
Der Anschlag von Magdeburg mit sechs Todesopfern taucht bislang nicht in der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) auf. NIUS hat bei den Behörden nachgefragt – und stößt auf eine Statistik, die zentrale Fälle nicht kennt, Morde zusammenzählt und das Ausmaß islamistischer Gewalt kleinrechnet.
Der Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt, bei dem im Dezember 2024 sechs Menschen ums Leben kamen, war eine der schwersten Gewalttaten der vergangenen Jahre in Deutschland. Der Täter: ein saudischer antiislamischer Aktivist, der mit einem Auto gezielt in eine Menschenmenge raste. Er fühlte sich von der deutschen Migrationspolitik verraten, die ihm zu proislamisch war. Aus Rache an Deutschland griff er die deutsche Bevölkerung an. Doch wie wird diese Tat in der offiziellen Statistik über politisch motivierte Kriminalität (PMK) erfasst? Gar nicht – zumindest bislang nicht.
Eine Anfrage von NIUS beim Bundeskriminalamt (BKA) offenbarte ein strukturelles Defizit in der Erfassung solcher Taten. Wie NIUS kürzlich berichtete, weiß die zentrale Bundesbehörde schlicht nicht, ob und wie die Anschläge von Solingen, Magdeburg und Mannheim in ihrer eigenen Statistik auftauchen. Stattdessen verwies das BKA auf die Zuständigkeit der Länder. Auf die konkrete NIUS-Frage, ob der Magdeburg-Anschlag in die Statistik eingeflossen sei, antwortet das BKA ausweichend:
„Die Meldung von politisch motivierten Straftaten im Rahmen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes (KPMD-PMK) erfolgt in Zuständigkeit der Länder. Bitte wenden Sie sich daher an die Pressestelle des örtlich zuständigen Landeskriminalamtes.“
Mit anderen Worten: Das BKA veröffentlicht jedes Jahr eine Statistik zur politisch motivierten Kriminalität – ohne selbst im Detail zu wissen, welche konkreten Fälle darin erfasst sind. Eine zentrale Übersicht über islamistisch motivierte Morde oder Anschläge existiert nicht.
Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Bundesminister des Innern Alexander Dobrindt, bei der Bundespressekonferenz zur Vorstellung der PMK-Statistik.
Deswegen wandte NIUS sich an die Landeskriminalämter.
„Eine Einstufung als PMK ist noch nicht erfolgt“, heißt es zur Magdeburg-Tat aus Sachsen-Anhalt.
Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt erklärte gegenüber NIUS, die Tat von Magdeburg werde bislang nicht als politisch motiviert eingestuft:
„Aus Sicht des GBA (Generalbundesanwalts, Anm. d. Redaktion) hat die Tat daher eher den ‚Charakter einer Amokfahrt aus persönlicher Frustration‘ und weniger den Charakter einer Terrorismustat, die gegen die Bundesrepublik oder gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet sei.“
Eine spätere Einstufung als politisch motivierte Kriminalität sei nicht ausgeschlossen, etwa, wenn sich im Prozessverlauf neue Erkenntnisse aus einer Aussage des Beschuldigten Taleb A. ergäben. Aktuell aber behandelt die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg das Verfahren als schwere Kapitalstraftat – nicht als politische.
Anders sieht es im Fall Solingen aus: Dort tötete im August 2024 ein Angreifer drei Menschen mit einem Messer – mutmaßlich aus islamistischen Motiven. Das LKA Nordrhein-Westfalen bestätigte gegenüber NIUS:
„Der benannte Anschlag in Solingen wurde gemäß den Vorgaben des KPMD-PMK erfasst und ist dem Phänomenbereich der ‚religiösen Ideologie‘ zugeordnet. Der Anschlag wurde statistisch als ein Tötungsdelikt mit insgesamt drei zu beklagenden Opfern erfasst.“
Das wirft neue Fragen auf. Denn juristisch ist ein Mord die Tötung eines Menschen – ein dreifacher Mord sollte demnach auch drei Tötungsdelikte bedeuten. Es erscheint fragwürdig, dass mehrere Opfer auf einen einzigen statistischen Fall „komprimiert“ werden. Das relativiert das Ausmaß der Tat und verzerrt das tatsächliche Bedrohungspotenzial.
Trauernde Bürger in Solingen
Der Mord an einem Polizisten in Mannheim – ebenfalls durch einen islamistischen Täter – wurde immerhin eindeutig als politische Tat registriert. Das LKA Baden-Württemberg teilte mit:
„Nach Rücksprache wurde der Anschlag auf unseren Kollegen unter dem Phänomenbereich ‚Religiöse Ideologie‘ als politisch motivierte Gewalttat statistisch erfasst. Es handelt sich um eine vollendete Straftat gemäß § 211 StGB (Mord).“
Hieran ist nichts fragwürdig. Merkwürdig ist allerdings auch hier, dass solche Informationen erst umständlich erfragt werden müssen und nicht aus den Daten selbst – bereits auf BKA-Ebene – hervorgehen.
Die Recherchen von NIUS zeigen: Die Erfassung islamistisch motivierter Gewalt in der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität ist inkonsistent, lückenhaft und abhängig von der Einschätzung einzelner Landesbehörden. Besonders brisant: In Fällen mit mehreren Todesopfern wird die Dimension der Tat statistisch heruntergerechnet – was das tatsächliche Ausmaß politischer Gewalt durch islamistische Täter systematisch verzerrt.
Wenn ein Massaker wie jenes in Magdeburg in der PMK bisher nicht auftaucht, ist das mehr als ein bürokratischer Fehler. Es ist ein Symptom für eine Statistik, die ihren eigenen Anspruch – politisch motivierte Gewalt sichtbar zu machen – zu oft verfehlt.
Die statistische Erfassung politisch motivierter Gewalt in Deutschland wirkt zunehmend willkürlich. Ein Massenmord wie in Magdeburg wird (noch) nicht als politisch motivierte Tat gewertet, ein Dreifachmord wie in Solingen zählt nur als ein Tötungsdelikt. Gleichzeitig veröffentlicht das BKA eine Bundesstatistik, ohne selbst zu wissen, welche konkreten Fälle sie abbildet. Dieses System kaschiert die tatsächliche Dimension islamistisch motivierter Gewalt. Wer Zahlen ernst nimmt, müsste fordern: mehr Transparenz, mehr Einheitlichkeit – und eine Statistik, die das Ausmaß politischer Kriminalität nicht verharmlost, sondern sichtbar macht.
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