Das spektakuläre Corona-Tribunal bei Markus Lanz

vor 17 Tagen

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Bildquelle: NiUS

Lange Zeit dominierten in den Talkshows der Pandemie regierungstreue Stimmen: Kritiker, Mahner, Zweifler – sie kamen, wenn überhaupt, nur am Rand vor und wurden als ‚Schwurbler‘ verunglimpft. Die politischen Maßnahmen – von der 2G-Regel über die Ausgrenzung Ungeimpfter bis hin zur Impfpflicht – galten als alternativlos. Impfschäden? Wurden entweder geleugnet oder verharmlost

Doch das ist Vergangenheit – jedenfalls bei Markus Lanz, wo sich am Donnerstagabend etwas wahrlich Spektakuläres abspielte. NIUS zeigt, warum die Sendung dem Anspruch einer echten Corona-Aufarbeitung gerecht wurde.

Plötzlich sind es Gesundheitsminister Karl Lauterbach und die frühere Ethikratsvorsitzende Alena Buyx, die sich erklären, rechtfertigen, verteidigen müssen. Und auf der anderen Seite sitzen drei kritische Virologen mit hoher wissenschaftlicher Reputation, die sich schon während der Corona-Zeit tendenziell kritisch äußerten: Alexander Kekulé, Hendrik Streeck, Jonas Schmidt-Chanasit. Es ist eine Konstellation, die das gewohnte deutsche Talk-Muster – viele Regierungsbefürworter gegen wenige Regierungskritiker – umkehrte. Weil sich auch Markus Lanz in einen Regierungskritiker verwandelte, bekam der Zuschauer im Ergebnis vor Augen geführt: Die Kritiker hatten Recht. Die Unterstützer von Corona-Impfung und Pandemiemaßnahmen lagen falsch.

Eines der wohl treffendsten Statements kam von Virologe Hendrik Streeck. Streeck sprach davon, dass in der Pandemie „sehr verkürzt“ kommuniziert wurde – zu eindimensional und absolut. Der heutige Vertrauensverlust in Politik fiel nicht vom Himmel, sondern Ergebnis einer jahrelangen, fehlerhaften Kommunikation. Es sei versäumt worden, in wichtigen Punkten Transparenz zu schaffen: bei der Behauptung, Impfungen seien „nebenwirkungsfrei“ (Lauterbach), bei der Aussage, Geimpfte würden das Virus nicht weitergeben, oder zuletzt beim viel diskutierten BND-Bericht zur Laborhypothese. Viele Dinge, die zunächst als „Verschwörungstheorie“ abgetan wurden, die sich im Nachhinein als doch irgendwie oder zumindest teilweise richtig herausgestellt haben. Damit habe man „befeuert, dass sich ein Teil der Bevölkerung abspaltet und sagt der Regierung kann man nicht mehr trauen oder nicht mehr ganz vertrauen.“

Einer der härtesten Wortwechsel des Abends entwickelte sich rund um das Thema der Sicherheit der Corona-Impfstoffe – und die Frage, wie viel man damals wirklich wusste. Ethikrat-Chefin Alena Buyx verteidigte vehement die Linie, dass „alles über die Sicherheit der Impfung“ bekannt gewesen sei. Ein Mythos, den Virologe Alexander Kekulé frontal angriff. Zunächst erinnerte er daran, dass die Impfstoffe von Anfang an nur bedingt zugelassen waren. Spahn habe das verschleiert, der die Zulassung „unglücklicherweise immer als endgültige Zulassung bezeichnet hat“. Der Impfstoff war also „von Anfang an mit Fragezeichen versehen“, sagte er. „Natürlich gab es eine lange Liste von Fragen, die noch offen waren“, betonte Kekulé. Diese offenen Punkte sollten von den Herstellern im Rahmen der sogenannten Post-Marketing-Phase weiter untersucht werden. Die Behauptung, man habe „alles gewusst“ über diese Impfstoffe, sei schlicht falsch.

Doch damit nicht genug. Kekulé widerlegte den Mythos der Allwissenheit anhand Buyx‘ eigener Falschaussage, nämlich der Behauptung, die mRNA aus dem Impfstoff sei nach zwei Wochen vollständig aus dem Körper verschwunden. Es sei falsch gewesen, dass viele schlicht das wiederholt hätten, was die Hersteller gesagt hätten – etwa: „Die Messenger-RNA ist nach zwei Wochen nicht mehr nachweisbar.“ Genau das hatte Buyx gesagt:

Kekulé verwies auf eine aktuelle Studie einer renommierten Wissenschaftlerin der Yale-Universität – mehrfach ausgezeichnet, auch in Deutschland –, die gezeigt habe, dass selbst Monate nach der Impfung noch aktive RNA im Körper nachweisbar sei. „Das Antigen, das durch die Impfung produziert wird, ist also auch nach längerer Zeit noch messbar,“ erklärte Kekulé. Das werfe ernste Fragen auf – etwa über mögliche Zusammenhänge mit dem Post-Vac- oder Post-Covid-Syndrom. „Da können Sie nicht einfach sagen: Das ist alles erforscht, wir kennen das, da kann nichts passieren.“

Die Haltung von Buyx, wonach die Wissenschaft in puncto Impfstoff längst Klarheit geschaffen habe, wirkte in diesem Moment nicht nur überheblich, sondern angesichts der Faktenlage schlicht unhaltbar.

