Parteitag der Linken: Ein Antisemitismusbeschluss, der keiner ist

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Was ist Antisemitismus? Welche Aussagen, Argumentationslinien und Verhaltensweisen sind als antisemitisch einzustufen? Auf diese Frage kann man legitimerweise unterschiedliche Antworten geben.

Einen Versuch, dies zu tun, stellt die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) dar, eine andere die sogenannte Jerusalemer Erklärung.

Auf ihrem Parteitag am 10. Mai nun hat die Partei „Die Linke“ beschlossen, sich der 2021 verabschiedeten Jerusalemer Erklärung anzuschließen, und sich gegen die Definition der IHRA von 2016 zu wenden. In den deutschen Medien hat dies Aufsehen erregt, und das zu Recht. Die Linke legitimiert mit diesem Schritt bestimmte Ausdrucksformen des Antisemitismus, und zwar naheliegenderweise genau jene, die in linken Kreisen gepflegt werden.

Die Jerusalemer Erklärung zu Antisemitismus bietet laut ihrer Präambel eine Alternative oder Ergänzung zur Definition der IHRA an. Allerdings ist bereits die Haltung zur IHRA widersprüchlich: So wird einerseits kritisiert, dass deren Definition als Arbeitsdefinition nicht präzise genug sei und großen Spielraum für Interpretation lasse; andererseits meint man, sie definiere Antisemitismus zu eng und begrenze die Meinungsfreiheit und den Diskurs vor allem im Hinblick auf den Nahostkonflikt zu stark.

Nun lädt zwar die Definition der IHRA aufgrund ihrer Kürze und der Offenheit der Formulierung zu Interpretation ein, damit auch zu „enger“ Interpretation. Allerdings ist dies ja gerade der Auseinandersetzung förderlich – ebenso wie die in gewisser Weise „demütige“ Selbstbezeichnung als Arbeitsdefinition. Hier wird nicht festgelegt, was Antisemitismus ist; es handelt sich um einen Hinweisgeber, der offen ist für Forschungsergebnisse oder politische und gesellschaftliche Entwicklungen.

Dazu zählen Boykottaufrufe und -maßnahmen, sowie der Vergleich israelischer Politik mit Apartheid. Durch die konsequent angebrachte Phrase „in und aus sich selbst“ werden Praktiken, die so gut wie immer antisemitisch motiviert sind, mit einem „benefit of the doubt“ versehen, der ihnen nicht zusteht: Natürlich ist der Vorwurf von „Apartheid“ nicht per se antisemitisch. Er wird es aber im Kontext praktischer „Israelkritik“. Ein konkreter Fall, in dem sich darin nicht auch Antisemitismus findet, ist schwer vorstellbar.

Dass die Jerusalemer Erklärung ausgerechnet „Apartheid“ explizit nennt, ist symptomatisch: Man kann die Siedlungspolitik im Westjordanland kritisieren oder auch das komplizierte, nach Religionen segregierte Personenstandsrecht – wobei man sich der Komplexität bewusst sein sollte, der Israel als multireligiöser Staat in dieser Angelegenheit gegenübersteht. Aber das Verhältnis zwischen Westbank und Israel oder gar die Situation von arabischen Israelis als Apartheid zu charakterisieren, ist in ersterem Fall unsachgemäß, im letzteren grotesk und in beiden Fällen falsch.

Hier erkennt man die Handschrift des Intersektionalismus, die verschiedenste Formen echter und angeblicher Diskriminierung als ein Phänomen auffasst. Eine Haltung, die auch in der Erklärung der Linkspartei offenkundig ist: Zwar wird zuerkannt, dass „Antisemitismus einige spezifische Besonderheiten aufweist“, „der Kampf gegen ihn [ist] jedoch untrennbar mit dem allgemeinen Kampf gegen alle Formen rassistischer, ethnischer, kultureller, religiöser und geschlechtsspezifischer Diskriminierung verbunden“.

Auch wenn man davon ausgehen kann, dass viele Menschen, insbesondere Linke aus dem studentischen Milieu, die von Identitätspolitik und Intersektionalismus geprägt sind, aus purem Unwissen beispielsweise den Vorwurf der Apartheid aufrechterhalten, liegt einer solchen Gleichsetzung Israelhass zugrunde, und dieser ist sehr wohl Ausdruck von Antisemitismus: Kein anderes Land der Welt muss sich für die Verteidigung des eigenen Volkes derart rechtfertigen, und an keines werden derart unrealistische ethische Standards angelegt. Jedes Fehlverhalten eines israelischen Soldaten droht, das Leid der Geiseln als gerechtfertigt darzustellen, während hingegen kein noch so brutaler sadistischer Akt seitens eines Hamas-Terroristen das Leid der Kinder von Gaza zu relativieren vermag:

Die Jerusalemer Erklärung erleichtert die Anwendung solcher Doppelstandards, und leidet eindeutig unter diesem „Linksdrall“. Die Linkspartei kann an einer verbalen Verurteilung des Antisemitismus festhalten, und sich gleichzeitig hinter antisemitische Praktiken aus dem Umfeld ihrer Anhänger stellen, und das abgesegnet von den „Wissenschaftlern und Experten“, die für die Jerusalemer Erklärung verantwortlich zeichnen – und wer würde sich schon gegen die Wissenschaft stellen?

