
Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen kritisiert in dem Interview scharf das Vorgehen des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) gegenüber der AfD. Die öffentliche Einstufung der Partei als „gesichert rechtsextremistisch“ sei ein massiver Eingriff in den politischen Wettbewerb und habe der AfD immensen Schaden zugefügt. Maaßen, heute Chef der Werteunion, verweist darauf, dass die AfD unmittelbar danach vor dem Verwaltungsgericht Köln einen Eilantrag gestellt habe. Dieses habe offenbar signalisiert, dass die öffentliche Verlautbarung des BfV rechtswidrig sei, woraufhin der Verfassungsschutz eine Stillhaltezusage abgegeben habe – eine indirekte Bestätigung der Unverhältnismäßigkeit des Vorgehens.
Maaßen weist darauf hin, dass parallel noch ein weiteres Verfahren zur Einstufung der AfD als Verdachtsfall anhängig sei – inzwischen beim Bundesverwaltungsgericht. Dort werde sich zeigen, ob die vorinstanzlichen Urteile, die die Einstufung bislang stützten, Bestand haben: „Jetzt müssen wir sehen, wie das Bundesverwaltungsgericht in diesem Verfahren entscheidet. Es kann sein, dass es entscheiden wird, dass keine Rechtsgründe bestehen, dass die AfD weiter als Verdachtsfall geführt wird.“
Auf die Frage nach der Unabhängigkeit der Justiz äußert sich Maaßen skeptisch. Er sehe insbesondere bei politischen Verfahren eine Tendenz zur Parteinahme. Vor allem junge Richter hätten wenig Interesse daran, in heiklen Verfahren im Mittelpunkt zu stehen. Das sei jedenfalls sein Eindruck. „In der zweiten oder dritten Instanz mag es auch etwas anders sein. Insgesamt muss ich sagen, es ist in Deutschland schwierig, in politischen Verfahren jedenfalls wirklich, sich auf die Unabhängigkeit und Objektivität der Richter zu verlassen.“
Zur Rolle der ehemaligen Innenministerin Nancy Faeser äußert sich Maaßen vernichtend. Ihre Amtszeit sei eine Skandalzeit gewesen, geprägt von Rechtsbrüchen und politischer Instrumentalisierung der Sicherheitsbehörden. Er nennt als Beispiele das gescheiterte Verbot des rechten Magazins Compact über den Umweg der Firmenauflösung sowie die Entlassung des BSI-Chefs Arne Schönbohm auf Grundlage unbelegter Vorwürfe. Auch er selbst wird nach eigenen Angaben als Einzelperson vom Verfassungsschutz überwacht – ein Vorgang, den er als missbräuchlich und politisch motiviert darstellt: „Ich werde ja vom Verfassungsschutz weiter beobachtet, man kann sagen als Staatsfeind. Ich glaube, ich gehöre zu den wenigen Personen in Deutschland, die vom Verfassungsschutz als Einzelpersonen beobachtet werden.“
Er klagt darauf, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Erkenntnissammlung vorlegen muss: „Jetzt wird vermutlich ein großes Kompendium vorgelegt werden, was ich im vergangenen Jahr alles für ‚Übeltaten‘ gesagt, bei Twitter geschrieben habe, wo ich in Beiträgen mich in einer Weise geäußert habe, die dem Verfassungsschutz nicht gefällt und warum ich dann letztendlich ein Staatsfeind bin.“
Maaßen beklagt, dass in Deutschland der Inlandsgeheimdienst zur Beobachtung politischer Opposition eingesetzt werde – etwas, das in anderen westlichen Demokratien verboten sei. Der Chef des Verfassungsschutzes sei ein politischer Beamter, der ministeriellen Weisungen folgen müsse. Die Behauptung, es handle sich um eine neutrale Behörde, sei daher irreführend.
Er konstatiert eine zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit, die er mit politischer Verfolgung gleichsetzt. Die politische Linke habe es geschafft, abweichende Meinungen als „Hass und Hetze“ zu brandmarken und damit aus dem legitimen Diskurs auszuschließen. Wer heute nicht der linken Mehrheitsmeinung folge, müsse mit beruflichen Nachteilen, sozialer Ausgrenzung oder gar strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Diese Dynamik sei mit klassischen Elementen politischer Verfolgung identisch.
„Eine der grundlegenden Säulen einer freiheitlichen Demokratie ist die Meinungsfreiheit. Meinungsfreiheit heißt, ich darf alles sagen, Meinung, ich darf mich zu allen Themen äußern und gerade dann, wenn es den Regierenden nicht gefällt. Es gibt Grenzen, und die Grenzen sind vor allem der Ehrenschutz, Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung. Es gibt bei uns im Strafrecht nicht die Grenze Hass und Hetzrede. Das gibt es nicht. Auch Hass und Hetzrede muss der andere ertragen.“
Maaßen warnt, dass diese Entwicklung nicht unbemerkt bleibe. In den USA werde der Umgang Deutschlands mit Oppositionellen zunehmend kritisch betrachtet. US-Senator Tom Cotton habe angekündigt, die Zusammenarbeit mit dem deutschen Verfassungsschutz einzuschränken – ein drastischer Schritt, der verdeutliche, dass Deutschland sich von westlichen Werten entferne. Maaßen erläutert, dass der deutsche Dienst stark auf US-Informationen angewiesen sei, insbesondere im Bereich der technischen Aufklärung (SIGINT). Ein Abbruch der Zusammenarbeit hätte gravierende sicherheitspolitische Folgen.
Abschließend spricht sich Maaßen nicht für die Abschaffung, wohl aber für eine tiefgreifende Reform des Verfassungsschutzes aus. Die Behörde sei notwendig – jedoch müsse ihr klar untersagt werden, gegen politische Opposition eingesetzt zu werden: „Wir brauchen einen deutschen Inlandsgeheimdienst. Es ist notwendig. Wir haben Probleme im Sicherheitsbereich, die nur durch einen Nachrichtendienst behoben werden, aufgeklärt werden können. Ob das jetzt nun Terrorismusbekämpfung ist, eben die Aufklärung terroristischer Anschläge, ob das Spionage, Sabotage, die Subversion, also die Unterwanderung von Institutionen, [oder] Cyberabwehr [ist].“
Es dürfe kein Geheimdienst sein, der gegen politisch Oppositionelle eingesetzt wird: „Wir brauchen ein klares Verbot, dass der Geheimdienst nicht dazu instrumentalisiert werden darf – auch mit strafrechtlichen Sanktionen, wer gegen dieses Verbot verstößt. Was wir auch brauchen, ist eine Unabhängigkeit dieser Behörde. Sie darf nicht mehr von einem Behördenleiter geführt werden, der unmittelbar einem Minister untersteht.“
Maaßen verweist auf andere Länder, in denen der Chef des Geheimdienstes vom Parlament gewählt wird oder über eine gewisse Unabhängigkeit verfügt. Der Behördenleiter dürfe nicht länger dem Innenminister unterstellt sein, sondern müsse parlamentarisch legitimiert und unabhängig agieren – ähnlich wie ein Zentralbankpräsident: „Ich glaube, wir brauchen eine grundlegende Reform unserer Geheimdienste.“