Louise Schroeder: Bürgermeister von Berlin

vor etwa 2 Monaten

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Bildquelle: Tichys Einblick

Im Berliner Bezirk Wedding liegt vor einem etwas heruntergekommenen Schwimmbad aus den Siebzigern, umtost vom Verkehr zweier viel befahrener Verbindungsstraßen, ein Platz, der nach Berlins erstem weiblichen Bürgermeister heißt: Louise Schroeder. Wie andere Berliner Stadtoberhäupter hat Schroeder wenig Glück mit dem Ort, der posthum nach ihr benannt wurde. Der Ernst-Reuter-Platz ist ein monströser Kreisel, der das Grauen der „autogerechten Stadt“ verkörpert. Der Richard-von-Weizsäcker-Platz ist gar kein Platz, sondern bestenfalls eine Stelle, an der die Hauptstraße in Schöneberg ein bisschen breiter wird. Der Flughafen Willy Brandt wurde zum Symbol für alles, was man in der Hauptstadt nicht hinkriegt. Und auch Louise Schroeder hat kein schönes Stückchen Erde abbekommen. Ihr Platz ist baumlos, trostlos und meist menschenlos. Die Grünanlage ist im Sommer eher eine Beige-Anlage und im Winter eine Grau-Anlage. Manchmal sitzt dort eine Weddinger Witwe mit Hund an der kurzen Leine auf einer Bank. Sonst ist der Platz leer – was ihn wiederum gerade als Fotohintergrund interessant macht. Das Aufregendste, dem man hier zusehen kann, ist von Zeit zu Zeit eine Influencerin, die posierend einen Kreisel von Verrenkungen rund um die Rabatten vollführt, während ihr Insta-Boyfriend sie photographiert.

An einer Ecke des Louise-Schroeder-Platzes befindet sich ein Fels. Darauf wird knapp erklärt, wer Schroeder war und wann sie gelebt hat. Louise Schroeder war der Fels, auf den die SPD baute, als die Sowjets sie vernichten wollten. 1947 bis 1948 war sie kommissarischer Oberbürgermeister anstelle von Ernst Reuter, den die Russen nicht zuließen, danach bis 1951 nur noch Bürgermeister. Ja. Bürgermeister. Ohne die weibliche Endung -in. So nannte sich Louise Schroeder. So bezeichnete sie sich selbst. So stand es noch in ihrer Todesanzeige 1957. So war es üblich.

Gegen das Wort Bürgermeisterin gibt es auf den ersten Blick nichts einzuwenden. Die Änderung entspricht heutigem Sprachgefühl und ist meilenweit entfernt von den Verrenkungen der Gendersprache. Dennoch ist eine geschichtliche Dimension verloren gegangen. In der alten Fassung erinnerte dieser Gedenkstein nicht nur an die Person Louise Schroeder, sondern auch an die andere Welt, in der sie gelebt hat.

Man weiß auch nicht, wie Louise Schroeder selbst es gefunden hätte. Vielleicht hätte sie die weibliche Endung gar als Herabwürdigung empfunden, so wie jene Frauen in der DDR, die selbstverständlich sagten: „ich bin Arzt“ oder „ich bin Physiker“ – so nannte sich Angela Merkel, bevor sie sich dem westlichen Gesinnungshauptstrom anpasste. Ihnen war noch geläufig, dass die allgemeine Berufsbezeichnung Arzt, Physiker oder eben Bürgermeister lautet. Wenn man sie Physikerin, Ärztin, Bürgermeisterin genannt hätte, hätten sie sich als ausschließlich auf den weiblichen Teil der Menschen, die diesen Beruf ausüben, reduziert gefühlt. Eine sprachliche Ghettoisierung. Zu solchen Fragen hat die alte Inschrift angeregt. Nun ist da nichts mehr, wo das Nachdenken einhaken könnte. Der Schroeder-Fels war ein Stein des Anstoßes. Jetzt ist er nur noch ein Stein.