Verwunderlich ist dies angesichts der generellen Stimmung in Deutschland nicht, und es ist anzunehmen, dass, aller Staatsräson zum Trotz, viele der Linkspartei mindestens insgeheim zustimmen. Und zwar nicht nur im linken, sondern auch im „rechten“ „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“-Milieu.

Dessen ungeachtet erhält sich die Linke hier „Antisemitismus“ als Kampfbegriff „gegen Rechts“ und kommuniziert dies auch offen: „Diese Definition [d.h. die der Jerusalemer Erklärung, Anm.] verschließt sich dem Missbrauch des Antisemitismusbegriffs von rechts.“

Damit bekräftigt die Linke die in Deutschland übliche Verabsolutierung der Tatsache, dass Antisemitismus Ausdruck rechtsextremer Gesinnung ist. Dem ist zwar so, er ist aber nicht exklusiv an eine bestimmte Weltanschauung geknüpft. Die Linkspartei erkennt auch korrekt, dass die Jerusalemer Erklärung eine solche Verabsolutierung begünstigt, und damit ihr erklärtes Ziel, nämlich den Schutz einer freien Debatte, verfehlt.

Menasse behauptete, die Erzählung von Antisemitismus im linken Milieu sei im Sinne der israelischen Regierung, weil diese dadurch Kritik an Israel per se als antisemitisch diskreditieren könne. Das ist nicht einmal abwegig. Allerdings erweckte sie im Kontext ihrer Aussagen den Eindruck, linker Antisemitismus sei ein von Nichtlinken eigens zu diesem Zweck wenn nicht erfundenes, so doch aufgebauschtes Konstrukt.

Solche Aussagen richten sich nicht einmal primär gegen Israel oder die israelische Regierung; sie dienen der Diskreditierung derer, die nicht zur linken Meinungshegemonie gehören: Man will um keinen Preis zugeben, dass nicht überall, wo laut Mainstream-Definition „rechts“ ist, auch Antisemitismus ist, weil der Vorwurf des Antisemitismus besonders in Deutschland ein sicheres Instrument ist, um Menschen mundtot zu machen und ihre Reputation irreparabel zu beschädigen. Würden als „rechts“ geltende Akteure tatsächtlich Antisemitismus geißeln, könnte man ihnen diesen nicht mehr vorwerfen. Anstatt, was richtig und wichtig wäre, die Definition und Anwendung des Begriffs „rechts“ auf den Prüfstand zu stellen, wird also kurzerhand der Begriff „Antisemitismus“ umgedeutet.

Zu diesem Zweck leistet man sogar der Dämonisierung des Staates Israel Vorschub, nimmt indirekt selbst Gewalt gegen Juden hin, um die Deutungshoheit über den Begriff Antisemitismus zu behaupten.

Menasse etwa verharmlost den Terror der 70er Jahre, im Zuge dessen deutsche Linksterroristen und palästinensische Terroristen miteinander sympathisierten und kooperierten: Man könne nun nicht „die alten Geschichten“ – also jene des linken Terrors – hervorholen, um die Existenz und Bedeutung linken Antisemitismus’ zu unterstreichen.

Dem Kampf „gegen Rechts“ hat sich also alles unterzuordnen: Da exkulpiert man Mörder und Vergewaltiger, erklärt Ermordete zu Aggressoren und israelische Geiseln zu Kollateralschäden einer „kolonialen Apartheid“.

Dies legitimiert die Linkspartei nun ganz offiziell, und damit den grassierenden Antisemitismus, den man nicht nur in Deutschland seit dem 7. Oktober 2023 verstärkt beobachten kann.

Die im Raum stehende Zusammenarbeit bürgerlicher Kräfte, namentlich der CDU, mit der Linkspartei gehört auch in dieser Hinsicht in Frage gestellt: Mit der klaren Absage an die IHRA beweist die Linke, dass sie Antisemitismus nicht als Problem einstuft, sondern lediglich den Terminus als Werkzeug im Arsenal politischer Kampfbegriffe bereithält, und dass sie in dieser Angelegenheit das Auseinanderdriften von Wort und Tat nach Kräften befördert. Die Bigotterie und Heuchelei, die hier zum Ausdruck kommen, sind ebenso wenig hinnehmbar wie auf der inhaltlichen Ebene die faktische Leugnung linken Antisemitismus.

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