Einstürzendes Dresden

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Noch am vergangenen Donnerstag wollten die 45 besten deutschen Wasserspringer der 12- und 13-Jährigen die deutschen Meisterschaften der C-Jugendlichen austragen. Doch die Stadt ließ die Halle am Donnerstagnachmittag plötzlich sperren: Alle raus hier! Und zwar schnell!

Aus Sicherheitsgründen, wie die Stadt Dresden erklärte. Die Hängedachkonstruktion sei gefährdet. Die Fachleute eines Statikbüros sollen ein Gutachten über den Bauzustand der Hängedachkonstruktion abliefern. Dabei entdeckten sie erschrocken, dass die Spannbetonbinder des Dachtragwerkes aus der gleichen Spannstahlsorte gefertigt wurden wie bei der Dresdner Carolabrücke. Die stürzte bekanntlich am 11. September 2024 teilweise ein. Alarmstufe Rot also an der Freiberger Straße in Dresden.

Das Statikbüro hat die Dresdner Bäder GmbH auf die Korrosionsanfälligkeit der Spannglieder und die konstruktiven Schwächen der Dachbinder hingewiesen. Ein gefahrloser Weiterbetrieb der Sprunghalle in Dresden könne aus Sicht der Statiker derzeit nicht länger garantiert werden. Deshalb sei die Sperrung dringend notwendig. Die Stadt spricht von „Vorsichtsmaßnahme“.

„Aufgrund der beschriebenen Risiken empfiehlt das Statikbüro eine kurzfristige bauliche Untersuchung der Dachbinder. Ein gefahrloser Weiterbetrieb der Sprunghalle kann aus ihrer Sicht nicht garantiert werden. Deshalb war die Sperrung notwendig“, heißt es bei der Stadt Dresden.

In der kommenden Woche wollen sich Sportbürgermeister Jan Donhauser und die Dresdner Bäder GmbH sowie Vertreter des Bundesstützpunktes Wasserspringen zusammensetzen, um das weitere Vorgehen zu beraten.

Jetzt soll in den kommenden Tagen eine „kurzfristige bauliche Untersuchung der Dachbinder“ erfolgen, wie es das Statikbüro empfohlen hat. Und die deutschen Meisterschaften der C-Jugend im Wasserspringen, die eigentlich bis Sonntag in der Springerhalle am Freiberger Platz stattfinden sollten, mussten vorzeitig abgebrochen werden.

Einsturzgefahr auch bei der Tiefgarage unter der Prager Straße, der zentralen Straße in Dresden. Dort darf kein Pkw mehr über die einstige Vorzeigemeile der sozialistischen Moderne fahren. Pflanzkübel und Poller sollen nun verhindern, dass Lieferwagen durchfahren. Betonstützen sichern notdürftig das marode Gewölbe.

Am Mittwoch in dieser Woche stürzten – diesmal geplant – die Reste der Carolabrücke endgültig ein. Die war am 11. September 2024 eingestürzt, nachts, nachdem eine Viertelstunde zuvor noch eine nächtliche Straßenbahn drüber gefahren ist. Die dramatischen Bilder aus dem ehemaligen Industrieland mit seinen zusammenbrechenden Brücken gingen um die Welt. Die restlichen beiden Züge der ursprünglich dreiteiligen Brücke mußten sofort gesperrt werden, weil die Konstruktion kollabieren könnte.

Der Stahl, der derzeit ( nicht nur ) Dresden lahmlegt, wurde in den 1960er und 70er Jahren flächendeckend verbaut. Er sollte Wunder wirken – große Spannweiten, schlanke Träger, elegante Formen. Doch der Stahl altert denkbar ungünstig: Seine Spannglieder rosten im Inneren der Konstruktion – unsichtbar, gefährlich, schleichend.

Dieser „Hennigsdorfer Spannstahl“ wurde im ehemaligen VEB Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf in der DDR hergestellt und häufig in Spannbetonkonstruktionen wie Brücken und Gebäuden verwendet. Der wird zwar seit vielen Jahren nicht mehr produziert; heute wird empfohlen, Bauwerke mit diesem Stahl regelmäßig zu prüfen und zu sanieren.

