
Für Fans von Science Fiction ist die 42 die perfekte Zahl, die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Für Ärzte hingegen ist sie die Grenze, an der ein Fieber für den Patienten tödlich wird. Deutsche Wirtschaftspolitiker sind eher bei den Ärzten als bei den Fantasie-Literaten, wenn es um die Deutung der 42 geht. Erreichen die Lohnnebenkosten die Grenze von 42 Prozent, ist die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in tödlicher Gefahr. Aktuell steht sie bei 41,9 Prozent – und das ist gleich mehrfach schön gerechnet.
Der Anstieg der Lohnnebenkosten bedeutet eine heikle Spirale, die sich selbst am Leben erhält und beschleunigt: Geht es der Wirtschaft schlecht, steigen die Lohnnebenkosten. Steigen die, geht es der Wirtschaft noch schlechter. Genau an diesem Punkt hat die Ampel die Geschäfte beendet und der schwarz-roten Koalition eine undankbare Ausgangslage hinterlassen. Unter Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sind die Beiträge für die Kranken- und die Pflegeversicherung explodiert. Diese Entwicklung ist noch lange nicht beendet. Die Minister für Wirtschaft und Arbeit, Robert Habeck (Grüne) und Hubertus Heil (SPD), haben im Zusammenspiel dafür gesorgt, dass die Renten- und die Arbeitslosenversicherung demnächst in den Beiträgen hochgehen könnten.
Gründe für das Defizit der Agentur für Arbeit gibt es mehrere. Sie sind alle auf Robert Habeck zurückzuführen. Zum einen durch die verfehlte Politik des grünen Medienlieblings: Die hohen Kosten für Energie und die ausufernde Verwaltung schnüren der Wirtschaft den Atem ab und lassen sie im dritten Jahr in Folge schrumpfen. Entsprechend steigt die Arbeitslosigkeit konstant, trotz angeblichen „Arbeitskräftemangels“. Zum anderen ist die Agentur für Arbeit gesetzlich verpflichtet, die Prognosen des Wirtschaftsministeriums zum Wachstum als Grundlage zu nehmen, wenn sie ihren Etat berechnet.
Am Ende steht ein erwartetes Defizit der Agentur für Arbeit von fünf Milliarden Euro für dieses Jahr – und ein Defizit von etwa zwölf Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren. Wobei dieses Defizit wohlgemerkt nur durch die steigenden Kosten für das Arbeitslosengeld und seine Nebenkosten zustande kommt. Der zunehmende Bezug des Bürgergelds – das politische Erbe von Hubertus Heil – geht zu Lasten des Bundes und der Kommunen. Die Städte und Gemeinden haben im vergangenen Jahr eine Vervierfachung ihres Defizits von rund sechs auf 24 Milliarden Euro gemeldet.
Insgesamt betragen die Lohnnebenkosten derzeit offiziell 41,9 Prozent. Also hauchdünn vor der Fiebermarke. Helmut Kohl (CDU) wurde 1998 auch abgewählt, weil diese Kosten zum Ende seiner Amtszeit innerhalb von drei Jahren von 39,3 auf 42,1 Prozent hochgeschnellt waren. Gerd Schröder (SPD) leitete die unbeliebten und für seine Karriere so vernichtenden Hartz-Gesetze unter dem Druck ein, dass die Kosten nach einer zwischenzeitlichen, leichten Erholung wieder auf 42,0 Prozent gestiegen waren. Die Fiebermarke der deutschen Wirtschaft.
Unter Angela Merkel (CDU) gingen die Lohnnebenkosten deutlich zurück. In den Jahren unmittelbar vor und nach der Bankenkrise lagen sie bei 39,5 und 39,6 Prozent. Nach 2015 und durch die Pandemie gingen sie leicht nach oben. Unter der Kanzlerschaft von Olaf Scholz (SPD) stiegen sie von 40,0 auf jetzt 41,9 Prozent. Dass Merkel die Kosten senken konnte, lag vor allem an der Arbeitslosenversicherung und an ihrem Vorgänger Schröder: Durch die Folgen der Hartz-Reform erholte sich der deutsche Arbeitsmarkt, ein Job-Boom setzte ein und die Kosten für die Versicherung sanken von 6,5 Prozent im Jahr 2006 auf eben jetzt 2,6 Prozent.
