
Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg hat die Wahlkreiseinteilung des grün-dominierten Bezirksamts mit großer Mehrheit zurückgewiesen, aufgehoben und ersetzt. Stattdessen soll ein auf Fachebene erstellter Vorschlag umgesetzt werden. Das Bezirksparlament versucht damit, einen Zuschnitt zu verhindern, der im Verdacht steht, die Grünen zu bevorzugen.
Wegen zu wenig deutscher Einwohner muss Friedrichshain-Kreuzberg zur Abgeordnetenhauswahl im nächsten Jahr einen Wahlkreis an Treptow-Köpenick abgeben. Daher wurden zunächst zwei Varianten erarbeitet, um das Wahlgebiet neu in fünf statt sechs Wahlkreise zu gliedern.
Über diese Vorschläge setzte sich das politische Bezirksamt jedoch hinweg. Eine der Varianten legte die grüne Bezirksbürgermeisterin dem sechsköpfigen Gremium gar nicht erst vor, die andere wurde niedergestimmt. Ein eigener Vorschlag aus grüner Feder machte das Rennen.
Im Bezirksamt konnten sich drei Grüne über die drei Bezirksstadträte von Linken, SPD und CDU hinwegsetzen. Bei Gleichstand gibt schließlich die Stimme der grünen Bezirksbürgermeisterin den Ausschlag. Mit weniger als 35 Prozent der Wählerstimmen haben die Grünen de facto eine absolute Mehrheit in dem Gremium – ungewöhnlich in der sonst vollständig auf die Verhältniswahl gepolten Bundesrepublik.
Sachlicher Streitpunkt ist vor allem der Wahlkreis 4, der bislang ausschließlich den westlichen Teil Friedrichshains umfasst. 2023 ging dieser Wahlkreis an Die Linke. Durch die Hinzunahme von links der Spree gelegenen Kreuzberger Gebieten erhofften sich die Grünen bessere Siegchancen.
Laut der linken Landesvorsitzenden Kerstin Wolter ignoriert der Zuschnitt aber Kiezgrenzen und Sozialräume. „Wenn Wahlkreise nach dem Wunsch einer einzelnen Partei zugeschnitten werden, schadet das dem Vertrauen in ein Bezirksamt massiv“, erklärte CDU-Bezirksstadtrat Max Kindler gegenüber der B.Z.
Bezirksbürgermeisterin Herrmann hält ihren Vorschlag hingegen für „nachweislich gerechter, rechtskonformer“ und „auch fairer“. Die Vorwürfe dagegen seien eine „politische Kampagne“, sagte sie dem rbb. Ihr Ziel sei eine Verwebung von Ostberliner und Westberliner Stadtteilen. Diese will sie weiterhin durchsetzen.
Eigentlich sollte die BVV die Entscheidung des Bezirksamts lediglich zur Kenntnis nehmen. SPD und Linke hatten aber in einer Sondersitzung nicht nur formal Einwendungen gegen die Geschäftsführung des Bezirksamts aufgrund unzureichender Textvorlagen erhoben. Auf Grundlage dieser Einwendungen wurde auch gleich der ganze Beschluss der Bezirksstadträte aufgehoben und ersetzt.
Pikant: Auch die Grünen standen in der Versammlung nicht geschlossen auf der Seite ihres Bezirksamts. Sechs von 21 Mitgliedern fehlten, einer stimmte gleich für den Umgliederungsvorschlag der anderen Parteien. Alle anderen Anwesenden von DIE LINKE, SPD, CDU, Die PARTEI und AfD stimmten geschlossen ab.
Ob „grüne Machtarroganz in Friedrichshain-Kreuzberg“ damit tatsächlich „wieder gescheitert“ ist, wie der örtliche CDU-Kreisvorsitzende Timur Husein auf X feierte, ist allerdings noch unklar. Das Bezirksamt vertritt die Auffassung, seine Entscheidung sei als Verwaltungshandeln nicht durch die Bezirksverordnetenversammlung korrigierbar und hat seinen früheren Beschluss erneuert. Damit muss die Bezirksaufsicht auf Landesebene den Streit klären.
In den USA ist die Änderung von Wahlkreisgrenzen zur Maximierung der eigenen Wahlchancen unter der Bezeichnung „Gerrymandering“ gängige Praxis. Dadurch soll beeinflusst werden, wie sich Wählerpräferenzen in Abgeordnetensitze übersetzen. Da beide Parteien, Republikaner und Demokraten, versuchen, auf diese Weise zu tricksen, gleichen sich die Effekte laut einer Harvard-Studie von 2023 auf nationaler Ebene aber wieder aus.