Als Alexander Kluge 1988 seinen Film „Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit“ drehte, war der Titel lediglich ein skeptisches Bonmot. Heute wirkt er wie die Prophezeiung eines Sehers, der die kulturellen Entwicklungen des frühen dritten Jahrtausends erahnte. Der umfassende Angriff zielt nicht bloß auf die Sprache, deren Grammatik und Wörter auf versteckte ideologische Giftpaketchen abgetastet werden. Er gilt auch den Denkmälern. Nicht nur denjenigen, auf deren Sockeln Menschen stehen, welche nicht den hohen moralischen Ansprüchen gerecht werden, die wir Nachgeborenen selbstverständlich mühelos erfüllen. Sondern sogar denen, die – wie der Louise-Schroeder-Findling – nicht den Ansprüchen einer modernen Weltverbesserungsgrammatik entsprechen. Ihre Apologeten können es nicht nur nicht ertragen, dass Menschen der Gegenwart den von ihnen gewünschten Verbesserungen der deutschen Sprache keine Folge leisten – sie ertragen es auch nicht mehr, dass Menschen früher anders gesprochen haben. Die Umgravierung des Louise-Schroeder-Steins folgte dem gleichen Impuls wie die Änderungen in Kinderbüchern, wie die Debatten darüber, ob man Schülern und Lehrern noch Klassiker, in denen Wörter wie Neger oder Zigeuner stehen, zumuten kann, und wie das Durchkämmen von Straßennamen-Verzeichnissen nach Menschen, die vor 100 oder 500 Jahren gegen den Moralkodex der Jetztzeit verstoßen haben.

Der Kampf um die deutsche Sprache ist eines der bestimmenden politischen Themen. Wenn man Medien und öffentlichen Debatten folgt, erscheint es, als wären sprachliche Fragen wichtiger als Chancengleichheit im deutschen Bildungssystem, Steuergerechtigkeit für Wenigverdiener oder Entlastungen für Familien und alleinerziehende Mütter. Teile der politischen und akademischen Klasse erwecken den Eindruck, der gesellschaftliche Fortschritt hänge entscheidend davon ab, dass linguistische Optimierungsmaßnahmen durchgesetzt würden und dass Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Inklusion und das Zurückdrängen des Rassismus im Wesentlichen durch verbale und grammatische Relikte abgelebter Epochen behindert werden, die wir immer noch mit herumschleppen.

Zwar ist das jahrzehntelange Ringen um die Rechtschreibreform beendet, und man versucht nun, mit einem Kompromiss zu leben, der weder Radikalreformer noch Bewahrer zufriedenstellt. Dafür wird um „gendergerechte Sprache“, „diskriminierende Begriffe“, „Unwörter“, Neo-Pronomen und Anglizismen umso heftiger gekämpft. Ein weiteres Projekt im linguistischen Bastelbuch sich als fortschrittlich verstehender Kräfte ist die „leichte Sprache“. Je mehr die Schulen bei der Aufgabe versagen, Absolventen korrektes Standarddeutsch beizubringen oder sie auch nur hinreichend zu alphabetisieren, desto mehr wird eine komplexitätsreduzierte Form des Deutschen als Mittel zum Abbau von Barrieren und zur Förderung der Inklusion propagiert.

Wer den Sinn all dieser einschlägigen Umbaumaßnahmen am Deutschen in Frage stellt, wird als Rechter gebrandmarkt. Kritik an der Gendersprache, Widerwille gegen die Flut unnötiger und lächerlicher Anglizismen, Zweifel am diskriminierenden Sinn von bewährten Ausdrücken wie „Schwarzfahrer“ oder „Flüchtling“ werden als Elemente eines von der Neuen Rechten vom Zaun gebrochenen „Sprachkampfs“ dargestellt. Laut der These vom „Sprachkampf “, den die Rechten begonnen haben, sind der Verein deutsche Sprache oder die Volksinitiativen gegen Gendern wie in Hamburg oder Hessen die Angreifer in diesem Kampf. Ihnen wird nachgesagt, sie agierten als eine Art Vorfeldtruppe der AfD im Ringen um kulturelle Hegemonie.

