Macron, Starmer und das geopolitische Vakuum

vor etwa 2 Monaten

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Bildquelle: Tichys Einblick

Es gab keinen Plan B. Oder doch? Zügig sind Frankreich und das Vereinigte Königreich wieder in ihre Rollen als eigentliche Beherrscher Europas geschlüpft, wie sie es schon im 19. Jahrhundert waren. Kaum dass die USA Anstalten machen, ihre alten Positionen zu räumen, haben zwei der alten Mächte der Pentarchie sich aufgemacht, gegen Russland vorzugehen – eine Konstante, die ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert bekannt ist. Preußen-Deutschland ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, und Österreich wird schmerzlich vermisst – Wien lebt heute nur in verkleinerter Form donaubwärts in Budapest weiter.

Von Medien und Politikern – nicht nur in Deutschland – wird kolportiert, der Vorfall im Weißen Haus sei von US-Seite künstlich herbeigeführt worden. Es habe sich um eine Manipulation gehandelt. Das stimmt bedingt. Denn die Manipulation ist die bewusste Verkürzung der nahezu einstündigen Konferenz auf die letzten Minuten. Und sie nützt jenen Mittelmächten, die in das europäische Vakuum stoßen wollen.

Andererseits kann man sich deswegen des Eindrucks nicht erwehren, dass die Empörung der Europäer ebenso künstlich ist. Da wird nun nicht nur vom Ende der transatlantischen Freundschaft, gar dem Ende der Allianz, beschworen – einige haben die Finger so lose an der X-Tastatur, dass man bereits vom Ausstieg der USA aus dem Westen fabuliert. Das alles, weil der Präsident und der Vizepräsident der USA so gemein waren.

Als eine höchst unberechenbare Figur hat sich Emmanuel Macron entpuppt. Wohl im Bemühen, seine innenpolitische Bilanz mit außenpolitischen Erfolgen aufzupolieren, tut der französische Staatspräsident alles, um im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit zu stehen – möglichst auf einer Ebene mit Trump, Xi und Putin. Er erfüllt das Klischee einer nach Grandeur dürstenden Persönlichkeit ohne Erfolge, die auf den letzten Metern der eigenen Amtszeit umso erratischer wirkt.

An einem Tag fliegt Macron nach Washington, um dort mit Trump Abmachungen zu treffen und eine europäische Armee in der Ukraine zu versprechen, die so wenig existiert wie die Vollmachten, die ihm andere Europäer dazu überlassen hätten. Dann spricht er auf einem europäischen Gipfel, der im Grunde nur ein französisch-britisches Treffen mit einigen untergeordneten Befehlsempfängern ist. Das Wort von der „Koalition der Willigen“ kursiert, doch sie besteht aus Phantomen, die Macron und sein neuer Busenfreund Starmer erfunden haben.

In all diesem Trubel hat man bei Macron weder Verhandlungsgeschick noch Durchsetzungsfähigkeit noch den Willen zum Ausgleich unter den Europäern gesehen, die er in der Ukraine verpflichtet sehen will – man könnte, wollte aber nicht, von napoleonischen Ansprüchen reden (jeder weiß bekanntlich, wie das in Russland ausgegangen ist). Fast mag man meinen, dass die Freundschaft zwischen Macron und Starmer dadurch bedingt ist, dass ihr gemeinsamer Feind Elon Musk eine Plattform betreibt, die für beide Regierungen gefährlicher ist als Wladimir Putins Russland. Schließlich kann man nirgendwo so gut sehen, wie es um diese „failed states“ steht, wie auf X.

Beunruhigend ist, dass das Vereinigte Königreich, dem nach dem Brexit die Zukunft einer neuen „splendid isolation“ offengestanden hätte, um wieder in den Kategorien des Commonwealth zu denken, offenbar deutlicher als in seiner Zeit als EU-Mitglied daran interessiert ist, den Kontinent beschäftigt zu halten. Den Ersatz für den preußischen Festlanddegen findet man nunmehr im Élysée-Palast.

Es bleibt der bittere Zynismus: So sehr kann der Brexit gar nicht geschadet haben, wenn man nun wieder Abenteuer nur ein paar Meilen vom einstigen Schlachtfeld des Krimkriegs sucht. Übrigens ein Konflikt, bei dem bereits einmal eine anglo-französische Armee Seite an Seite kämpfte, um eine Drittmacht – in dem Fall nicht die Ukraine, sondern das Osmanische Reich – vor dem Zerfall zu retten.

Im Schatten der Ambitionen zweier Ex-Weltmächte finden sich auch deutsche Journalisten, die nun einen neuen atomaren Schutzschirm für den Kontinent erhoffen, unter den sie flüchten können, angesichts US-amerikanischer Wankelmütigkeit. Französische und britische Sprengkörper könnten da helfen, liest man. Der Spiegel tut sich bereits hervor. Ironie der Geschichte ist in der dortigen Redaktion wohl ein Fremdwort.

