Macht die Union die Tür zur Verfassungskrise auf?

vor etwa 5 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Wenn die Posse zur Farce und die Farce zum Grand Guignol in der Realität wird, wofür am Freitag die Weichen gestellt werden könnten, dann hat sich die Union den Karl-Marx-Orden verdient, dann wird wie am Obersten Gerichtshof der DDR Recht durch Gesinnung in der sogenannten Rechtsprechung ersetzt. Die öffentliche Diskussion entzündet sich gegenwärtig an der Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf, dabei aber bleibt die zweite linke Kandidatin unter dem Radar. Doch auch Ann-Katrin Kaufhold ist nicht weniger links als Brosius-Gersdorf, allerdings anders links, linksgrün mit einer ausgeprägten Neigung zum Klimaaktivismus.

In einem Aufruf aktivistischer Klimaschutzjuristen, den Kaufhold unterzeichnete, empfanden die Damen und Herren Juristen „Forderungen nach einer Verschärfung straf- und polizeirechtlicher Reaktionen“ auf „bestimmte Protestformen, wie z.B. Straßenblockaden“ als „beunruhigend“. Deshalb forderten die Klimaschutzjuristen die Bundesregierung auf „ein effektives Klimaschutzprogramm mit ausreichenden Maßnahmen zur Einhaltung der Klimaschutzziele…zu beschließen.“ In ihrer Sprache ist Kaufhold trotz zumeist juristischer Folklore in der Wortwahl, zuweilen nicht von linken oder radikal grünen Aktivisten zu unterscheiden, wenn sie fordert, darüber zu diskutieren, wie „gutes Leben aussehen“ kann, „das sich innerhalb der planetaren Grenzen bewegt.“

Doch bei diesem Glückskecksspruch bleibt Kaufhold nicht stehen, sondern plädiert für die Auflösung der Demokratie in den tiefen NGO-Staat, wenn sie tatsächlich äußert: „Natürlich denkt man in solchen Fragen zunächst an Parlament und Regierung. Wir stellen aber leider fest, dass sie das Thema nicht schnell genug voranbringen. Deswegen muss man überlegen, wie man das Tableau der Institutionen erweitert.“ Nämlich durch die NGO genannten Grünen Garden.

Kaufhold hadert mit der Demokratie und dem Parlamentarismus, im Grunde mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wenn sie ausführt: „Ein häufig thematisiertes Defizit von Parlamenten mit Blick auf Klimaschutz ist die Tatsache, dass sie auf Wiederwahl angewiesen sind.“ Na sowas aber auch, der Plebs darf wählen, Parlamente sind sogar auf Wiederwahl angewiesen, denn „In der Folge tendieren sie wohl dazu, unpopuläre Maßnahmen nicht zu unterstützen.“ Populär kommt von populus, d.h. eine Maßnahme ist dann populär, wenn sie von der Mehrheit der Bürger, der Wähler, des populus oder demos geteilt wird. Deshalb wählen die Bürger, der demos oder der populus Volksvertreter, die in ihrem Auftrag Politik machen sollen, populäre Maßnahmen sind Maßnahmen, die auf die Zustimmung der Mehrheit der Bürger stoßen.

Wenn Politiker bestimmte Maßnahmen für richtig halten, müssen sie ihre Wähler davon überzeugen. So funktioniert Demokratie. Doch in Kaufholds Welt muss mit den Bürgern nicht mehr geredet, nicht mehr um ihre Zustimmung gekämpft werden, denn es gibt ja die Gerichte, die Kaufhold-Gerichte, demnächst mit Segen der Union als Verfassungsgericht. Sollte die Rechtsprofessorin nicht das Grundgesetz kennen, bspw. Artikel 20 Absatz 2: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Da steht weder, dass alle Staatsgewalt von den Gerichten ausgeht, noch, dass sie gegen das Volk ausgeübt wird.