Eine weitere zentrale Szene der Sendung drehte sich um einen der Grundkonflikte der Pandemie – die Frage, wie infektiös Kinder wirklich sind. Alexander Kekulé nahm sich dabei eine der umstrittensten Studien der Pandemiezeit vor: die von Christian Drosten. Jene Studie, auf die sich Politik und Medien stützten, um monatelange Schulschließungen für Millionen von Kindern zu rechtfertigen, die sie in ihrer Entwicklung weit zurückwarfen und die Kinder- und Jugendpsychiatrien überlaufen ließen.

Drosten warnte in der Veröffentlichung der Laboranalyse: „Aufgrund dieser Ergebnisse müssen wir vor einer unbegrenzten Wiedereröffnung von Schulen und Kindergärten warnen. Kinder können genauso ansteckend sein wie Erwachsene.“

Kekulé widersprach dem mit Nachdruck. Die Datenlage sei nie so eindeutig gewesen, wie sie damals dargestellt wurde – und im Rückblick müsse man feststellen, dass Drostens Einschätzung sich als falsch erwiesen hat. „Ich kritisiere, dass man zuerst an die Öffentlichkeit geht und dann erst Monate später etwas publiziert, wo dieser Satz gar nicht mehr mit drin steht. Der Virologe macht klar: „Was inzwischen bekannt ist, ist dass Kinder kurzzeitig genauso viel Virus ausscheiden können wie Erwachsene. Das ist aber, dass der Zeitraum, in dem Kinder Viren ausscheiden, deutlich kürzer ist.“

Besonders brisant wird diese Szene, wenn man sich erinnert, wie damals mit Kritik an Drostens Aussagen umgegangen wurde. Die Bild wagte es im Frühjahr 2020, die Studie zu hinterfragen – und wurde dafür medial regelrecht vernichtet. Die Empörung schlug hohe Wellen, allen voran beim Spiegel, der von einem „Fassbombenkommando“ sprach, das Julian Reichelt auf Drosten losgelassen habe. Rückblickend wirkt die ganze Szenerie grotesk. Der Spiegel griff nicht nur die Kritik an Drosten an, sondern attackierte Bild-Redakteure gleich mit einem Rundumschlag: „Piatov und Reichelt sind sich in vielem einig. Etwa in ihrer unbedingten Kritiklosigkeit gegenüber Israel oder ihrer Abneigung gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin.“

Dass sie keine Israel-Kritik duldeten oder Putin gegenüber zu kritisch seien, wurde als Beleg für ihre Verkommenheit präsentiert. Heute müsste der Spiegel sich dafür selbst im Grunde als „Putin-Troll“ kritisieren. Am Ende dieser Szene ist klar: Die Deutungshoheit lag damals bei denen, die falsch lagen. Und diejenigen, die kritisch nachfragten, wurden öffentlich diffamiert. Heute stellt sich heraus: Die Kritik war berechtigt – und sie war richtig.

Bild lag im Kern richtig, doch niemand die Medien waren Drosten ergeben..

Schließlich holt Kekulé tief aus und wirft Deutschland insgesamt ein Systemversagen vor. Ein „selbstbezügliches System“, in dem immer wieder extrem einseitig dieselben Wissenschaftler und Institutionen gefragt wurden, habe dazu geführt, dass „die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt worden“ war. Denn: „Alles, was entschieden wurde, hatte als letzten Referenzpunkt das, was einige wenige Wissenschaftler vorgegeben haben.“

Als Beispiel nennt er Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Richter hätten die Maßnahmen „gutgeheißen, mit der Begründung, dass man die Wissenschaftler gefragt hat, das RKI zum Beispiel, das ja auch die Maßnahmen ursprünglich mitbegründet hat.“ Und eben diese Institution lag falsch, wenn sie etwa offiziell verkündete, „Geimpfte tragen nicht mehr zum Infektionsgeschehen bei“. Kekulé kritisiert, dass das „von einem Verwaltungsgericht in Berlin für eine Entscheidung zitiert“ wurde, die damit „irgendwelche 2G-Regeln in Kneipen und Ähnliches“ gerechtfertigt hatte.