Der Dachverband der Kassen, die GKV, hat bereits mitgeteilt, dass die Kassen weiter massive Defizite erwirtschaften. Trotz des Beitragssprungs von 0,8 Prozentpunkten zum Jahreswechsel. Die Lage ist so dramatisch, dass der Dachverband ein Ausgabenmoratorium fordert. Unter Lauterbach und seinem Vorgänger Jens Spahn (CDU) hat das Gesundheitsministerium den Kassen zusätzliche und höhere Ausgaben vorgeschrieben, von denen vor allem die Pharmaindustrie profitierte – solche Ausgaben müssten nun überprüft werden, fordert die GKV. Außerdem solle der Bund den Kassen endlich die vollen Kosten für die Behandlung von Empfängern von Transfergeld, also im Wesentlichen von Bürgergeld, erstatten. Derzeit drücke sich der Bund jährlich auf diese Weise um zehn Milliarden Euro, die an den Kassen hängen bleiben. Also an den Betrieben und ihren Beschäftigten, die fast alle Lohnnebenkosten wie den Kassenbeitrag jeweils zur Hälfte zahlen.
Selbst wenn man die gesetzte Zahl von 41,9 Prozent ohne Hinterfragen akzeptiert, ist diese Höhe eine Zumutung für die Betriebe und ihre Beschäftigten. Den Unternehmen drücken die hohen Lohnnebenkosten die Gurgel zu. Sie sind ein wichtiger Grund, warum die deutsche Wirtschaft im dritten Jahr in Folge schrumpft. Den Beschäftigten nehmen sie die Motivation zur Arbeit. Weil die Beiträge steigen und steigen und steigen, wird der Lohnabstand immer geringer zu dem, was der Staat den Empfängern von Bürgergeld mit dem Geld der Arbeitenden zahlt – fürs Nichtstun. Rechnet man Kosten, die durch die Teilhabe am Berufsleben entstehen, hinzu, dann wäre es für viele Arbeitnehmer mit niedrigen und mittleren Einkommen schon jetzt egoistisch gesehen finanziell vernünftig, aus der Arbeitswelt ins Bürgergeld zu wechseln. Gesellschaftlich ist freilich jeder solche Wechsel eine Katastrophe.
Zudem hinken vor allem für die Beschäftigten die Vergleiche der gesamten Lohnnebenkosten von 1995 zu 2005 oder zu 2025. Die sind zwar von 39,3 Prozent auf 41,9 Prozent gestiegen. Doch die Kosten für den Normalverbraucher sind noch deutlicher geklettert. Etwa durch die Absenkung des Rentenniveaus unter Gerd Schröder. Diese Lücke müssen die Versicherten aus eigener Kraft stopfen oder mit Altersarmut leben. Zahlen, die in dieser Statistik nicht auftauchen und teilweise auch nicht exakt zu errechnen sind.
Und die 41,9 Prozent sind weiter zu hinterfragen. Die hässliche Zahl ist immer noch schön gerechnet. So enthält sie nicht den Zuschlag von 0,6 Prozent, den Kinderlose auf die Pflegeversicherung bezahlen. Auch haben einige Betriebskrankenkassen zum Jahreswechsel auf eine Erhöhung des Beitragssatzes verzichtet – um mit dem eigentlich zu niedrigen Beitrag den anderen Kassen aggressiv Kunden abwerben zu können. Doch mittlerweile und in nächster Zeit mussten und müssen sie den Beitrag den realen Begebenheiten anpassen, sodass die gefährliche Fiebermarke von 42,0 Prozent der gesamten Lohnnebenkosten eigentlich schon überschritten ist.