Dabei lautet die Frage: Was macht denn nun die französisch-britische Hegemonie über Europa so viel besser als die US-amerikanische? Es ist davon auszugehen, dass man in London und Paris exakt das im Kopf hat: die Vorherrschaft über den Kontinent unter dem Versprechen der atomaren Verteidigung. Exakt das war der Kern der US-Vorherrschaft. Von einer gerechten Europa-Idee kann man da kaum sprechen.

Wie diese Dominanz aussieht, konnte man bereits auf dem Abschlussfoto der Londoner Verhandlungen sehen: Selenskyj, Starmer und Macron in der ersten Reihe, Deutschland, die Niederlande, Schweden und Italien in der letzten – alles Nationen, die sich nicht im Boot der neuen „Koalition der Willigen“ sehen. Aus dem Foto spricht die Arroganz eines neuen Zweibundes. Ungarn wurde erst gar nicht eingeladen.

Womöglich soll das auch Druck auf einen zukünftigen Kanzler Friedrich Merz ausüben, schnell auf London und Paris zuzugehen, um nicht ins Abseits zu geraten. Dass er mit den Gegnern des anglo-französischen Falken-Kurses in Rom, Stockholm, Budapest und Amsterdam kooperieren könnte, um ein Gegengewicht aufzubauen, ist eher auszuschließen. Dafür sind die ideologischen Gräben zu tief.

Denn auch das stimmt: Das französisch-britische Modell ist exakt das, was Europa ausmacht – Massenmigration, Verachtung der eigenen Identität und Missachtung der Meinungsfreiheit. Dass der Export extremistischer Ideologien häufig an anderer Stelle erfolgreicher sein kann als im Mutterland, geschieht nicht zum ersten Mal in der Geschichte – Karl Marx hatte schließlich zum Wunschland des Kommunismus nicht Russland, sondern Großbritannien erkoren. Da passt es gut, wenn am selben Wochenende die Rede von J.D. Vance wieder ein stärkeres Fundament bekommt, weil „unsere Innenministerin“ in Niedersachsen vor Pöbeleien geschützt werden muss.

Dabei ist die entscheidende Frage: Wofür kämpft Europa noch? Der Krieg in der Ukraine ist ohne die USA verloren. Die Europäer können den Ausfall des transatlantischen Verbündeten nicht kompensieren. Sie können auch nicht in wenigen Monaten nachholen, was sie in Jahrzehnten verschlafen haben. In den Köpfen hängt immer noch das Bild totaler Siege, an deren Ende die Vernichtung eines Kriegsgegners steht – so war es im Zweiten Weltkrieg, so war es im Irak.

Aber das ist nicht der Standard in Kriegen. Es gibt zahlreiche Großkonflikte der Vergangenheit, bei denen die Gegner wegen Erschöpfung aufgaben oder das Ausscheren eines wichtigen Bündnispartners die anderen Kriegsparteien zum Frieden zwang. So war es etwa im Spanischen Erbfolgekrieg, als Österreich auf verlorenem Posten stand, nachdem Großbritannien mit Frankreich Frieden schloss. Zuvor stand noch die Rückgabe des Elsass auf dem Plan; danach einigte man sich zähneknirschend auf einen Vergleich.

Die Fronten im Ukraine-Krieg haben sich in den letzten drei Jahren kaum verändert, und die Position der Ukraine dürfte ohne die USA nicht besser, sondern vielmehr schlechter werden. Die Zeit arbeitet jetzt für Wladimir Putin. Für die ukrainische Verhandlungsseite wird die Situation in einem Jahr schlechter sein als heute.

Die europäischen Meinungsmacher und Politiker verschließen sich diesen Realitäten, wenn sie ihre nicht vorhandenen ökonomischen und militärischen Möglichkeiten mit heißer Luft aufblasen. Statt nun zu retten, was zu retten ist, glaubt man, seine Verhandlungsposition zu verbessern, indem man Washington und Moskau im Namen Kiews vors Schienbein tritt. Dabei gibt es eine Hürde für Starmer wie Macron: nämlich Russland selbst.

Ohne Verhandlung mit Putin sind europäische Friedenspläne eben nur ein Ballon, gegen den eine Nadel sticht. Und Putin sieht seinen Gesprächspartner nicht in London, nicht in Paris und nicht in Brüssel – sondern in Washington. Das ist eine bittere Einsicht für die Europäer. Für Friedenspläne werden alle Seiten gebraucht. Nach der Aufregung der letzten Tage und den französisch-britischen Fantasien werden die Länder, die ihren Draht zu den USA und Russland behalten, den längeren Atem haben. Sie müssen dann kitten, was die anderen zerschlagen haben.

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