell, zu anstrengend, irgendwie zuviel Ebene zweites Signalsystem, wo hingegen Reichinnek perfekt auf der Ebene des ersten Signalsystems kommuniziert. Übrigens eine Voraussetzung dafür, wenn man auf TikTok Erfolg haben will. Außerdem ging es Wagenknecht um Wirklichkeit, um zu wenig TikTok, zu wenig Spaß, zu wenig Geschwätz, zu wenig Zündwörter, zu wenig Phrasen. Zuviel Sachverstand. Man kann Wagenknechts Analysen und Vorschlägen zurecht ablehnen, aber sie hat Analysen und Vorschläge und keine TikTok Welt. Viele junge Wähler der Grünen wanderten zu den Linken ab, weil plötzlich die Grünen in der Regierung wie ihre Eltern wirkten.
Es muss der Mangel an Fachkenntnis, die unreflektierte Ignoranz des moralisch himmelhoch Überlegenen, die Botschaften ohne Inhalte sein, die bei ihrem Publikum ankommen. Für ihr Publikum mag Reichinnek den Charme einer FDJ-Sekretärin als Minion versprühen, deren Redeweise wichtiger als ihre Inhalte und deren Scheitel allein Grund genug zu sein scheint, sie zu wählen. Fragt man junge Leute nach Reichinnek bekommt man häufig zunächst die Antwort: „Ach die mit dem Scheitel?“
Laut Joana Coatar wurde der ganz wichtige TikTok Post, in dem Reichinnek die Verstaatlichung der Deutschen Bahn, die zu 100 Prozent dem Staat gehört, gefordert hat von 78 000 sachkundige Experten des öffentlichen Verkehrswesens Deutschlands gelikt. Kommentiert wurde Reichinneks Forderung mit so tiefschürfenden und problembewussten Statements wie: „Heidi for Bundeskanzlerin 🫶🏻🩷“ „Ich liebe diese Frau.“ „Heidi for President“ „Einfach die sympathischste Politikerin🫶🏻✨“ „Ich liebe sie omg.schockverliebt❤️❤️❤️“ „heirate mich“ „… love it! Ehrlich. Du hast meinen Respekt.“ „sie spricht Fakten mit der Geschwindigkeit und Präzision wie Eminem.“
Zwar spricht Reichinnek auf TikTok schon mal schnell und präzise, aber eben keine Fakten, was den Opfern des deutschen Bildungssystems, an dessen Zerstörung Heerscharen von Didaktiker und Methodiker, von Erziehungswissenschaftlern und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) jahrzehntelang verbissen gearbeitet haben, allerdings nicht auffällt. Das Phänomen Heidi Reichinnek zeigt, wie erfolgreich diese Leute waren.
So wie Reichinnek nicht aus der Fülle ihrer Urteile, sondern aus der Fülle ihrer Vorurteile lebt, so wie der TikTok Star der Linken sofort und zuallererst zu allem eine Meinung hat, ohne zuvor eine Betrachtung, erst recht keine Analyse des Problems angestellt zu haben, so auch die Gefolgschaft. Meinen wird mit Wissen verwechselt. Reichinnek dampfplaudert zwar über den Mietmarkt, muss aber bei Lanz eingestehen, dass sie davon keine Ahnung hat, braucht sie auch nicht, denn erstens kommt es darauf an, die richtige politische Meinung zu vertreten, den Klassenstandpunkt einzunehmen. Zweitens wird Reichinnek, wenn jemand nachfragt, plötzlich von einer Migräne geplagt und drittens, steigen für sie Leute in den Ring, die in der DDR so gern Chefredakteur des NDs geworden wären oder wenigstens Azubi bei Karl-Eduard von Schnitzler. Leute wir Tilo Jung, der darüber doziert, dass Journalisten die Bürger nicht mehr darüber zu informieren haben, was die Bürger wissen wollen, sondern sie haben die Bürger darüber zu informieren, was die Bürger wissen s o l l e n.
Das ist übrigens die kürzeste Definition für Journalismus in totalitären Regimen: Jeder darf nur über das Wissen verfügen, das er für seine Arbeit und seine Stellung benötigt – und hat ansonsten gläubig den weisen Erklärungen erfahrener Genossen wie Walter Ulbricht oder Heidi Reichinnek zu vertrauen. Das ist keine Polemik, denn die Linke ist die SED, nur unter anderen Namen, so sind Ulbricht und Reichinnek und Mielke in derselben Partei, ob Reichinnek das nun weiß oder nicht.
Hinter der tollen TikTok-Fassade der Linken findet man den Kommunismus, das Gulag-System, Orwells „Farm der Tiere“, das System der Verarmung aller für das Wohlleben einer Funktionärsschicht, deren Rechtfertigung immer stärker eine politische Polizei betreibt. Man mache sich da nämlich nichts vor. Die Geschichte des Kommunismus reduziert sich im Wesentlichen auf eine Geschichte der politischen Polizei. Der Rest ist Folklore und Esoterik. Oder seit kurzem eben TikTok.
Gerade in dem Moment, in dem die Welt sich ändert, wo Staaten aufsteigen und Staaten absteigen, ein Kampf in der Welt um Ressourcen, um Macht und um Einfluss entbrannt ist, leistet sich Deutschland die Totalisierung und Infantilisierung der politischen Landschaft. Die Brandmauer zur Linken existiert längst nicht mehr. Die AfD wird man versuchen zu verbieten. Sollte die Linke eines Tages in eine Bundesregierung eintreten, dann wird man wohl ein Verfassungsschutzministerium benötigen. Das könnten man angesichts der Erfahrung, über die man bei den Linken reichlich verfügt, dann auch der Linke überlassen.
Doch bis dahin hadert die Linke nach den Worten von Heidi Reichinnek mit Merzens Ministerauswahl: „Genauso wie in ihrer Fraktion schafft es die Union auch im Kabinett nicht, die Gesellschaft abzubilden“. Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Ostdeutsche würden in der neuen Bundesregierung von Merz systematisch ausgegrenzt. „Das ist an Ignoranz nicht zu überbieten.“ Sagt Heidi Reichinnek, die, wenn sie aus dem Osten kommt, dann nur von der Zentraljugendschule der Freien Deutschen Jugend kommen kann. Jedenfalls stellt sich schon die Frage, wen sie nun abbilden soll?
Derweil herrscht rasender Stillstand, viele Worte, markige Worte, laute Worte werden gemacht, doch ist das alles nichts weiter als Marketing. Während in Italien im April die Ankunft illegaler Migranten um mehr als ein Drittel anstieg, verkündet Dobrindt: „Es werden keine Grenzen geschlossen, aber sie werden stärker kontrolliert.“ Dafür allerdings kann Heidi Reichinnek nichts. Sie lehnt ja ohnehin Kontrollen ab, denn wie heißt es im Song Heidi Reichinnek der Rapper MC Smook und Fruity Luke, das sie kurz vor der Bundestagwahl im Januar 2025 veröffentlichten: „Gib es den Armen, gib es der Mitte, nimm es den Reichen weg – wenn ich denke, will ich wie Heidi Reichinnek denken – ja, ich lehne den ganzen rechten Unsinn ab.“
Hatte ich vergessen zu erwähnen, dass das Brot im Supermarkt wächst und der Strom aus der Leitung kommt, illegale Migranten in der Kriminalstatistik nicht vorkommen und Physik der gefährlichste von allem rechten Unsinn ist. Gib mir die Hand/Ich bau dir ein Schloss aus Sand/Irgendwie irgendwo irgendwann…