Noch schlimmer: Bei 41,9 Prozent stoppt das Fieberbarometer der deutschen Wirtschaft nicht: Denn neben den Kosten für die Krankenkassen steigen auch die für die Pflege. Karl Lauterbach hat den allgemeinen Beitragssatz erst von 3,05 auf 3,4 und dann auf 3,6 Prozent erhöht. Dazu kommen die Zusatzleistungen für die Kinderlosen. Um rund 20 Prozent gestiegene Beiträge in nur drei Jahren. Karl Lauterbach hat seine Amtszeit auf seine Weise genutzt. Die Pflegeversicherung habe immer noch nicht genug Geld, hat er seiner Nachfolgerin Nina Warken (CDU) als Botschaft hinterlassen. Vermutlich behält er damit Recht.
3,3 zusätzliche Prozentpunkte für die Rente und weitere Erhöhungen in Pflege-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Wenn die schwarz-rote Regierung da keinen Stopp hinbekommt, werden die 42 Prozent Lohnnebenkosten keine Fiebermarke, sondern eine Erinnerung an die gute alte Zeit sein. Geht diese Entwicklung ungebremst weiter, sind sogar Nebenkosten von 50 Prozent möglich.
Zusätzlich zum hohen Steuerniveau. Zu „CO2-Abgaben“. Zu den hohen Energiekosten. Den hohen Verwaltungskosten. Die deutsche Wirtschaft wird das nicht stemmen können. Sie kann es ja jetzt schon nicht. Sie schrumpft und schrumpft und schrumpft. Damit steigen aber die Lohnnebenkosten noch stärker, etwa durch Einnahmeausfälle in der Rentenversicherung oder durch höhere Kosten in der Arbeitslosenversicherung.
Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schwebt in akuter Lebensgefahr. Die Lohnnebenkosten sind eigentlich kein Sprengstoff für die neue Regierung. Das wäre verharmlosend. Sie sind eine hybride Atom- und Wasserstoffbombe. Da muss die Regierung Friedrich Merz dringend ran – sonst fliegt ihr die Sozialversicherung um die Ohren.
Wobei Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) und Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) vorgehen müssen wie Ärzte: Erst einmal müssen sie das Fieber senken, sonst stirbt ihnen der Patient weg. Das heißt, sie müssen die Lohnnebenkosten schnell senken oder allermindestens einen weiteren Anstieg verhindern. Das wird kurzfristig nur mit staatlichen Zuschüssen gehen. Etwa in der Krankenversicherung dadurch, dass der Bund endlich die zehn Milliarden Euro jährlich bezahlt, die er bisher zu wenig für Bürgergeld-Empfänger überweist. Oder durch Direkthilfen für die Agentur für Arbeit.
Doch das Fieber zu senken allein wird den Patienten nicht heilen. Zu diesem Zweck müssen Klingbeil und Reiche an die Symptome der Krankheit ran: Den Abbau von Bürokratie nicht nur versprechen, sondern machen. Die staatliche Ausgabenwut massiv zurückfahren, dadurch niedrigere Steuern und mehr Luft für die Wirtschaft ermöglichen. Anreize zum Nichtarbeiten durchs Bürgergeld abschaffen. Und Fachkräfte einwandern lassen.
Echte Fachkräfte wohlgemerkt. Menschen, die arbeiten wollen und können. Nicht wie bisher jeden ins Land kommen lassen, in der Hoffnung, dann würden schon genug für den Arbeitsmarkt dabei sein. Diese Mischung aus ideologischer Verbohrtheit, Wahnsinn und Naivität hat zu dem Fieber der Lohnnebenkosten beigetragen.
Die Regierungen Angela Merkel und Olaf Scholz versprachen Arbeitskräfte, die den Deutschen die Rente zahlen – doch sie verursachten ein Ansteigen – unter anderem – der Kosten für Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Sodass die deutsche Wirtschaft mittlerweile gefährlich nah an der Fiebermarke steht.