Linnemanns Osterspaziergang

vor etwa 2 Monaten

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

„Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, Durch des Frühlings holden, belebenden Blick, Im Tale grünet Hoffnungs-Glück …“

So fängt es immer an. Und wenn es mit der neuen Regierung nicht so anfängt, dann bleibt doch immer noch ein Rest von Hoffnung, die wir uns von notorisch missgelaunten Kommentatoren und Dystopikern nicht nehmen lassen wollen. Ostern ist das Fest der Hoffnung – auf Wiederauferstehung freiheitlich-bürgerlicher Politik, ans Kreuz des woken Zeitgeists geschlagen. Hoffnungs-Glück? Der aufgeklärte Konservative macht sich keine Illusionen um die conditio humana. Der Mensch ist ein konformistisches, feiges Herdentier, das seine Seele verkauft, wenn er glaubt, dass dabei etwas für ihn herausspringt. Warum sollte Friedrich Merz eine Ausnahme sein? Skepsis und Kritik sind immer angebracht.Trotzdem sollten wir nicht alles in den Boden rammen, was noch gar nicht geschehen ist. Ein Koalitionsvertrag ist noch keine Bilanz. In diesem Sinne ist Carsten Linnemann ein klassischer Frühlingsbote. Er vermittelt Hoffnung.

Ich schrieb vor ein paar Wochen an dieser Stelle: „Merz ist ein postideologischer Hallodri, der – gäbe es so etwas – den Chefideologen seiner Partei in die Verzweiflung treiben müsste. Ist Linnemann jetzt eigentlich suizidgefährdet?“ Ziemlich gut getroffen. An politischen Selbstmord reicht das durchaus heran, was er jetzt tut. Sieht „keinen Sinn“ darin, in dieser Koalition ein Amt auszuführen, das ihm keine Gestaltungsmacht lässt. Linnemann erinnert an einen Generalsekretär der CDU namens Heiner Geißler, der mit Helmut Kohl durch Dick und Dünn gegangen war, aber dann auch einmal ein Ministeramt ausschlug. Er verstand sich nicht als Sekretär des Kanzlers (und Parteivorsitzenden), nicht als dessen Erfüllungsgehilfe, sondern als Diskurs-Motor und Programmchef seiner Partei – die er nicht zu einem Kanzlerwahlverein verkommen lassen wollte.

Auch Linnemann hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass seine Partei weder verbonzt noch verkalkt. Als Wirtschaftsliberaler steht er natürlich weit rechts von Geißler, aber dessen Ratio teilt er. Kurzum: Er zeigt Charakter. Wenn es gut geht, wird er ein unbequemer Mahner des nachgiebigen Frühstücksdirektors im Kanzleramt, der die Republik im tiefen Tal weiter grünen und die Sozialdemokraten machen lässt. Linnemann riskiert viel. Er weiß, dass Kohl Geißler als Generalsekretär gefeuert hat im Sommer ’89. Kohl war damals so gut wie am Ende. Unversehens rettete ihn der Fall der Mauer. An den Mantel der „Geschichte“ geklammert, überstand er weitere acht Jahre im Amt. Das wird nicht noch einmal passieren. Fallen könnte allenfalls die Brandmauer – Merz nicht vor, sondern auf die Füße. Es sei denn, er risse sie selber ein. Wann feuert er Linnemann? Wenn der Generalsekretär seinen Job gut macht, wird er nicht lange warten müssen.

Kein Zweifel: Die Restaurierung der programmatisch verwahrlosten Merkel-CDU hat mit Merz begonnen und nun mit Merz einen Rückschlag erlitten. Er ist falsch abgebogen. An dieser Kreuzung geht Linnemann nicht mehr mit. Seine Absage an einen Kabinettsposten offenbart Distanz gegenüber dem Kurs des künftigen Kanzlers. Er hat sich von Merz emanzipiert. Wenn Linnemann das überlebt, kann er Merz gefährlich werden. Ihm bei seinem Ausstieg in den Einstieg eine raffinierte Karriereplanung zu unterstellen, ist voreilig. Er geht ein hohes Risiko ein. Es ist gar nicht gesagt, dass die Partei bereit ist, den Kanzler zu erden und an die Hoffnungen seiner Wähler zu erinnern. Wenn Linnemann den Politikwechsel wirklich will, muss er dafür kämpfen, und darf nicht in den üblichen Kriterien von Posten und Ämtern denken. Das ist in der verkommenen classe politique eine bemerkenswerte, vorbildliche Ausnahme. Vom Eise befreit ist noch nichts, und ein Linnemann macht noch keinen Sommer. Aber er lässt hoffen.

Es sieht ganz so aus, als sei dieser Funktionär des politischen Betriebs, dieser vermeintliche Musterknabe des Systems, ziemlich klar im Kopf. Das ist es übrigens, was viele Politiker an ihm hassen. Er zeigt, dass es anders ginge. Er demonstriert das, was in diesem Betrieb am wenigsten zu finden ist: Eigensinn. Individualismus geht vor Gefolgschaft. Oder um die letzte Zeile des Osterspaziergangs zu paraphrasieren:

„ Hier bin ich Mensch, hier soll ich’s sein.“

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel

Blog Image

vor 25 Minuten

Auf Wiedersehen, Reiner Haseloff!
Sachsen-Anhalts Noch-Ministerpräsident von der CDU will bei AfD-Wahlsieg wegziehen

Die Abwahlpanik ist mit Händen zu greifen. Reiner Haseloff (CDU), der sich als Noch-Ministerpräsident von Sachsen Anhalt...

Publisher Icon
Deutschland Kurier
Blog Image

vor etwa 1 Stunde

„Wild West“ – Mit dem ungeheuerlichsten Argument der Corona-Zeit will Jens Spahn seinen Kopf retten

Ein bislang unveröffentlichter Sonderbericht der Juristin und ehemaligen Staatssekretärin im Verteidigungsministerium Ma...

Publisher Icon
Apollo News
Blog Image

vor etwa 1 Stunde

Auch drei Somalier profitieren von kirchlicher Obhut: Immer mehr Fälle von Kirchenasyl

Immer mehr Migranten erhalten Kirchenasyl, auch um einer Abschiebung zu entgehen. Auch die drei Somalier, die Anfang Mai...

Publisher Icon
Apollo News
Blog Image

vor etwa 1 Stunde

Sie sitzt selbst im„HateAid“-Beirat: Künast leugnet staatliche Förderung des neuen „Trusted Flaggers“

Die Grünen-Politikerin und ehemalige Bundesministerin Renate Künast sitzt seit wenigen Wochen im Beirat der Meldestelle ...

Publisher Icon
Apollo News
Blog Image

vor etwa 1 Stunde

Frankreich boykottiert israelische Rüstungsfirmen auf Luftfahrtmesse

Auf der Pariser Luftfahrtmesse in Le Bourget ist es zu einem handfesten Eklat zwischen Frankreich und Israel gekommen. I...

Publisher Icon
Tichys Einblick
Blog Image

vor etwa 1 Stunde

Diese Grafik erklärt, wie eng der Trusted Flagger HateAid und linke Parteien miteinander verstrickt sind

Die Mehrheit der Deutschen hat konservativ bis rechts gewählt, und dennoch zeichnet sich in den ersten Wochen der neuen ...

Publisher Icon
NiUS