Das ist eine groteske Umkehrung der Kausalitäten und der historischen Tatsachen. Denn die genannten konservativen und rechten Reflexe sind vielmehr als Reaktion auf sprachliche Umbaumaßnahmen im Namen des Fortschritts zu verstehen, die seit Jahrzehnten vorangetrieben werden. Angesichts des Vorgehens der Sprachumbauer kommt einem das Gedicht von Bertolt Brecht in den Sinn, in dem er der Regierung der DDR nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 empfahl, ein anderes Volk zu wählen. Die linguistischen Optimierer wählen nur ein anderes Deutsch. Ihre Hoffnung ist, dass dieses andere Deutsch dann auf dem Wege der sprachlichen Umprogrammierung auch ein völlig verändertes Volk hervorbringen wird, das zum schlechten alten Denken gar nicht mehr fähig ist.

Die genannten Menschen hatten alle Recht mit ihrer Sprachkritik, aber sie überschätzen die Rolle der Sprache in den Dehumanisierungsprozessen des frühen 20. Jahrhunderts. Marxistisch ausgedrückt: Sie hielten manchmal den Überbau für entscheidender als die Basis. Den gleichen Denkfehler begehen nun Apologeten einer gendergerechten Sprache, Rechtschreibreformen, Unwortjäger und Diskriminierungsfahnder. Allzu oft wird die Forderung, die Sprache müsse geändert werden, wichtiger genommen als die dringend notwendigen realen Änderungen der ungerechten Verhältnisse.

Neben dem übergroßen Rang, den philosophische und politische Sprachkritik in Deutschland historisch bedingt haben, gibt es noch eine jüngere Ursache für das Unbehagen „fortschrittlicher“ Kräfte an der deutschen Sprache. Die Linke hat sich nach 1989, als die alten marxistischen Theorien durch den Zusammenbrauch der kommunistischen Systeme diskreditiert schienen, als „Internationale der Diskriminierten“ neu erfunden, bzw. es scheint ihr bislang noch nichts anderes eingefallen zu sein. Da als „Diskriminierung“ heute oft nicht mehr in Zahlen messbare Phänomene (wie die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen oder die Benachteiligung von Migranten bei der Wohnungssuche) bezeichnet werden, sondern gefühlte Bedeutungen und traumatisierende Mikroaggressionen, kommt es zu einer Diskriminierungsinflation. Diskriminierend ist nun alles, was irgendjemand als diskriminierend empfindet. Es ist kein Zufall, dass linke Kritik am vermeintlich antidiskriminatorischen Sprachumbau häufig (aber nicht nur) von klassischen Marxisten kommt, die daran festhalten, dass Klassenzugehörigkeit und Klassenkampf die entscheidenden Faktoren der Politik sind, die alle anderen Gegensätze „überdeterminieren“ (Althusser).

Durch kapitelweise Überblicke über die Geschichte diverser Sprachumbau-Projekte belege ich in diesem Buch, dass es nicht die Rechte war, die den „Sprachkampf “ begonnen hat. Als „rechts“ gelten heutzutage Menschen schon allein dann, wenn sie ein affektives, liebevolles Verhältnis zur Muttersprache haben. Sie empfinden die Versuche, das Deutsche zu verbessern und zu modernisieren, als Willkürakt. Vom daraus herrührenden Klima der Gereiztheit versuchen Rechtspopulisten in der Tat zu profitieren, aber sie haben es nicht geschaffen.

Vorwort aus: Matthias Heine, Der große Sprachumbau. Eine gesellschaftspolitische Katastrophe. LMV, Klappenbroschur, 240 Seiten, 24,00 €.

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