In Kaufholds krudem Weltbild spukt anscheinend jedoch die Vorstellung einer judikativen oder finanzoligarchischen Diktatur, wenn sie weiter räsoniert: „Gerichte oder Zentralbanken, auf der anderen Seite, sind unabhängig. Damit eignen sie sich zunächst einmal besser, unpopuläre Maßnahmen anzuordnen.“ Gerichte sollen also den Raubzug des Klima-Komplexes gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen, weil die politische Vertretung der Bürger dazu nicht in der Lage ist? Gegen diese Rechtsaufassung hätten wohl weder Andrej Wyschinski, noch Hilde Benjamin, noch Ernst Melsheimer etwas einzuwenden. Kleiner Tipp für die Rechtsprofessorin, Gerichte sollen nicht, wie es mit dem berüchtigten Klimaschutzurteil geschehen ist, Gesetze erzwingen, sondern auf die Einhaltung der Gesetze achten.

Was Kaufhold über die Zentralbanken und die Finanzindustrie sagt, ist so banausisch und naiv, ist so Mazzucatos und Habecks Gassenhauer, dass man darüber besser schweigt, zumal sich Habecks finanzpolitisches Genie in der Unkenntnis von Basel III, in der höchst eigenwilligen Definition von Insolvenz und in Deutschlands finanzielles Northvolt-Desaster zum Nachteil Deutschlands und des deutschen Steuerzahlers hinreichend blamierte. Wer die Zentralbanken für „unabhängig“ hält, hat so rein gar nichts begriffen, seit Merkels Euro-Rettung ist es nicht einmal mehr die Bundesbank. Die Finanzindustrie ist 2008 zum Klima-Komplex gestoßen, weil sie „Klimaneutralität“ als neue Blase identifizierte, aus der sie sich seit 2024 allerdings vehement verabschiedet. Wenn Kaufhold zu dem Diktum kommt „Der Finanzsektor verfügt über unglaubliches Potenzial und entscheidet, wohin wir uns bewegen. Und an dieser Entscheidung sollte die gesamte Gesellschaft teilhaben“, dann ist das nicht nur Mazzucato- oder Habeckgeschwätz, sondern verrät überdies die Neigung zu Teilverstaatlichungen und zu interventionistischen Eingriffen in den Markt, zu denen man übrigens in dem Maß gezwungen ist, in dem die eigene ideologisch definierte Wirtschaftspolitik scheitert. Diese Konsequenz nennt man übrigens Sozialismus – und es ist nur eine Frage ästhetischer Vorlieben, ob er rot oder grün lackiert ist.

Dass man auch als Gericht nicht auf Dauer gegen den Willen der Mehrheit der Bürger agieren kann, weil man sich sonst delegitimiert, sieht auch Kaufhold, doch da am Klima-Glauben nicht zu rütteln ist, wird man wohl gerichtlich die „Spaltung der Gesellschaft“ überwinden und die Menschen zu erziehen haben und zu ihrem Glück zwingen müssen. „Wenn wir über eine gesamtgesellschaftliche Transformation sprechen, und die braucht es, dann müssen wir an allen Stellschrauben drehen.“

Damit liegt Kaufhold auf der Linie des niedersächsischen Juristen Thomas Schomerus, dem in einem Beitrag für den Verfassungsblog so eine Art Klima-Diktatur vorschwebt: „Dennoch, Corona lässt sich als Chance für den Klimaschutz nutzen. Der Kampf gegen das Virus kann eine Vorbildwirkung für die Bekämpfung der globalen Erwärmung haben.“ Ob Corona oder Klima, egal, Hauptsache ein bisschen judikative Diktatur. Schomerus gerät sogar über die Einschränkung der Grundrechte ins Schwärmen: „Im Angesicht der tödlichen Gefahr…nimmt die Bevölkerung in einem beispiellosen Akt der Solidarität massivste Grundrechtseinschränkungen in Kauf….Diese werden ohne großes Murren hingenommen, wozu nicht zuletzt die durch ihre Fachkenntnis überzeugende mediale Präsenz der Wissenschaftler, allen voran die Virologen mit dem Institutsdirektor der Charité Christian Drosten und dem Leiter des Robert-Koch-Instituts Lothar Wieler beigetragen hat.“

Zu Präsenz der Wissenschaften und der vorbildlich sozialistischen Pflichterfüllung der Medien plauderte im Rückblick der Soziologe Heinz Bude, Mitverfasser des Corona-Strategiepapier des Innenministeriums, vergnügt, dass von Anfang an klar war „dass eine Politik des Zugriffs auf das Verhalten der Einzelnen starker Rechtfertigungen bedarf.