Kekulés fulminantes Fazit: „Man sagt ja immer, die Krise ist die Stunde der Exekutive. In dem Fall war die Krise die Stunde der Technokraten.“

Der Gesundheitsminister gab überraschend offen zu, die Pandemie „für beendet erklärt zu haben, früher als das der Fall war.“ Ein bemerkenswertes Eingeständnis – denn damit räumt er ein, sich nicht auf wissenschaftliche Evidenz, sondern auf gesellschaftliche Stimmungen verlassen zu haben. Eine Politik nach Gefühl, nicht nach Fakten.

Wie fragwürdig Lauterbachs Argumentationsweise bis heute ist, zeigte sich an einer weiteren Aussage: „Jeder 100. Infizierte stirbt.“ Eine pauschale Behauptung, die sich weder mit der wissenschaftlichen Datenlage noch mit der Realität deckt. Jonas Schmidt-Chanasit reagierte klar: „Was immer zu kurz kommt: Wir müssen das altersstratifizieren.“ Denn selbstverständlich sei das Risiko einer schweren Erkrankung oder eines Todes nicht bei allen gleich hoch. Ein 18-jähriger Mensch stirbt nicht mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 100 an Covid-19 – das sei, so die implizite Botschaft, eine bewusste Verzerrung. Lauterbach behauptete dennoch stur, eine Altersstratifizierung vorgenommen zu haben.

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Vor dem Hintergrund dieser Fehleinschätzungen erinnerte Jonas Schmidt-Chanasit auch an die bereits im Jahr 2020 geäußerten Warnungen vor den gesellschaftlichen Folgen der Corona-Maßnahmen: Depressionen, Essstörungen, Vereinsamung. „Ich war bei einigen Stellungnahmen dieser Fachgesellschaften auch beteiligt,“ so Jonas Schmidt-Chanasit, „zusammen mit den Hygienikern, wo man letztendlich damals schon so klar formuliert hat.“

Warum diese Warnungen politisch ignoriert wurden, ist für ihn bis heute eine offene Frage. Er kritisierte die „fehlende Transparenz“ in den Entscheidungsprozessen: „Wie ist denn der strukturierte Beratungsprozess erfolgt?“ Gerade diese Intransparenz sei es, die den Vertrauensverlust vieler Menschen nachhaltig gefestigt habe. Trotz dieser fundamentalen Kritik an seiner eigenen Politik erwidert Lauterbach hilflos: „Da würde ich Ihnen sogar zustimmen.“

Gegen Ende der Sendung wird Moderator Markus Lanz ungewöhnlich deutlich. Er holt aus – und prangert an, was für ihn einer der zentralen Fehler der Corona-Politik war: die moralische Ausgrenzung der Ungeimpften. „Markus Söder und Jens Spahn: Hier handelt es sich um eine ‚Pandemie der Ungeimpften‘. Friedrich Merz, der kommende Kanzler: ‚Die Bevölkerung ist in Geiselhaft von Impfgegnern.‘“

Lanz gibt Schmidt-Chanasit Recht, wenn er sagt, dass „durch 2G Ungeimpfte systematisch stigmatisiert“ wurden. „Daher kommt doch das Störgefühl rund um diese Impfung. Und das ist auch genau mein Thema.“ Besonders kritisch sieht er in diesem Zusammenhang den absoluten Wahrheitsanspruch mancher Experten. „Wenn man dann sagt, wir wissen 'alles über die Sicherheit'“ – sein Blick richtet sich dabei spürbar auf Alena Buyx – „dann denke ich: okay, woher nehmen wir jetzt diese absolute Wahrheit?“ Und er fährt fort: „Und daraus resultierend gehen wir dann hin und stigmatisieren Leute und sagen: Pass auf, wenn du dich nicht impfen lässt, dann bist du derjenige, der dieses ganze Land in Geiselhaft nimmt.“

Dann weitet Lanz seine Kritik – und geht hart ins Gericht mit der politischen Elite. „Noch ein letzter Gedanke, noch dazu von politischer Seite, mir unvergessen,“ beginnt er. „Vor der Bundestagswahl saßen hier reihenweise Spitzenpolitiker, die alle mit Verweis auf die deutsche Geschichte sagten: Impfpflicht wird es in diesem Land niemals geben.“

Doch kaum war die Wahl vorbei, folgte der Wortbruch. „Dann sagten dieselben Spitzenpolitiker hier in der Sendung: Jetzt brauchen wir aber dringend eine Impfpflicht.“ Und als er sie mit dem offensichtlichen Widerspruch konfrontierte – mit der Frage, ob das nicht eine Lüge oder ein Wortbruch sei –, lautete die Antwort stets gleich: „Die Lage habe sich verändert.“ Lanz' Fazit: So entstehe „viel Misstrauen – und das empfinden Leute dann als übergriffig“

Die Sendung bietet noch viele weitere Szenen, die eine Analyse lohnen, aberam besten schaut man sich die Talkshow selbst an. Sie ist ein TV-Meilenstein der Corona-Aufarbeitung.

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