Sie sind ein Symbol für staatliches Versagen: den Hang, Infrastruktur verfallen zu lassen – um sich lieber Prestigeprojekten zu widmen. Beispiel: Carolabrücke. Dort streitet der Stadtrat seit Monaten um die Frage, wie breit der Neubau werden darf. Vier Spuren? Drei Spuren? Zwei? Verkehrswissenschaftler mahnen: Vier sind überdimensioniert. Die SPD warnt vor einer „extrabreiten Innenstadtbrücke“. Die Grünen halten zwei Spuren für ausreichend. Doch am Ende setzt sich im Bauausschuss eine Mehrheit aus CDU, FDP, BSW und AfD durch: vier Spuren sollen es sein. Wann Baubeginn und vor allem Fertigstellung ist – alles offen.

Was sich in Dresden abspielt, ist keine Petitesse – es ist der Zusammenbruch einer Ära. Systematische Überprüfung von Bauwerken und rechtzeitige Sanierung – Fehlanzeige.

Die dramatische Lage in Dresden ist kein unvorhersehbares Unglück – sie ist hausgemacht und sie hat Gesichter. Etwa das des Dresdner Baubürgermeisters Stephan Kühn (Grüne). Er trägt die politische Verantwortung für den Zustand der kommunalen Bauwerke – und der ist miserabel. Statt systematisch marode Gebäude zu erfassen, zu sanieren oder rechtzeitig zu sperren, wird reagiert wie im Spätsozialismus: planlos.

Die Springerhalle ist kein Sonderfall, sondern Teil eines größeren strukturellen Versagens. Dass der gefährliche Spannstahl aus den 60er Jahren auch dort verbaut wurde – das hätte man längst wissen können. Dasselbe gilt für die Tiefgarage Prager Straße: jahrzehntelang wurde nicht investiert, sondern beschwichtigt. Und als es dann akut wird, stellt er lieber ein paar Pflanztröge auf als zügig zu sanieren.

Dresdens Baubürgermeister Stephan Kühn (Grüne) fiel in der Vergangenheit weniger durch gelöste Probleme als durch symbolpolitische Gesten auf. Als Reaktion auf die akute Einsturzgefahr unter der Prager Straße ließ Kühn im Juni zwölf Bäume in Pflanztrögen zwischen die Pavillons stellen. Das sollte die Durchfahrt für Autos verhindern. Eine Tiefgarage wird gesperrt, Betonstützen müssen die Statik sichern – aber oben wird mit Blumenkübeln gearbeitet, als sei das eine Gartenmesse.

Pflanzkübel kennt Kühn: Er ließ im vergangenen Jahr Pflanzkübel aus Holzpaletten in der Innenstadt aufstellen – aber nur für die Sommersaison. Das grüne, temporäre Projekt kostete schlappe 334 000 Euro: „Wir verbessern die Aufenthaltsqualität, bringen zusätzliches Grün in den Stadtraum und geben dem Fuß- und Radverkehr mehr Platz.“ Der Grüne hat nur nicht daran gedacht, daß die Pflanzen auch Wasser benötigen. Daher wurden Anwohner und Besucher zum Gießen aufgerufen.

Kühn regiert per Kübel und läßt stattdessen Digitalanzeigen für Radfahrer aufstellen. Die digitale Tafel auf der Albertbrücke zeigt an, wie viele Radfahrer gerade vorbeigefahren sind – als „Zeichen für moderne Mobilität“. Das Problem: Die Anlage kostete über 30.000 Euro, fiel mehrfach aus und zeigte wochenlang Phantasiezahlen.

Statt in echte Radwege, sichere Straßen oder funktionierende Brücken zu investieren, werden Sinnbilder statt Substanz geschaffen. Ein Verkehrssystem, das bröckelt, aber eine Anzeige, die blinkt – so sieht grüne Infrastrukturpolitik unter Stephan Kühn aus, der zum Erstaunen der Dresdner immer noch Baubürgermeister ist.

Absurder geht’s kaum: Ausgerechnet der Handwerksbetrieb, der bei der Demontage der Carolabrücke mit seiner Methode den endgültigen Einsturz auslöste, ist einer von drei Betrieben, die den Zukunftspreis der Handwerkskammer erhalten. Die beiden anderen Betriebe sind ein Ofenbau-Unternehmen und ein Bio-Bäcker.

Ein Brückeneinsturz als Ehrung? Früher galt: Preise bekommt, wer etwas aufbaut. Abriss wird zur Tatkraft verklärt, Rückbau zum Fortschritt verklappt.

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