Mit Gramsci gesprochen: Es ging darum, Zwänge zu verordnen und Zustimmung zu gewinnen und dabei die Deutungshoheit in der Hand zu behalten.“ Teile und herrsche, nannten dass die Römer. Die Grundlage des Klima-Komplexes besteht nicht im freien Diskurs, sondern in der Deutungshoheit. Die neue Inquisitionsbehörde nennt sich zwar „Die Wissenschaft“ hat jedoch mit Wissenschaft, die auf Evidenz, Methodenpluralität und Falsifikation beruht, nichts gemein. Was Bude auch am Beispiel der Corona-Diktatur 2024 ungewollt in Graz verdeutlicht: „Wir haben gesagt, wir mussten, wir müssen ein Modell finden, um Folgebereitschaft herzustellen, das so ein bisschen wissenschaftsähnlich ist. Und das war diese Formel ›Flatten the curve‹, dass wir gesagt haben ›Wie können wir die Leute überzeugen, mitzutun?‹ Wir sagen denen, es sieht so nach Wissenschaft aus, ne? Man sagt, ›wenn ihr, wenn ihr schön diszipliniert seid, könnt ihr die Kurve verändern…Das haben wir geklaut von einem Wissenschaftsjournalisten. Aber wir fanden das irgendwie toll, dass man so, also dass man so ein quasi Wissenschaftsargument hat.“ Worum es in der Coronadiktatur ging und in der Klima-Diktatur gehen wird, hat Bude sauber definiert: „Und man wird Zwang ausüben müssen auf Leute, die sagen, ich habe aber andere Informationen…Und zwar legitimen Zwang.“

Legitimer Zwang heißt Zwang, der dann von einem Kaufhold- oder Brosius-Gersdorf-Gericht ausgeht, denen ein imaginiertes Gemeinwohl über die Gültigkeit von Grundrechten geht, auch ausgehen muss, weil Parlamente, deren Zusammensetzung vom Wählervotum abhängig ist, die gewählt werden, hier im Gegensatz zu rotgrün besetzten Gerichten zu unzuverlässig sind. Um für die „gesamtgesellschaftliche Transformation“ an „allen Stellschrauben“ zu drehen, muss man Folgebereitschaft herstellen. Dazu ist es erforderlich, wie Bude sagt, „hinterrücks ganz furchtbare Dinge wie Angstkommunikation, also sozialpsychologische Dinge zu benutzen, um solche Arten von Folgebereitschaften zur Veränderung von individuellem Verhalten vorzunehmen?“ Allgemeinkonkret versucht sich Kaufhold an so etwas wie Philosophie: „Stellt man sich aber die Frage, ob der notwendige Wandel, wenn wir ihn denn schaffen, Verzicht und Wohlstandsverlust mit sich bringt, kommt es darauf an, wie man Wohlstand definiert. Geht es um Wohlbefinden?“ Die Leute sollen sich mal nicht so anstellen, vor 30 000 Jahren fühlten sich die Menschen innerhalb planetarer Grenzen auch in der Höhle wohl. Oder wie Schomerus soufflieren könnte: „Verfassungsrechtlich sind auch für den Klimaschutz stärker als bisher in Grundrechte eingreifende Maßnahmen begründbar und zulässig.“

Und hier schließt sich der Vergemeinschaftungskreis, der Stuhlkreis der Unfreiheit der linken Richterinnen, wenn Brosius-Gersdorf klarstellt: „Wir sind eine wehrhafte Demokratie (…) Wir haben Schutzvorkehrungen gegen verfassungsfeindliche Parteien.“ Laut Schomerus wären das Parteien, die es nicht für verfassungsrechtlich „begründbar und zulässig“ halten „für den Klimaschutz stärker als bisher in Grundrechte“ einzugreifen. Denn, so Brosius-Gersdorf: „Wir haben die Möglichkeit, Einzelpersonen Grundrechte zu entziehen.“

Fasst man Brosius-Gersdorf, Schomerus und Kaufhold zusammen, kommt man zum Fazit: Wenn man eine „gesamtgesellschaftliche Transformation“ per orde de mufti oder auf Weisung des Verfassungsgerichtes durchsetzen will, muss man „einerseits gesellschaftlichen Rückhalt haben“, durch den Einsatz von staatsfinanzierten NGOs, „und andererseits effektiven Klimaschutz ermöglichen“, in dem in das Leben des einzelnen der Staat vom Dach bis zum Heizungskeller, vom Urlaub bis zum Beischlaf, von der Kindererziehung bis zur Wahl des Fortbewegungsmittel und der Größe der Wohnung hineinregiert, hineinurteilt, hineinspitzelt, denn eine wehrhafte Demokratie zeichnet sich dadurch auf, dass „Einzelpersonen Grundrechte“ entzogen und Parteien verboten werden können. Durch das Verbot von Parteien setzen Gerichte die freie und geheime Wahl außer Kraft und erhebt sich die Judikative über die Legislative. Ist man erst einmal an dem Punkt, gibt es keinen Halten mehr, dann ist alles erlaubt, dann werden politische Meinungen und das Leben schlechthin von Gerichten beurteilt. So vertrat Brosius-Gersdorf in der Festschrift für ihren Doktorvater Horst Dreier, die Auffassung, dass die Annahme, dass die Menschwürde überall gelte, wo menschliches Leben existiert … ein biologistisch-naturalistischer Fehlschluss“ sei. Das dürften sich die Aufseher im Gulag auch gesagt haben, dass allein das Vorhandensein vom menschlichen Leben im Lager, nicht bedeutet, dass Menschenwürde im Lager existieren müsse. Existierte auch nicht. Zwar äußerte das Brosius-Gersdorf im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch, doch ein Jurist, der auf die Idee kommt, dass „Menschenwürde und Lebensschutz…rechtlich entkoppelt“ sind, gehört an kein Gericht, weder an ein Amtsgericht und schon gar nicht an ein Verfassungsgericht.

Der größte Irrsinn, zu der sich die Union bereit findet, ist, Kandidatinnen wählen zu wollen, die zwar von der SPD vorgeschlagen wurden, genauso gut aber von den Grünen oder den Linken (SED) hätten nominiert werden können. Es zeigt den tiefen Fall unserer politischen Kultur, dass die Union Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold zu Verfassungsrichtern wählen will, die auch Kandidatinnen der Linken hätten sein können – und genau diese Linke (SED) jetzt die gewohnte Dreistigkeit beisitzt, von der Union dafür, dass sie ihre Kandidatinnen wählt, auch noch ein Extrageschenk verlangt, das darin besteht, dass der Unvereinbarkeitsbeschluss nicht nur de facto, sondern nun auch offiziell und de jure fällt. Jan van Aken hat schon ein bisschen gedroht: „Ohne Gespräch keine Wahl, das ist ganz einfach“. Wäre ich Unionsabgeordneter, würde ich van Akens hochherziges Angebot annehmen.

Wenn Akens Genossin Reichinnek sagt: „Alle Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts sollten eine starke demokratische Mehrheit hinter sich haben. Das ist die Aufgabe der Fraktion, die einen Vorschlag macht – mit allen demokratischen Kräften zu reden. Das hat die Union bisher nicht geschafft“, hat sie zweifelsohne Recht, denn die Union hat noch nicht mit der AfD geredet. Dabei könnte die drei Richter durchbekommen. Denn der Rechtsfrieden steht über dem Koalitionsfrieden.

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